Schorlaus Welt

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(Manchmal hilft ein genauer Blick, wo die große Rundumschau einer Rezension nicht weiterhilft. Eine Szene, ein Dialog, eine Kleinigkeit eben. In unregelmäßiger Folge seien ab sofort bestimmten Kritiken Betrachtungen vorgeschaltet, die ein charakteristisches Merkmal des Textes unter die Lupe nehmen, erklären und seine Auswirkungen auf das Ganze prognostizieren. Beginnen wir mit Wolfgang Schorlaus „Das dunkle Schweigen“, immerhin 3. Rang des Deutschen Krimipreises 2006 sowie der aktuellen KrimiWelt-Bestenliste.)

Der Detektiv Georg Dengler, Held in Wolfgang Schorlaus „Das dunkle Schweigen“, hält sich, bevor ihn der große, romanfüllende Auftrag ereilt, mit dubiosen Gelegenheitsjobs über Wasser. Einer von diesen verschlägt ihn an die Seite eines schmierig-brutalen Berufskollegen, der mit der „Entlarvung von Hartz IV-Betrügern“ gutes Geld verdient. Beide suchen nun eine potentielle Sünderin auf, der Kollege dringt gewaltsam in deren Wohnung ein, durchwühlt sämtliche Zimmer nach Indizien für die Anwesenheit eines Lebensgefährten, findet welche, wird sogar handgreiflich und schüttet einen Kübel verbaler Drohungen über die mit einem dekorativen Kleinstkind versehene, völlig eingeschüchterte junge Frau.

Dengler kann das nicht mit ansehen. Er packt seinen Kollegen und expediert ihn mit Gewalt aus der Wohnung, entschuldigt sich bei der Frau und steckt ihr 200 € zu, die er gerade als Vorschuss für einen anderen, den großen Fall erhalten hat. Später erzählt er seinen beiden Freunden, einer rumänischen Taschendiebin und einem Kreuzworträtselmacher, der gerne einen Krimi schriebe, von dieser Begebenheit, verschweigt jedoch seine gute Tat.

Diese hier so ausführlich geschilderte Szene ist symptomatisch für die hölzerne Konstruiertheit, die einem in Schorlaus Buch auf jeder Seite begegnet. Ein sehr komplexer Tatbestand wird zugespitzt, ein expliziter Kommentar ist eingearbeitet wie die Aspirintablette in gepanschten Wein. Kein Zweifel: Schorlau meint es „nur gut“. Er möchte das weichgespülte und seinerseits weichspülende Vokabular von Hartz IV in einer Karikatur bloßstellen. Auch auf Kosten der Wirklichkeit, die weitaus subtiler ist, keine Brachialgewalt anwenden muss, sondern mit den Mitteln alltäglicher Bürokratie das Elend von Menschen herbeiführt, verwaltet, zementiert.

Künstlerisch ist das ein grober Keil, gewiss, aber er wäre noch erträglich, triebe ihn Schorlau nicht in einen noch viel gröberen Klotz, die Erhebung seines Helden zum „Gutmenschen“. Dengler stellt die Dinge wieder richtig, er lindert die Not und ist doch bescheiden genug, nicht damit zu prahlen. Die behauptete gute Absicht des Autors wird dadurch völlig desavouiert, die Szene nun auch dramaturgisch zu dem, was sie künstlerisch von Anfang an ist: billiger Effekt.

Ein zweiter Job führt Dengler denn auch folgerichtig ins andere Extrem. Er fungiert als Leibwächter bei einer „Milliardärsparty“, aus handlungstechnisch fragwürdigen Gründen begleiten ihn seine Freunde. Kontrastprogramm, natürlich. Wir erleben nun die Leere, die schiere im Luxus schwelgende Dummheit und Gewissenlosigkeit der Reichen, was von unserem Trio Idealmenschen auch entsprechend kommentiert wird.

Auf diese Weise entsteht Personal, das, da undifferenziert zusammengebaut, zu Differenzierungen nicht fähig ist. Selten ist der Held eines Krimis so papieren blass durch eine Handlung gestolpert, durch eine Welt zudem, die akkurat aus den Klischees und Versatzstücken besteht, die benötigt wurden, diesen Helden mit plakativen Eigenschaften auszustatten. Was vorgibt, „historische Wirklichkeit“ zu sein, ist nichts weniger als das.

Sprachlich kommt das mit einer Biederkeit daher, die an manchen Stellen unerträglich ist, einer 1:1-Übernahme recherchierter Fakten etwa, in sprachlicher Sorglosigkeit präsentiert:

„Er weiß, dass sich die Zahl der Toten unmittelbar vor dem absehbaren Ende des Krieges in neue Höhen geschraubt und alle bisherigen Rekorde gebrochen hat.“

Das Guiness-Buch wird sich freuen.

Die Wirklichkeit wird auf ihre Eignung als Lieferantin wohlfeier Gelegenheiten zur Profilierung des Personals reduziert. Dengler liebt den Blues und fährt dafür eigens nach Chicago? Klar doch; aber der Blues ist hier nur leere Metapher in einem touristisch-pittoresken Ambiente, die große Melancholie eben, die einem in den Sinn kommt, wenn man an Blues denkt. Je weiter wir in die Story vordringen, desto unglaubwürdiger wird das alles: Gut und Böse, Arm und Reich, Schwarz und Weiß, jedes Thema wird verschenkt. Dazu aber morgen mehr.

3 Gedanken zu „Schorlaus Welt“

  1. Hallo dpr,

    ich kenne das Buch nicht. Deswegen kann ich inhaltlich zu deinen Ausführungen nichts entgegnen.

    Aber schon früher ist mir aufgefallen, dass dein Bemühen, deine Beurteilungen durch das Zitat einzelner Sätze zu belegen, bei mir ein Unbehagen auslöst. Ich habe den Eindruck, dass aus dem Zusammenhang gerissene Sätze einfach alles und damit nichts belegen können.

    Gruß
    thomas

  2. Hallo Thomas,

    prinzipiell hast du natürlich recht: Man nimmt einen Satz und erklärt an ihm einen ganzen Roman, so oder so, wie mans braucht. Nur: Wenn ich eine Linie verdeutlichen will, brauche ich Beispiele. Die zitierte Passage hatte ich mir extra angestrichen, weil sie auf den Punkt bringt, was ich nach ca. 70 Seiten Lektüre über die Schreibweise des Autors sagen konnte. Daran hat sich bis zum Buchende nichts geändert. Er schludert, er platitüdelt. Falls das von den Lesern gewünscht wird, stelle ich gerne eine Liste mit, sagen wir, 50 best ofs zusammen.
    Aber ist dir schon aufgefallen, dass ich nur ganz ganz selten in meinen Rezensionen zitiere? Eigentlich immer nur dann,wenn ich es für notwendig halte.
    Zentral in diesen Ausführungen ist übrigens nicht einmal Schorlaus sprachliche Qualität, sondern sein Umgang mit „historischer Wirklichkeit“.

    bye
    dpr

  3. Kleine Korrektur: Das Zitat befindet sich auf Seite 78…
    und weil ich schon mal am Kommentieren bin, das noch kurz: Eine Formulierung wie die von „bisherigen Rekorden“ kann einem im Eifer des Gefechts schon mal passieren. Aber beim zweiten Lesen müssten bei jedem Autor, der auch nur ein Minimum an Sprach- und Stilempfinden hat, sämtliche Alarmglocken läuten. Oder allerallerspätestens beim Lektorat (wo man, nebenbei, sich mit den Namen von Jazzpianisten nicht auskennt und auch nicht mal schnell gegoogelt hat).

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