Catherine Gildiner: Verführung

Es sind nicht die Schlechtesten, die Sigmunds Freuds Psychoanalyse für das Erklärwerk eines phantasiebegabten und durchaus cleveren Ermittlers halten, der den Fährten im kriminellen Alltag der Psyche folgte und am Ende die Übeltäter vermittels Interpretation dingfest machte. Man muss nicht so weit gehen wie Vladimir Nabokov, der Freud einen Kurpfuscher nannte. Aber man kann darauf verweisen, dass Freud vielleicht doch eher ein Fall für die Literaturwissenschaft wäre und, im Gegenzug, ein ganzer Stapel Bücher der letzten 200 Jahre stattdessen ein Fall für die Psychologie, da dort „Wahrheiten über die Psyche“ besser erhellt, jedoch kaum „erklärt“ werden. Nun denn: Jetzt ist Freud, der Ermittler, selbst Gegenstand einer Ermittlung geworden, in Catherine Gildiners „Verführung. Ein Freud-Krimi“.

Kate Fitzgerald hat – sie weiß nicht warum – ihren Mann getötet und sitzt seit neun Jahren in einem kanadischen Gefängnis, wo sie allmonatlich eine Therapiestunde beim verhassten Dr. Gardonne über sich ergehen lassen muss. Dieser kann mit einer günstigen Beurteilung Fitzgeralds vorzeitige Freilassung erwirken – oder sie mit einer ungünstigen auf Lebenszeit hinter Gittern lassen. Das birgt ein hohes Erpressungspotential. Dann macht Dr. Gardonne seiner Patientin ein überraschendes und seltsames Angebot. Fitzgerald, die sich im Gefängnis zu einer anerkannten Freud-Spezialistin ausgebildet hat, soll schweren Schaden von der Psychoanalyse und ihrem Begründer abwenden. Anders Konzak, immerhin Direktor der Freud-Akademie, hat öffentlich Enthüllungen angekündigt, die Freud als Scharlatan und die Psychoanalyse als großes Schwindelgebilde entlarven würden. Konkret: Hat Freud die „Verführungstheorie“ wider besseres Wissen, aus reinen Karrieregründen verworfen und stattdessen die „Ödipustheorie“ favorisiert, inzestuösen Missbrauch ergo als Phantasieprodukt der kindlichen Psyche „verharmlost“?

Fitzgerald soll herausfinden, was Konzak weiter plant und wer seine Informanten sind. Ihr zur Seite steht der Ex-Häftling Jackie, ein Raubein, aber nicht dumm, jetzt als Detektiv durchaus erfolgreich. Das ungleiche Paar reist nach Wien, alles beginnt wunschgemäß. Kate becirct Konzak, doch dann – es ist schließlich ein Krimi – ist Konzak tot, ermordet.

Spätestens hier hat sich Gildiners Roman geteilt. In einen konventionellen, durchaus turbulenten und gut konstruierten Whodunit, der – auch das eine bekannte Konstellation – das gegensätzliche, sich schlagende, sich vertragende Ermittlerpärchen durch die Weltgeschichte führt, von einem Mord zum nächsten, denn der unheimliche Täter, der Freud mit allen Mitteln „schützen“ möchte, ist stets einen Schritt voraus. Und in einen, nun ja, nennen wir es: bildungsbürgerlichen Teil, der die Geschichte und Windungen der Psychoanalyse in Gesprächen und Gedanken der Protagonisten reflektiert. Beide Teile greifen sehr wohl ineinander und treiben sich gegenseitig Richtung Ende. Manchmal allerdings etwas zu bemüht, zu gewollt, jede Enthüllung ein kleines psychoanalytisches Exempel.

Man muss Gildiner zu gute halten, dass sie ein durchaus zwiespältiges Bild dieser Theorie entwirft, vor allem dadurch, dass sie uns ihre Akteure als bunten und nicht selten korrupten Verein schildert. Da gibt es Freaks und Karrieristen, Traumatisierte, die Schuld auf sich geladen haben – und es gibt Anna Freud, Tochter und Sachwalterin der Psychoanalyse, die höchstselbst im Roman eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Wie denn überhaupt Historisches von Gildiner sehr frei übernommen und zurechtgebogen wird. Freud etwa kommt in den Genuss zusätzlicher Lebensjahre, Charles Darwin taucht auf und tut Dinge, die er in Wirklichkeit nicht getan hat. Aber okay. Es ist ein Roman.

Am Ende laufen die beiden Teile wieder zusammen. Nach mehreren Tötungsdelikten, den üblichen Entlarvungen und Verdächtigungen der große Showdown – und der ist die große Schwäche des Buches. Die Psychoanalyse selbst liefert das Motiv, welches wiederum auf sehr vertrackte Weise Freuds Theorien bestätigt. Das ist wenig nachvollziehbar wie auch, ohne zuviel zu verraten, die praktische Umsetzung der bösen Taten allzu an den Haaren herbeigezogen plausibel gemacht werden soll.

Fazit: Ein durchaus lesenswerter Kriminalroman, selbst für diejenigen, die seinen Gegenstand nicht besonders ernst nehmen. Als „Einführung in die Psychoanalyse“ weniger geeignet, als Zeugnis des Pro und Contra dagegen unverächtlich. Wenn nur dieser handgeschnitzte Schluss nicht wäre.

Catherine Gildiner: Verführung. Ein Freud-Krimi.
Kindler 2006. 507 Seiten. 19,90 €

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