Im Allgemeinen gilt das Krimigenre als ein konservatives, die Ordnung wiederherstellendes Medium. Zeitgenössische Autoren wie Xiaolong aus China, Padura aus Kuba oder eben Taibo aus Mexiko belegen jedoch die Subversivität, welche dem Krimi innewohnen kann. Am vorliegenden Buch „Unbequeme Tote“ hat darüber hinaus ein Autor mitgewirkt, der seine Subversivität nicht beweisen muss. Subcomandante Marcos von den Zapatisten aus Mexiko, der früher bewaffnet und heute unbewaffnet den Widerstand der indianischen Bevölkerung gegen die mexikanische Zentralgewalt leitet*.
Bücher mit zwei Autoren sind so ungewöhnlich nicht. Zumeist ist es so, dass die Arbeitsanteile der Einzelautoren so unauffällig ineinander gefügt sind, dass sie nicht mehr zugeordnet werden können. Anders bei „Unbequeme Tote“. Die beiden Autoren wechseln sich nicht nur nach jedem Kapitel ab, sondern sie schreiben mit deutlich unterschiedlicher Stilistik.
Subcomandante Marcos auf der einen Seite schreibt eine Geschichte aus der ländlichen Region des zapatistischen Widerstands fern der mexikanischen Hauptstadt. Er gibt den einfachen „ungebildeten“ Bewohnern eine entsprechende Stimme, teilweise mit eigenwilliger und origineller Grammatik und Wortwahl. Das liest sich so, als hätte die Übersetzerin zuvor mehrere Bücher Wolf Haas gelesen. Gebildeten Europäern dagegen verleiht er eine ebensolche Sprache. Auch ästhetisch schreibt er deutlich jenseits des Krimi-Mainstreams. Es mutet gelegentlich schon recht surreal an, was er erzählt. Da treten Verstorbene auf oder es finden sich Personen im Buch wieder, die wissen, dass sie in einem Buch auftreten und dass sie mit der eigentlichen Kriminalgeschichte nichts zu tun haben. Alle fängt damit an, dass Subcomandante Marcos (als Autor und Protagonist der Geschichte) die Ermittlungskommission Elias Contreras auf die Reise nach Mexiko-City schickt, um Gerüchten um einen gewissen Morales nachzugehen.
Ganz anders dagegen Paco Ignacio Taibo II. Der renommierte Autor spult gekonnt seinen Part runter. Ein freier Detektiv aus Mexiko-City wird beauftragt, nach einem Anrufer zu suchen, der, obwohl vor 30 Jahren erschossen, Nachrichten auf Anrufbeantwortern hinterlässt. Und auch er wird sich auf die Suche nach Morales machen und dabei später der Ermittlungskommission begegnen.
Es ist ein gewagtes Experiment, welches die beiden Autoren da unternehmen. So wie die Wasserströme zweier Flüsse, die sich vereinigen, erst lange Zeit nebeneinander her fließen, bis das Wasser sich vermischen, so fließen die beiden Erzählungen auch nebeneinander her. Natürlich, die Autoren nehmen so manchen „Ball“ des Partners auf, aber im Grunde sind es zwei parallele, ineinander geschachtelte Geschichten. Was beide Autoren/Geschichten mit einander verbindet, ist der Zorn auf die verkommenden politischen Verhältnisse Mexikos, welche die beiden bunt und anschaulich darstellen. So schildert Subcomandante Marcos Missstände und Machenschaften in den indianischen Gebieten und Paco Ignacio Taibo II den korrupten „weißen“ Machtapparat des Molochs Mexiko-City, der über die Parteingrenzen hinweg funktioniert.
Es ist ein gelungenes Buch, bei dem Subcomandante Marcos aufgrund seiner auffälligen Sprache und surrealen Stilistik dominiert. Aber als Krimi überzeugt es nicht, einfach deshalb weil es keiner ist. Kein Spannungsbogen, kein Primat der Suche nach der Lösung eines Rätsels. Nein, es ist schlichtweg ein politisches Buch, welches Anleihen beim Genre nimmt.
Der Part Subcomandante Marcos’, mit seinen Wortschöpfungen und seiner eigenwilligen Grammatik wirkt schwierig zu übersetzen. Soweit ich gelesen habe, sah die Übersetzerin sich gezwungen, für die Sprache des Subcomandanten, in der sich auch zahlreiche Wörter indianischen Ursprungs wiederfinden sollen, eine „eigene“ „Übersetzungssprache“ zu „erfinden“. Ob ihr das wirklich gelungen ist, kann ich natürlich mangels Spanischkenntnissen nicht beurteilen, aber es macht auf mich einen ausgesprochen schlüssigen Eindruck.
* Zum Hintergrund, siehe auch den aus Krimilesersicht etwas unkritischen Text aus der → telepolis
Subcomandante Marcos und Paco Ignacio Taibo II: Unbequeme Tote. Roman vierhändig. Assozation A 2005. 239 Seiten, 16,90 €