(Das „Krimijahrbuch 2006“: wie es wurde, was es wird. Einblicke in die Werkstatt eines Herausgebers.)
Kann man so besoffen sein, um auf die Schnapsidee eines „Krimijahrbuchs“ zu verfallen? Man kann, man war. Nicht, weil man eine „Marktlücke“ gewittert, Ruhm und Geld am Horizont schemenhaft erblickt hätte. Je nach Schätzung tummeln sich zwischen 500 und 1000 verschärft an Krimi-Hintergründen Interessierte in der Republik, zum Geldverdienen überfalle man besser eine Bank, zum Berühmtwerden setze man sich lieber in eine Talkshow.
1989 /90 haben Martin Compart und Thomas Wörtche den, wenn ich jetzt nicht sehr daneben liege, letzten Versuch unternommen, via Jahrbuch etwas Überblick und Struktur in eine Landschaft zu bringen, die schon wegen der Genre-Kalamitäten unübersichtlich bleiben muss, eine, um Freund Wörtche zu paraphrasieren, „Spaghettisierung by nature“. Mit →„Criminalis“ gibt es zwar seit 2002 ein „Jahresmagazin für Krimifreunde“, aber eben kein Jahrbuch, das die Pflichten auf sich nähme, die in anderen Interessensbereichen von solchen Publikationen erwartet werden.
Rückblick und Einblicke, Analysen und Debatten: mit dieser groben Gliederung fing es an. Natürlich würde man die Produktion des Jahres 2005 in ausgewählten Rezensionen noch einmal kritisch abgehen. Vieles stand und steht zwar im Internet, doch da die Inhalte dieses Mediums häufig nur kurzlebig sind, ein toter Link kein guter Link ist und dem Interessenten ein Tauchgang in diesem Meer kaum zuzumuten, muss ein solcher Block Herzstück des Unternehmens „Jahrbuch“ sein. Dass dabei immer „etwas fehlen“ würde, nun ja, das versteht sich von selbst. Dass man auf bislang Unbekanntes, nicht Registriertes stoßen könnte, auch.
Aber alles andere? Das musste zunächst arg theoretisch bleiben, abhängig von den lieben Menschen, die bereit sein würden, an diesem Jahrbuch mitzuarbeiten, Beiträge zur Verfügung zu stellen, neue zu schreiben – denn „nur“ einen Digest wollte man nun auch nicht. Originalbeiträge sollten nicht fehlen.
Aber das kostet Zeit. Zeit, die nicht mit Geld aufzuwiegen ist, denn finanziell stand und steht das Unternehmen bescheiden da. Sollte man Verlage ansprechen? Die würden, angesichts der zu erwartenden Umsätze, abwinken. Von den üblichen Klippen ganz zu schweigen, die sich dem Schiffchen tückisch in die Fahrrinne legen könnten. Keine inhaltliche Beeinflussung des Herausgebers durch den Verlag, keine der Autoren durch den Herausgeber. Dieser Merksatz hing imaginär über der Tür, die es nun aufzustoßen galt.
Die Mitarbeiter also. Eine knappe E-Mail war schnell geschrieben, die entsprechenden Adressen lagen noch schneller im Adressbuch. Man ist unbescheiden und hält sich an die Repräsentanten der höchsten Qualität. Nicht nur bei den Kritikern, auch bei den Krimiautoren selbst, die – so ein vager Gedanke – doch vielleicht auch einmal Lust hätten, etwas über ihre Arbeit, über Krimis allgemein, über Schreiben allgemein oder ganz etwas anderes zu verfassen, und sei es eine Kritikerbeschimpfung. So. Und jetzt abschicken, abwarten.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Ein noch unausgegorenes Projekt, dazu die Aussicht auf „Honorar“, mit dem du dir den Tee zum Döner kaum leisten kannst, ein „Book on Demand“ -Unternehmen, „Selbstverlag“ hieß das früher, weniger vornehm, aber treffender. Nun ja, wenn vielleicht so 7 oder 8, wer weiß, vielleicht 9 oder 10 generöse Menschen ihre Texte zur Verfügung stellen, wenn davon 3 oder 4 – nee, sind wir mal ganz närrisch: 5 oder 6 vielleicht auch die Zeit fänden, eigens für dieses Jahrbuch etwas zu schreiben – wäre doch ein solides Fundament, oder?
Um die Spannung nicht unnötig zu steigern: Den Herausgeber eingerechnet, sind es 22 fleißige Hirne geworden, die sich für dieses Jahrbuch in Falten legen. Der eine oder andere kann sogar noch dazustoßen, warten wir mal ab, es raschelt im Gebüsch. 22. Davon 19 Kritiker, die es nicht mehr nötig haben, sich in einem Jahrbuch zu „profilieren“, bleiben 3 KrimiautorInnen, was von der Zahl her etwas wenig sein mag, von der Qualität her aber nicht.
Die Art und Weise, wie diese Menschen sich zur Mitarbeit bereit erklärten, lässt eines sehr deutlich erkennen: Diese Plattform war überfällig, und was man auf ihr errichten kann, berechtigt zu schönsten Hoffnungen. Vielleicht so etwas wie „Krimikultur“? Dafür jedenfalls spricht das Engagement, das weit über bloßes Abnicken von Textwünschen hinausging. Man machte sich Gedanken, empfahl Kollegen, ja, gab diesem und jenem, der anfangs aus gutem Grund zögerlich gewesen sein mag, einen freundlichen Schubs – und zack, schon wieder war einer im Jahrbuch-Projekt gefangen.
22 mal Qualität, die man als Herausgeber gerne zu einem hoffentlich stimmigen Gesamtwerk zusammenschustert und auf eine Leserschaft loslässt. Nein, man muss keinen falschen Pass besorgen, keinen falschen Bart ankleben, um nach Publikation das Land unauffällig zu verlassen. Namen? Ach, die nennen wir hier schon noch. Aber denkt euch den Kritiker, die Kritikerin eures Vertrauens und die Chance, dass er oder sie dabei ist, dürfte größer sein als die, dass er oder sie fehlt.
Der erste, wichtigste Schritt war also getan. Ein zweiter, der gar nicht geplant war, wurde erwartet. Book on Demand oder doch in einem „richtigen Verlag“? Dazu mehr demnächst. Aber schließen will ich denn doch mit dem Hinweis: Man kann sich das Werk jetzt schon mitsamt einer kleinen Zugabe sichern. →Hier natürlich.