Bernice Rubens: Das Wartespiel

Ein exklusives Altersheim nahe Dover, „an der Straße nach Paris“, und das in einem Krimi einer englischen Autorin. Na servus. Sitzt da nicht Miss Marple schon kombinierend im Plüschsessel? Wird das nicht alles von sehr sehr britisch-skurriler Landhausluft umweht? Kommen wir zu etwas ganz anderem: Bernice Rubens’ „Das Wartespiel“. Ort der Handlung: ein exklusives Altersheim nahe Dover, „an der Straße nach Paris“.

Alles beginnt wie erwartet. Wir machen die Bekanntschaft der Insassen des Seniorenheims und nicken ab, was uns da vorgestellt wird. Den Alten, der eine Liste jener führt, die er schon überlebt hat und der beim Frühstück den Gesundheitszustand seiner Mitbewohner taxiert, in der Hoffnung, bald einen neuen Namen auf diese Liste schreiben zu können. Ein wenig Rassismus, ein bisschen Antisemitismus, eine Prise schmutzige Sexphantasie, sehr viel Heuchelei und noch mehr kalter Zynismus bestimmen dieses „Wartespiel“, dessen Regeln so einfach sind: Du kannst der nächste sein, den es dahinrafft, gewonnen hat, wer übrigbleibt.

Bernice Rubens erzählt die Geschichte des Heimes Hollyhocks mit der Beweglichkeit einer Autorin, die nicht im engen Korsett herkömmlicher Krimimuster steckt. Die Verbrechen stellen sich ein wie perfektes Dienstpersonal, das die Geschichten unauffällig und diskret mit Spannung versorgt. Die Heimleiterin, die einfach nur „Leiterin“ heißt und ansonsten keinen Namen hat, ist geldgierig und gelegentlich die Oberzynikerin des Ladens, macht, als sich eine ihrer Schutzbefohlenen die Kehle durchschneidet, einen Fehler und wird fortan von einer anderen Schutzbefohlenen erpresst. Eine Frau, vom Ehemann sexuell misshandelt, jetzt Witwe, kommt vom Regen in die Traufe und gewinnt endlich Haltung, indem sie sämtliche Contenance verliert. Ansonsten wird in diesem Buch viel gestorben, mehr oder weniger natürliche Abgänge, denen zur Fortführung des Wartespiels Zugänge folgen, Miriam Feinberg, jüdische Exilantin aus Wien etwa, die ihr Schicksal tätowiert auf dem Arm trägt und mit der das Verbrechen schlechthin Einzug hält ins beschauliche Hollyhocks.

Nein, das ist kein Kriminalroman der üblichen Sorte. Er ist viel besser, auch weil Rubens’ das verblüffende Kunststück gelingt, die anfängliche Klarheit der Verhältnisse und Personen bis zur Kenntlichkeit zu verwischen. Bis zur Kenntlichkeit, ganz genau. Ich habe selten einen Roman gelesen, in dem sich Komik und Tragik so offenkundig aus einer identischen Quelle speisen und so zu einer natürlichen Einheit werden; in dem sich hinter dem Plakativen der einleitenden Personenzeichnungen allmählich Seelen öffnen, die schlichtweg alles enthalten, was menschliche Seelen enthalten können. Man kann bei der Lektüre dieses Romans herzlich lachen und gleichzeitig erbärmlich weinen, über diese dahinwelkenden Ekel, die nimmermüde plappernden Smalltalkmaschinen, die Angst, für die es keine Namen gibt, die Wut auf die anderen, die doch nur so sind wie man selbst.

Ein Meisterwerk wie ein Teppich aus Zeichen, vieldeutig und doch so in der Wirklichkeit, dass es manchmal wehtut. Ein Krimi, der die Krücken des Genres von sich geworfen hat und munter über sämtliche Muster hüpft, ein Solitär, zu dem wir in Deutschland überraschenderweise ein passendes Gegenstück besitzen, auf dessen Namen bitte jedermann von alleine kommen möge.

dpr

Bernice Rubens: Das Wartespiel. 
Pendragon Verlag 2004. 307 Seiten. 19,90 €

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