Aaaargggh!

Ja verreck, muss ich heute vielleicht den ganzen Tag granteln? Hab ich nichts besseres zu tun, Herr Wittstock von der → „Welt“?

„Freunde literaturhistorischer Begründungen erinnern daran, daß sich deutsche Autoren erst in den sechziger Jahren in größerer Zahl an den Krimi wagten und er also hierzulande wenig Tradition hat. Liebhaber mentalitätsgeschichtlicher Theorien wiederum behaupten, daß die Freude am intellektuellen Spiel mit dem Verbrechen, daß die dandyhafte Lust am Bösen, den so lebenssinnbedürftigen Deutschen weniger liege als anderen Nationen.“

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, definitiv nicht. Und apropos „literaturhistorisch“:

„Tatsächlich zeigt ein wesentlicher Zweig des deutschen Krimis seine Stärke nicht so sehr im Bereich der Spannung, sondern eher der Moral. Nach dem Vorbild des schwedischen Schriftstellerteams Maj Sjöwall und Per Wahlöö geben die Kriminalautoren hierzulande ihren Büchern schon seit den sechziger Jahren gern einen mal mehr, mal weniger donnernden sozialkritischen Unterton. (…) Neben diesem sogenannten Sozio-Krimi gibt es (…)“

Hä? Sozio-Krimi? Sjöwall / Wahlöö? Wahrscheinlich eilte Herr Wittstock nach Beendigung dieses Artikels in den Hamburger „Star-Club“, um eine aufregende neue Band namens The Beatles anzuhören. Denn anders als mit einem fatalen Hang zur anachronistischen Lebensbetrachtung ist das hier kaum zu entschuldigen. Abgesehen davon, dass der große aktuelle Moralist Mankell heißt. Abgesehen davon, dass etwa 2005 eine überraschend und erfreulich hohe Zahl deutscher Krimis moralfrei oder doch wenigstens moralarm war. Abgesehen davon, dass sozialkritisch nicht gleich moralisch heißt.

6 Gedanken zu „Aaaargggh!“

  1. Und wenn Regionalkrimis so uninteressant sind, warum müssen wir dann Ystad-Krimis lesen und die Schweden keine Eifelkrimis? Ist doch Quatsch. Und es werden regelmäßig deutsche Krimiautoren (Eckert, Heinichen, Hammesfahr nur in den letzten 2 Jahren und da gab es noch ein paar, die ich nicht gelesen habe) veröffentlicht und haben zumindest hier in Québec eine gute Presse.
    Ich teile dein genervtes Aufstöhnen und geh jetzt erstmal einen völlig unübersetzten quebecker Autor lesen, ist auch noch „roman noir“ , also von Spannung (fast) keine Spur.
    Liebe Grüße
    barb

  2. Sach ma dpr,

    ist denn überhaupt die Begründung der These des Welt-Artikels glaubwürdig, dass die Zahl der Übersetzungen aus dem Amerikanischen zurückgegangen ist, weil die Übersetzer zu viel Geld erhalten und die Verwertungsrechte an den Büchern zu teuer sind ?

    Wahr ist natürlich, dass einige der herausragenden amerikanischen Autoren nicht (spät) übersetzt werden. Aber dafür kann es natürlich auch andere Gründe geben (z.B. die Leser kaufen die Bücher nicht).

    Aus anderen Regionen dieser Welt, erreichen ja zahlreiche Bücher übersetzt den deutschen Markt. Sind deren Rechte billiger ? Deren Übersetzungen könnten ja ähnlich viel kosten. Das was ich von Übersetzern mitbekomme, deutet für mich nicht darauf hin, dass sie sich eine goldene Nase verdienen (das mag ja bei EdelübersetzerInnen wie Biermann und Haefs anders sein).

    Und wie teuer können die Rechte sein, wenn die großen amerikanischen Verlage (die sich ja teilweise auch in deutscher Hand befinden) die auflagenstarken Bücher für mich in Übersee für teilweise unter 6 € verfügbar machen. Ich kann mir ja vorstellen, dass die kleineren Verlage da ihre Probleme haben, aber die großen ?

    Bei den großen Verlagen habe ich eher das Gefühl, dass ihnen Konzepte abhanden gekommen sind, die pushen halt Bücher, aber keine Autoren.

    Beste Grüße

    bernd

  3. Hallo Bernd,

    was diesen Kostenanstieg bei den Verwertungsrechten anbetrifft, bin ich überfragt. Das müssen Insider wie Herr Dr. Booß (auf den ja diese These zurückgehen dürfte) beantworten. Dass gestiegene Übersetzerhonorare für den „neuen Trend“ verantwortlich sind, glaube ich eher nicht. Die Bezahlung ist nach wie vor bescheiden.
    Letztlich ist es eine Sache der Marktmechanismen. Was sich gut verkauft, wird auch für teuer Geld genommen, wofür man keine „Nische“ sieht, wird selbst umsonst verschmäht. Ich kann ja verstehen, dass die Risikobereitschaft von Verlagen, die ökonomischen Zwängen unterliegen, begrenzt ist. Umso schöner, wenn uns gelegentlich bewiesen wird, dass man auch mit scheinbar unverkäuflichen, weil „exotischen“ oder unkonventionellen Titeln noch Geld verdienen kann.
    Es mögen ja manche frohlocken, wenn tatsächlich ein Deutschkrimi-Boom als Folge höherer Lizenzkosten stattfinden würde. Ich bin da eher skeptisch. Die Qualität wird insgesamt sinken, denn dass nun eine bessere Chance für „gute deutsche Krimis“ besteht, glaube ich ebenso wenig wie die Mär von den vielen, vielen tollen Manuskripten, die da in irgendwelchen Schubläden schlummern und nur auf den Verlegerkuss warten.

    bye
    dpr

  4. Natürlich ist ein „Deutschkrimi“ – zumal ein Erstling – billiger, wg wegfallender Übersetzungkosten. Das kann aber, im Erfolgsfall, anders werden – wg. höheren Vorschüssen. Übersetzungskosten sind minimal (wenn überhaupt) gestiegen, in den letzten Jahren. Die Beteiligungsdiskussion allerdings ist im Moment aus Interessengründen hochgejazzt und dramatisiert. „Kleinere“ Sprachen, vor allem die Skandinavier, fördern natürlich kräftig Übersetzungen, auch das ein Co-Grund für die Skandinavienwelle.
    Ob die Anzahl US-amerikanischer Übersetzungen zurückgegangen ist – schwer zu sagen. Tatsache ist aber auch, dass grosse amerikanische Verlage sich auf weniger Titel konzentrieren, da aber alle finanzielle und infrastukturelle Power reinhängen. Das hat zum Exitus für viele Mid-List-Autoren geführt (= ca. 10.000 plus Auflage), die ihre Stammverlage verloren haben und damit auch ihre Infrastruktur. Zudem vergeben Agenturen oft Rechte lieber gar nicht für billigeres Geld, weil sie den Status ihres Autors auf dem amerikanischen Markt definieren und nicht einsehen, dass andere Märkte anders ticken. Sie wollen dann aussichtlose Summen, statt sich mit weniger zufrieden zu geben. Das selbe Prinzip der schnelle Dollar, erklärt dann auch hin und wieder die Verlagswechsel von Indies zu Konzernverlagen.
    Ansonsten, lieber dpr, ja so isses …
    Und natürlich ist der Deutschboom nicht per se ein Qualitätsboom – der wiederum ist einfach dem Ingenium einzelner AutorInnen geschuldet, die zur Zeit die richtigen, guten Bücher geschrieben haben & das Glück hatten, beim richtigen Verlag zu landen und eine günstige „Stimmung“ zu erwischen. Das sind aber so ca 10 Fälle, in den letzten Jahren. Aber immerhin
    Best
    TW

  5. Ein kleiner Blick vielleicht noch auf den Istzustand des deutschen Krimimarktes: Joe R. Lansdale. Ein toller Autor, keine Frage. In den 90ern bei Rowohlt, dann Dumont, Maas, Shayol. Letzterer ein „non-profit Unternehmen“, „Sturmwarnung“ wurde mit finanzieller Unterstützung der Hammett-Buchhandlung Berlin veröffentlicht. Ich habs noch nicht gelesen, mich aber gefreut, ein dermaßen liebevoll und schön gemachtes Büchlein in Händen halten zu dürfen.
    So. Und was, wenn Shayol ein gewinnortientiertes Unternehmen wäre? Kein Sponsor bereitgestanden hätte? Hm. Nix „Sturmwarnung“ vielleicht. Dafür aber auch noch das letzte Produkt deutschen Amateurkrimischaffens, den miesesten langen Sechstklässlerversuch einer dringendst zu alphabetisierenden armen Seele. Damit wir uns richtig verstehen: Das funktioniert auch andersrum. Mist aus Übersee, während gute deutsche Autoren (Peter J. Kraus, where are you?) vor die Tür gestellt werden.
    Also: Auch wenns etwas schwieriger ist, weil einem nicht aus jeder Buchhandlung die Hochglanzprospekte entgegenflattern, auch wenns den einen oder anderen Euro mehr kosten sollte: Habt ein besonderes Augenmerk auf die Kleinen, die Selbstausbeuter, auf die Mittleren auch, die was wagen, und wenn ein Großer was Großes herausbringt, wollen wir ihn auch loben. Klar doch.

    bye
    dpr

  6. „Tatsache ist aber auch, dass grosse amerikanische Verlage sich auf weniger Titel konzentrieren, da aber alle finanzielle und infrastukturelle Power reinhängen“

    Klar, Bücher als Handelsware.

    Vielleicht noch der Hinweis auf Hard Case Crime, die mit ihren retro-angehauchten Konzeptbüchern und einer geschickten Mischung zwischen Alt und Neu (wohl teilweise eigens geschrieben) auch bei uns Aufmerksamkeit erzielen.

    Preis für diese Bücher einschließlich Transport USA-Europa: 5,49 €

    Diese Bücher mögen vielleicht nicht immer den artisanal gestimmten Literaturkritiker glücklich machen, aber einige ausgezeichnete Bücher sind dabei.

    bernd

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