Eleanor Taylor Bland ist so etwas wie die große alte Dame des afroamerikanischen Krimis. Heldin ihrer derzeit 13 Bücher ist Marti MacAlister. Diese zog gemeinsam mit ihren zwei Kindern, nachdem ihr Mann im Dienst als Polizist erschossen wurde, von Chicago nach Lincoln Prairie, einer kleinen Gemeinde mit 60.000 Einwohnern, und arbeitet dort seitdem als Kriminalpolizistin.
„Windy City Dying“ greift auf Marti MacAlisters ersten Fall in Lincoln Prairie zurück. Damals war sie auf eine Gruppe von Kindern gestoßen, die mitten im Winter, als Ausreißer, ohne Erwachsenen in einem verlassenen Gebäude zu überleben versuchten. Jetzt sind die Kinder älter geworden, einige haben Pflegeeltern gefunden, andere sind in die Mühlen der Jugendfürsorge geraten. Jose, eines der Kinder, mittlerweile 15 Jahre alt, ein stiller, zurückhaltender, mitunter zorniger Junge, wird im Haus seiner derzeitigen Pflegeeltern am Leichnam einer Pflegetochter der Familie, voll mit deren Blut, gefunden. Er gilt als tatverdächtig und wird in Gewahrsam genommen.
MacAlister versucht das Leben der beiden Jugendlichen zu rekonstruieren. Gar nicht so leicht, wenn diese regelmäßig Pflegeheime und Pflegeeltern wechseln. Parallel hierzu blendet die Autorin immer wieder zu einer anderen Figur über. Dem Mörder, wie wir bald erfahren. Der, einst verurteilt, will alle Beteiligten seines damaligen Verfahrens wie Staatsanwältin, Richterin, Geschworene dadurch verletzen, dass er deren Verwandte ermordet, und dessen ultimatives Ziel MacAlister selber ist.
Darüber hinaus packt Eleanor Taylor Bland in „Windy City Dying“ ein ganzes Bündel interessanter Erzählstränge und formt daraus ein schlüssiges Ganzes. Unrecht kommt im Dutzend. So werden die Nachforschungen MacAlisters und ihres polnischstämmigen Partners immer durch die Entdeckung sozialer Missstände unterbrochen, so dass die Polizistin wiederholt zur Sozialarbeiterin mutiert.
Anders als bei vielen ihrer afroamerikanischen Kolleginnen stehen Rassekonflikte nicht im Vordergrund der Bücher Eleanor Taylor Blands, diese werden eher von Identifikationsfragen um die eigene Rasse und sozialen Konflikten dominiert. Dennoch, in „Windy City Dying“ spielt der Konflikt zwischen Hispanoamerikanern und den anderen ethnischen Gruppen eine wichtige Rolle. Der Mord passierte in dem Haus eines aufstrebenden hispanoamerikanischen Politikers, der, natürlich, die mangelnde Motivation der Polizei bei der Aufklärung des Falles zu spüren meint.
Es erstaunt mich immer wieder, wie gelungen die Bücher Blands wirken. So ist auch „Windy City Dying“ spannend, finessenreich und durchdacht. Vielleicht etwas „cozy“ und nicht ganz so hipp, ganz so….kristallin wie die der jüngeren (meist männlichen) Dominatoren der Branche, aber auf einem sehr hohen Niveau. Sie schreibt handwerklich gelungen und hat sich zudem für mich schon lange als soziale Stimme etabliert, die unseren Blick auf die Opfer der sozialen Umstände lenkt, und ihnen gleichzeitig Würde verleiht. Es ist vermutlich ihre warmherzige, leicht naiv wirkende Art, die dazu führt, dass die 1944 geborene Autorin in Amerika immer wieder als Entdeckung gefeiert wird.
Eleanor Taylor Bland: Windy City Dying.
St. Martin Minotaur 2003. 324 Seiten. 13,50 € (Amazon-Preis).
(Noch keine deutsche Übersetzung)