H.R.F. Keating: Inspector Ghote hört auf sein Herz

Als Kritiker kann man die Inspector-Ghote-Krimis von H.R.F. Keating gelassen durchwinken. Geht in Ordnung – sowieso – genau, ganz nach dem Klassiker von Eckhard Henscheid. Man bräuchte sie nicht einmal zu lesen, kein vernünftiger Mensch würde einem widersprechen.

Aber natürlich liest man sie doch. „Inspector Ghote hört auf sein Herz“ verspricht der neue Band in der metro-Reihe des Unionsverlages. Doch hören wir etwas weniger auf unser Herz und mehr auf unseren Verstand, in dem über 180 Seiten Lektüre eine Frage bohrte: Wie macht der das eigentlich, der Keating?

Natürlich wuchert er mit seinem besten Pfund, dem Inspector persönlich. Den hat man des öfteren als einen Vorläufer des fernsehberühmten Inspector Columbo gepriesen, beide geben sich bieder und einfältig, servil und leicht abwesend, mit dem Unterschied, dass Columbo all diese Eigenschaften nur spielt. Sie sind Teil seiner Strategie, einen Täter in Sicherheit zu wiegen. Ghote hingegen spielt nicht. Er IST bieder und servil, vielleicht nicht einfältig und abwesend, aber in seinem Denken doch ein wenig beschränkt. Auch bei seinem neuesten Fall, der von einer Kindesentführung handelt, die dadurch kompliziert wird, dass das „falsche“ Kind entführt wurde, der Sohn eines armen Schneiders, und der Vater des eigentlich vorgesehenen reichen Kindes soll nun ein Vermögen für dieses fremde Balg zahlen, und das auch noch in Indien.

Indien ist das Stichwort. Ghotes Unterwürfigkeit und Unauffälligkeit ist kulturell bedingt, seine Beschränktheit das Resultat eines inneren Konflikts. Man widerspricht nicht dem Vorgesetzten, selbst dann nicht, wenn seine Maßnahmen das Leben des Kindes gefährden. Man zweifelt manchmal an ihnen und korrigiert sie in den entscheidenden Situationen so, dass das eigene bessere Wissen letztlich eine Chance bekommt. Der Leser beginnt mit Ghote zu leiden, denn diese Strategie, die eigentlich keine ist, sondern ein verzweifelter Balanceakt zwischen den zwei Überzeugungen im Kopf (der kulturell geprägten und der individuell erarbeiteten), diese Strategie setzt auch bei uns eine Saite in Schwingungen. Wir sind Ghote. Irgendwie, irgendwie ganz anders vielleicht, aber letztlich, beide Seiten abstrahiert und verglichen, doch.

Das ist aber nicht alles. Auch der reiche Industrielle, der für den Schneiderssohn zahlen soll, befindet sich in einem Dilemma. Sein Verstand sagt ihm, dass nichts ihn zur Zahlung verpflichtet (seine junge Frau sagt es ihm auch), sein Herz dagegen spricht eine andere Sprache. Im Verlauf der Handlung wird der Reiche seine Entscheidung mehrmals ändern, er ist hin und her gerissen wie Ghote selbst, und dass beide über weite Strecken der Romanzeit unmittelbar in Kontakt zueinander stehen, begünstigt jene Reibungen, aus denen letztlich Spannung entsteht.

Am Ende wird in Ghote diese Spannung nicht mehr zu bändigen sein. Er, der Devote, der so Unauffällige, wird nun zum Akteur, der sich nicht mehr um die Obrigkeit kümmert, ja, nicht einmal um Gesetz und Moral. Wenn man etwas aus jemandem herausprügeln kann, dann tut man es eben, der Erfolg heiligt die Mittel etc. Und das zupft nun wieder eine Saite in uns, man braucht es eigentlich nicht zu erwähnen.

So macht es Keating. Sehr unaufgeregt, sehr effektvoll. Dass er mit den Möglichkeiten, die ein solcher Entführungsfall für den Autor bereithält, souverän umgeht, versteht sich von selbst. Anrufe der Entführer, Indizien, gescheiterte Lösegeldübergaben, eine sich dramatisch zuspitzende Situation – aus dem Handgelenk geschüttelt – nein, vollendetes Handwerk.

Ghote gewinnt, Ghote verliert, Ghote gewinnt – bis zum nächsten Fall. Den wir auch wieder durchwinken werden.

H.R.F. Keating: Inspector Ghote hört auf sein Herz. Unionsverlag 2005. 9,90 €

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