Jetzt sind Punk und Pop versöhnt, wenn nicht gar verheiratet. Wahnsinn, tönte es Anfang der 90er. Als Nirvanas „Nevermind“ erschien. Aber was noch viel wahnsinniger ist: Punk und Pop sind schon wieder miteinander im Bett gelandet. Und diesmal klingt es ganz anders. Das Quartett aus England, um das es hier geht, wird von Carl Barat angeführt. Und der spielte einst mit Pete Doherty bei den Libertines. Genau wie der Drummer der Band. Und der Gitarrist hat ebenfalls Libertines-Meriten: er ersetzte Doherty nach dessen Weggang.
Schon optisch muss man sich die Dirty Pretty Things als Gegenstück zu den schluffig-sympathischen Grungern von Nirvana vorstellen. Eben so, wie der Name schon sagt: dürre junge Männer in dunkler Kleidung. Speckige, dreckstarrende Jeans. Lederjacke. Düstere Mienen und dicke Ringe unter den Augen. Rattige Haare. Vielleicht so wie die Strokes, aber nicht so betont understatig und fohlenhaft hip. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man, dass das tatsächlich ein Haarschnitt ist, was der Sänger der Dirty Pretty Things da hat. Sogar ein irgendwie romantischer. Wie ihn Richard Ashcroft vor einigen Jahren wieder einführte.
Und so ähnlich verhält es sich auch mit ihrer Musik. Huch! Jetzt aber gut anschnallen, denkt man, wenn die Dirty Pretty Things loslegen. Wenn sie ihren scharfzahnigen, rasanten Gitarrenrock abfeuern. Aus allen Rohren gleichzeitig schießen, als gelte es, in Sachen Wall of Sound und Geschwindigkeit zugleich einen neuen Rekord aufzustellen.
Schnörkellos und dreckig – quick and dirty eben, wie die „Dinger“ schon im Bandnamen ankündigen. Druckvoll und geradeaus, als gute Adepten der Punk-Ästhetik. Aber mindestens so verspielt und mit einem Faible für Garagenrock und Collegesound versehen wie zum Beispiel die Ramones.
Und da beginnt die harte Schweinrock-Oberfläche schon aufzubrechen. Denn die Dirty Pretty Things sind Erfinder großer Popmelodien. Nicht nur die Single „Bang Band you´re dead“ hakt sich gnadenlos im Ohr fest. Geschickt verpackt die Band ein ums andere Mal kleine Hymnen in ihren gnadenlosen Sound. Und selbst in diesen webt sie einiges an Raffinesse ein. Variiert die Arrangements so geschickt, kostet ganze Harmonielinien so lustvoll aus und schwelgt in rauem, aber virtuosem Satzgesang, dass man ahnt, wie viele Stunden die Herrschaften früher mit ihren Beatles-Platten verbracht haben.
Weitere Vergleiche fallen einem ein: auch Franz Ferdinand berherrschen viele der genannten Tugenden. Aber die Dirty Pretty Things sind geerdeter, verzichten auf den allzu deutlich jugendlichen Popglamour der Kollegen. Und da waren doch noch diese… ja, genau: Weezer. Wenn´s um knackig-melodischen Collegerock geht, tauchen ihre Umrisse unweigerlich am Reminiszenzen-Horizont auf. Aber „Waterloo to anywhere“ klingt, als hätte man Meisterproduzent Ric Ocasek im Studio die Hände auf den Rücken gefesselt. Oder ihn gleich in Troubadix-Manier zum handlichen Päckchen verschnürt für die Produktionsdauer in den Baum gehängt. Damit er nicht seinen – zugegeben grandiosen – Popcandyglibber über die Songs gießen kann. All diesen Versuchungen haben die Dirty Pretty Things widerstanden.
Das Ergebnis ist ein Debütalbum. das in zwei Sessions in Los Angeles und Glasgow aus dem Boden gestampft wurde und vor Energie nur so Funken schlägt. Die meisten Songs sind offenbar erst rund um die Aufnahme entstanden. Und mag der Sound einem auch wohlig bekannt vorkommen – die Kraft, Sexyness und Stilsicherheit des Werks ist einfach nur meisterlich und eine Riesenfreude!
Dirty Pretty Things Waterloo to anywhere Mercury/Universal VÖ: 5.5.2006