Joe R. Lansdale: Sturmwarnung

Die Geschichte beruht auf Tatsachen. Im September 1900 zerstörte ein gewaltiger Hurrikan die dem texanischen Festland vorgelagerte Insel Galveston und riss 6000 Menschen in den Tod. Lansdales Roman, der die letzten Tage vor der Katastrophe und diese selbst schildert, ist Fiktion. Und zugleich von größter Wahrhaftigkeit.

Der junge schwarze Boxer Li’l Arthur hat den weißen Inselchampion verprügelt und ist nun Vereinsmeister des Sporting Club. Dessen Bosse diesen Affront rächen wollen und den weißen Profiboxer McBride engagieren. Er soll Arthur in seine Schranken verweisen, totschlagen wäre noch besser.

Mit McBrides Ankunft auf der Insel eröffnet Lansdale nun ein Panoptikum der Dumm- und Borniertheit, der Brutalität, des Selbstbetrugs. Prostituierte werden erniedrigt und verprügelt, ein Ehrenmann, keuchend beim homosexuellen Akt, beteuert, natürlich nicht schwul zu sein, ein Mädchen wird verführt, verlassen und in den Selbstmord getrieben. Und über allem, in allem: der tumbe Rassismus. Derweil sich über dem Golf von Mexiko jener Sturm zusammenbraut, der sich überraschend zu einem Jahrhundert-Hurrikan auswachsen und dem lasterhaften Treiben ein nasses Ende bereiten wird.

Denn, wir ahnen es längst: „Sturmwarnung“ ist ein Gleichnis, die Überführung eines biblischen Szenarios auf den Boden der Tatsachen, die auch sprachlich nackt, das heißt unverblümt daherkommen. Die große Sintflut wird alle bestrafen, kein Noah zwar in Sicht, aber Hoffnung schon. Sie erwächst ironischerweise aus einer der brutalsten Szenen des Buches, als ein Säugling mit einer Hand an einen Holzbalken genagelt wird. Jesus lebt.

Das alles wäre vielleicht nicht weiter der Rede wert, besäße Lansdale nicht die Gabe, uns seine Geschichte mit der ganzen Kraft eines mehr als nur talentierten Erzählers auszubreiten. Da stimmt nun alles: die Sprache, die so roh ist, dass man sie besonders sensibel handhaben muss, die Dramaturgie aus Hauptstrang (die Vorbereitung auf den Boxkampf) und Nebensträngen, schließlich das Ende, das ein überraschendes und doch das einzig wahre ist.

Nur: Ist „Sturmwarnung“ überhaupt ein Krimi? Wird gemordet, wird aufgeklärt, wird ein konkretes Verbrechen gesühnt? Lansdale hat „Sturmwarnung“ so geschrieben, wie ich mir das von jedem Autor beliebiger Kriminalromane wünsche. Nein, es wird nicht gemordet – und doch, es wird gemordet, auf einer höheren Ebene gewissermaßen, durch Dummheit und zynische Berechnung. Man verstößt nicht erkennbar gegen das Recht, aber ständig gegen die Gerechtigkeit, und schließlich ist es das Böse selbst, das den Keim zum Guten in sich trägt.

Wer einen Kriminalroman nach den Mustern absucht, die angeblich das „Genre“ ausmachen, wird an „Sturmwarnung“ keinen Spaß haben. Wem das furchtbar Ordinäre in einer zur Gesellschaftsfähigkeit verkrüppelten Sprache serviert werden soll, der greife besser zu den petit fous, die einem jeder Krimi-Partyservice gerne auftischt. Allen anderen sei „Sturmwarnung“ dringend ans Herz gelegt.

Und noch dies: Ich beurteile Bücher nicht nach ihrem Äußeren, hier aber hätte es Sinn gemacht. Ein liebevoll gestaltetes, mit hübschen Illustrationen angereichertes kleines Werk. Sehr schön.

Joe R. Lansdale: Sturmwarnung. 
Shayol 2006. 166 Seiten. 9,90 €

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