Krimikultur – die Forschung

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Was wir gemeinhin Literaturgeschichte nennen, ist das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit. Der Versuch, die über die Jahrhunderte geschaffenen Textmassen zu bändigen, zu kategorisieren, zu bewerten, um sodann einen Kanon der besten und charakteristischsten Werke zu präsentieren. So etwas hat seine Tücken. Ist abhängig vom Zeitgeschmack, von der gerade gängigen Forschungsmethode, häufig auch nicht ohne politisch-gesellschaftliche Hintergedanken zusammengestellt. Was nicht in ein Schema passt, bleibt oft unberücksichtigt oder wird ohne Rücksicht auf Verluste in ein Schema gepresst.

Das Ordnungssystem der Literatur vertraut auf Epochen und Qualität. Schreibt sich so leicht. Vor allem dann, wenn sich die Werke, deren Platz in der Literaturgeschichte bestimmt werden soll, weder dem einen noch dem anderen Kriterium fügen wollen. Krimis zum Beispiel.

Ich habe an anderer Stelle versucht, mich mit dem Begriff „Genre“ auszusöhnen, indem ich alles, was „Genre“ sein könnte, in eine vertikale Ordnung gebracht habe. Krimi wäre demnach alles – vom literarischen Meisterwerk bis hinunter zum Groschenheft. Er schneidet sich durch die Zeiten, die Moden, die Epochen und – sehr wichtig – Krimi steht nicht nur für ein Dramaturgie- und Handlungsmuster, sondern auch für eine Technik, die Erzählebenen aufbricht, öffnet, miteinander verzahnt, wie es nur der Krimi kann und wie man sie auch in Texten verwendet sieht, die eigentlich Nichtkrimis sind.

Dies nur kurz. Es soll lediglich aufzeigen, dass sich Krimis dem üblichen literaturwissenschaftlichen Procedere widersetzen, darauf pochen, in ihren Eigenarten genauso wahrgenommen zu werden wie in ihren offensichtlichen Korrespondenzen zur „allgemeinen Literatur“. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Krimi die unterschiedlichsten Einflüsse in sich aufgenommen. Er verdankt sehr viel der Romantik und ihrem Blick auf die Psyche; nicht weniger dem Schauerroman oder der Aufklärung, auch dem Realismus, dem Expressionismus, aber auch dem Trivialen, Starkgebärdigen usw. Und umgekehrt wird auch ein Schuh draus.

Schriftsteller, die es weit von sich weisen würden, als „Krimiautoren“ bezeichnet zu werden, haben den Krimi als Technik genutzt, d.h.: einige seiner ureigenen Elemente zur Strukturierung ihrer nichtkriminellen Intentionen eingesetzt. Raabe, Nabokov, Schmidt sind in diesem Zusammenhang schon häufiger genannt worden, fügen wir Heimito von Doderer („Ein Mord den jeder begeht“) und den leider stark unterschätzten Albert Drach („Untersuchung an Mädeln“ u.a.) hinzu.

Was aber macht die Germanistik aus dem Krimi? Ein bezeichnendes Beispiel ist der von Sandro M. Moraldo herausgegebene Band „Mord als kreativer Prozess. Zum Kriminalroman der Gegenwart in Deutschland, Österreich und der Schweiz“, der die Beiträge eines im Dezember 2002 stattgefundenen Kongresses in Mailand (!) versammelt. Um es gleich vorweg zu sagen: Was uns hier präsentiert wird, ist solide, kenntnisreiche, manchmal sogar erhellende Forschung; kein Zweifel. Doch schon der erste Aufsatz von Volker Neuhaus, der „die Schwierigkeiten der Deutschen mit dem Kriminalroman“ thematisiert, zeigt andererseits die Misere, in die sich Literaturwissenschaft scheinbar zwangsläufig hineinmanövriert, wenn sie sich mit Krimis auseinandersetzt.

Es beginnt vielversprechend: „Will man einen so genannten Kriminalroman besonders loben, attestiert man ihm, im Grunde gar keiner zu sein – ein zweideutiges, ja dubioses Kompliment, wie ich meine.“

Nun, das meine ich auch. Doch schon der nächste Abschnitt lässt mich schaudern: „Ich spreche vom Kriminalroman, obwohl ich eigentlich den Detektivroman meine; denn leider hat sich Richard Alewyn mit seiner klaren Distinktion ‚Der Kriminalroman erzählt die Geschichte eines Verbrechens, der Detektivroman die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens (…)’ nicht durchsetzen können.“

Zu Recht nicht. Wer nämlich mehr gelesen hat als ein paar Klassiker, weiß, dass diese Trennung in der Praxis nichtig ist. Einmal, weil meist beides erzählt wird, dann, weil „die Geschichte des Verbrechens“ häufig auch die „Vorgeschichte“, gewissermaßen die Disposition enthält. Einige der gelungensten Texte des aktuellen Jahres etwa lassen zudem den Begriff des „Detektivromans“ obsolet werden, weil in ihnen ein klassischer Detektiv überhaupt nicht vorkommt. Lindsays „Des Todes dunkler Bruder“, Levisons „Betriebsbedingt gekündigt“, Peaces „1974“ – und wie Astrid Paprotta in ihrer zu Recht hochgelobten „Höhle der Löwin“ mit dem Detektorischen umgeht, hat nun auch nichts mehr mit irgendwelchen klassischen Einteilungen zu tun.

Nun gut. Neuhaus’ Aufsatz endet damit, dass er sechs Autoren nennt, die für ihn den aktuellen state of the art in Sachen deutscher Detektivroman repräsentieren: Gisbert Haefs, Jakob Arjouni, Wolf Haas, Bernhard Schlink, Carsten Sebastian Henn und Stefan Winges. Und nun wird es, leider, sehr komisch. Was haben diese, doch eigentlich recht unterschiedlichen Autoren gemeinsam? Man glaubt es kaum: Alle sind sie erfolgreiche Hochschulabsolventen! „Gemeinsam ist den sechs hier genannten Autoren die für die Spielfunktion ihrer Detektivromane offenbar günstige Kombination nach internationalen Vorbildern: Die Autoren sind samt und sonders poetae docti, und ihre Helden sind Privatdetektive.“ Spätestens jetzt möchte man den Band mittelschwer verärgert aus der Hand legen.

Die weiteren Beiträge nun bringen, wie schon gesagt, gute Literaturwissenschaft. Es werden Romane rezensiert, literarisch potente Werke – doch von ihrer ja nun schlecht zu leugnenden Eigenart, Krimis zu sein – kaum ein Wort. Nichts über Spannung (von suspence [Hochschulabsolventen schreiben bitte „suspense“, s.u.] reden wir gar nicht), nichts über die Zersplitterung von Wirklichkeit unter der Gewalt des Verbrechens, stattdessen die bekannte Kost. Dürrenmatts Polizisten reflektieren „die negativen Aspekte der schweizerischen Gesellschaft“, Wolf Haas zeigt „den verbalen Bürgerkrieg im gespaltenen Österreich“, Arjouni erzeugt eine Umwelt, „die konkret gesellschaftlich determiniert ist und keinen domestizierten Freiraum mehr offen lässt“, und und und…

Ist ja nicht falsch, nein, das wirklich nicht. Krimis sind Literatur und Literatur zeigt all das auf. Aber Krimis sind auch Krimis und besitzen vielleicht eine Art Mehrwert, einen zusätzlichen Schlüssel für die Seelen, die Zustände, die Alltäglichkeiten. Dass durch dieses wissenschaftliche Raster von vornherein alles fällt, was den Ansprüchen nicht genügt – noir, hardboiled etc. (alles was nicht promoviert hat…) – versteht sich leider von selbst. Und besäßen wir hierzulande eine Modesty Blaise – man würde sie innerhalb der Hochschulen und Kongresse nicht zur Kenntnis nehmen.

Aber genug. Nur ein Blick in den Abgrund. In einer funktionierenden Krimikultur wartet viel Arbeit auf die Literaturwissenschaft. Nicht nur mit den Texten – auch mit sich selbst.

dpr

Sandro M. Moraldo (Hg.): 
Mord als kreativer Prozess. Zum Kriminalroman der Gegenwart in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Universitätsverlag WInter Heidelberg 2005. 180 Seiten, 30 €

2 Gedanken zu „Krimikultur – die Forschung“

  1. Ach, der gute Herr Zander! Nö, wieda nich, Herr Lehrer! Da is gestan abmd die Gerda…na, Se wissn ja…grad alsich Korriktur lesen wollt – und jetz halt holichs nach. Issas recht so? Was, WIEDA Klassenbuch? Och…

    bye und tutmirleit
    dpr

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