Déjà vu

“ Die deutsche Verlagslandschaft und lesbare Bücher über Kriminalliteratur – ein unendliches Trauerspiel.“

Keine optimistischen Worte, mit denen Thomas Wörtche seine →aktuelle crime watch – Kolumne beginnt. Eine Feststellung, die man sauer/betrübt abnickt – und die einen daran erinnert, dass es auch anderswo – Stichwort „lesbare Bücher“ zu ir-gend-et-was – kaum weniger zu heulen gibt. Als wenn das ein Trost wäre.

Ende der Neunziger beschäftigte ich mich für ein Buchprojekt über die nicht ganz unbekannte kanadische Singer / Songwriterin Joni Mitchell mit Sekundärliteratur zu Rock- und Folkmusik. Schöne Gelegenheit, zunächst einmal die Bestände an vernünftiger Literatur über diese „Genres“ zu sichten, die deutschen zumal. Und siehe: Das Grausen hätte nicht existentieller sein können. Es gab (und gibt) hierzulande fast nichts, was man empfehlen könnte, und wenn doch, dann zumeist aus dem Englischen übersetzte Titel. Die wenigen rührigen Verlage sind klein (Hannibal, Palmyra etwa) und müssen sich, wollen sie überleben, auch schon mal in die Niederungen des ebenso prächtigen wie letztlich monoton nichtssagenden Bildbands, der geschwätzigen Fünfminuten-Biografie über die neueste Sensation oder die 150. Bob Dylan-Biografie retten. Nichts gegen Dylan. Aber die gleichwertige Joni Mitchell war bis zu jenem Zeitpunkt Ende der Neunziger auf dem deutschen Musikbuchmarkt nicht vorhanden.

Ganz anders in Großbritannien, ganz anders in den USA. Hervorragende Biografien auch zu nicht marktgängigen Künstlern, präzise Dokumentationen von Epochen und Stilen, scharfsinnige Reflexionen. Nur wenig davon hat es ins Deutsche geschafft, Greil Marcus die große Ausnahme. Stattdessen wurde man mit „Die 100 größten Singles“, die „100 besten Bands“, „Meine 57 Lieblingsalben“ überschwemmt, fast ausnahmslos halbprofessionell runtergewichstes Zeug mit der Haltbarkeit eines Rinderhacks.

Hm, das liegt vielleicht, denkt man, an den deutschen Autoren. Die bringen’s einfach nicht. Als ich dann selbst versuchte, mein Manuskript an den Verlag zu bringen, erlebte ich allerdings eine böse Überraschung. Ich will nun nicht behaupten, es sei ein besonders gelungenes Manuskript gewesen – so etwas sollen andere behaupten -, aber selbst wenn: Es wurde, kaum angekommen, auch schon wieder zurückexpediert. Mit der identischen Begründung, ja, Joni Mitchell sei schon eine Größe, aaaaber: Sie toure nicht. Jedenfalls nicht durch Deutschland. Man könne folglich ein Buch über sie nicht vor und nach den Konzerten an die begeisterten Fans bringen. Oder mit anderen Worten: Eine Biografie über die platten Rockröhren dieser Welt hätte man wohl genommen.

Dann liegt es, denkt man, an den Fans. Die lesen nicht gerne ÜBER, sondern hören lieber VON. Oder ergötzen sich an opulenten Bildbänden, die 400 mal das Gesicht eines Stars abbilden, 200 mal lächelnd, 100 mal nachdenklich, 100 mal mit irgendwelchen anderen Berühmtheiten bei Stehparties. Das mag sein. Und fände seine Entsprechung in der traurigen Situation auf dem Markt für Krimi-Sekundärliteratur. Popmusik und Krimis sind Konsumprodukte, schnell genossen, schnell vergessen, schnell durch andere ersetzt. Nur, wie erklärt sich dann der durchaus blühende Markt für solche Genres anderswo? Über die „Kulturlosigkeit“ der Amerikaner kann man sich locker mokieren, und gewiss überwiegt auch dort der schnellverfertigte Mist. Aber irgendwie hat man es geschafft, kleine, feine Märkte aufzubauen und mit hochwertigen Produkten zu bedienen, die in zwar letztlich marginalen, aber doch für die Verlage genügenden Stückzahlen abgesetzt werden. In Deutschland gelingt das wohl nicht. Warum auch immer.

10 Gedanken zu „Déjà vu“

  1. Lieber dpr,
    ja! Ich könnte allerdings noch „verstehen“, naja, wenn die Krimi-Sekundärliteraturproduktion nach Moden ginge, wie die über Pop-Musik – aber das tut sie ja gerade NICHT! Das wahrhaft Gruslige ist, dass auch an sich vernünftige Verlage wie Beck, die DVA, Reclam etc. solche Galimathiase der Inkompetenz überhaupt machen – und dann, wenn sie dafür auf den Rüssel kriegen, sagen: Alles Meinung. Die einzige Reaktion des Reclamverlages zum Beispiel auf die Prügel für das Krimi-Lexikon war: Mir keine Rezensionsexemplare ganz anderer, sogar vorzüglicher Bücher, mehr zu schicken. Sie haben tatsächlich andere Autoren des Hauses dafür bestraft, dass das Haus ein schwachsinniges Buch verlegt hat. Als ob ich der einzige gewesen wäre, der dagegen Einwände hatte und als ob nicht 99% aller Enwände gegen dieses Schandstückleins durch einfaches Nachschlagen zu objektivieren gewesen wären.
    Völlig irre …
    Bei Ulrike Leonhardt hatte der Beck-Verlag bei mir ein langes Gutachten bestellt und sagte, nachdem ich nach langen Fakten-Reihen vor der Veröffentlichung warnte: Tja, Sie haben sicher recht, aber der Vertrag zwingt uns zur Veröffentlichung, es wird schon niemand was merken. Und haben flugs eine Positiv-Rezension in der FAZ initiiert, die genauso ahnungslos war und dann gesagt: Siehste, die FAZ … Dieses Umdrehen von Ahnungsloskeit in Überlegenheit, glaube ich, ist das wirkliche Problem und das haben wir fast jeden Tag in den großen Blättern, in der SZ, in der FAZ, in der WELT … Irgendjemand deliriert über Bücher und Autoren, nur: Ahnungslos muß er/sie sein, das ist schon fast ein Qualitätskriterium.
    Musikbücher ticken anders, bei Jazzbüchern zum Beispiel hab ich sogar den Eindruck, dass es dort eher qualitativ sinnvoll zugeht.
    Jo, trübe, aber Realität, mit der man umgehen muß. Und schlauer sein
    Cheers
    TW

  2. Moden, sicher, lieber TW,

    aber eben nicht nur. Alles was du an soliden Grundlagenwerken über populäre Musik kaufen kannst, kommt aus dem Ausland und ist selten übersetzt. Eine große Chance hast du allerdings, wenn du ein soziologisch verquastes Werklein über Popmusik schreibst – dann erscheints bei Suhrkamp. Sicher ist dieses „Das merkt schon keiner“ Ausdruck einer allgemeinen Geringschätzung denkender Leser, die man, scheint’s, im Krimifach ebenso wenig erwartet wie bei Pop und Rock. Hätte die von dir genannte Dame über die Gruppe 47 geschrieben, wären ihr die Verrisse wahrscheinlich nur so um die Ohren geprügelt worden. Inkompetenz als Weltanschauung: Das ist natürlich das generelle Problem, darüber müssen wir (leider) gar nicht viel diskutieren. Man müsste schon Kriminal- zur Hochliteratur aufpushen, mit allen negativen Folgen allerdings, wobei die negativste das Weginterpretieren des Trivialen wäre. Königswerk wäre natürlich, Kriminalliteratur einfach als Literatur wahrzunehmen und zum Sprechen zu bringen. Das allerdings, wem sag ich das, scheitert nicht nur an der allgegenwärtigen Inkompetenz, sondern auch am elenden Zustand der Hierarchien. Ein miserables Buch über Kafka macht sich in meiner Bibliografie immer noch besser als ein gutes über Heftkrimis in der Weimarer Republik.

    bye
    dpr

  3. Es fehlt hierzulande in erster Linie an einer Basis für intelligente Sekundärliteratur über Populär- und ganz besonders Kriminalliteratur. Etablierte Wissenschaftler wagen sich nicht ran, überlassen oder übertragen einschägige Arbeiten Anfängern. Deren Kenntnisse sind gering, denn sie haben ja fast nichts auf das sie aufbauen könnten. Die Arbeitsergebniss sind mager und werden durch neuere Theorien oder modisches Geschwätz aufgeplustert. Die Verlage bringen es dennoch, kaufen sich positive Rezensenten und die Leute lesen es. Aber in Zukunft werden sie die Finger davon lassen und, wenn sie können, fremdsprachige Sekundärliteratur lesen. Vielleicht ist die Bibliographie von Mirko Schädel der Wendepunkt.
    Kluge Literatur über Jazz ist ein case in point. Ich kenne mich da nicht so aus. Aber ich denke, seit dem legendären Jazzbuch von Behrendt hat es eine recht kontinuierliche Kette von guter Literatur in deutsch über Jazz gegeben.
    Aber ein wenig liegt die Misere auch an den Kriminalromanlesern. Ich habe den Eindruck, das Interesse für die Geschichte ihres Genres ist bei den Lesern von Phantastik, Sci-Fi, Abenteuerroman viel größer. Geben Sie mal den Namen eines älteren zweitrangigen deutschen Populärautors bei Google ein und Sie werden das bestätigt finden. Der Krimi boomt heute und seine Leser leben in einer fröhlichen Jetztzeit. Die anderen populären Literaturgenres müssen sich vielleicht ihrer Stellung in der Rückschau vergewissern.

  4. Sie haben Recht, lieber luju,

    wir scheinen uns tatsächlich in mehreren Teufelskreisen gleichzeitig zu bewegen. Das Desinteresse des Publikums, die Geringschätzung durch die Forschung, all das treibt sich gegenseitig voran bis zum Fast-Nicht-Vorhandensein kritischer Reflexion. Was Jazz anbetrifft: Wahrscheinlich gelten Jazzfreunde generell als „intelligent“ und werden dementsprechend intelligenter versorgt. Krimiliebhaber sind wohl Freunde minderen Lesevergnügens, man kann sich kaum vorstellen, dass sie selbst lesbare Bücher ÜBER Krimis zur Kenntnis nehmen. Was selbstverständlich Blödsinn ist, aber in praxi als Vorurteil regelmäßig bestaunt werden kann. Die einzige Antwort kann, wie es TW ja schon angesprochen hat, nur sein, die jetzt schon vorhandenen kleinen Kreise von Krimilesern, die sich für Sekundärliteratur interessieren, vernünftig zu versorgen. Nicht mit akademischer Literatur (die natürlich ebenfalls ihre Berechtigung hat, damit wir uns nicht falsch verstehen), sondern mit Sachen jenseits des literaturwissenschaftlichen Vokabulars, die dennoch nicht auf einen gemeinsamen kleinsten Nenner abheben. Das ist verdammt schwer, aber es geht. Die SFler geben hier ein gutes Beispiel.

    – Schädels Bibliografie wünsche ich natürlich das Allerbeste. Symptomatisch auch hier: Das Werk eines Einzelnen, abseits der „etablierten Verlagslandschaft“ veröffentlicht, wo man doch sonst für jeden Mist opulente Schwarten kriegen kann.

    bye
    dpr

  5. Mehrere Teufelskreise, richtig, lieber dpr. Aber um da raus zu kommen, hätte ich die Wissenschaftler schon gern dabei. Nehmen Sie Hans-Otto Hügel. Kein Literaturwissenschaftler, gebe ich zu. Aber Carsten Würmann mit senen schönen Aufsätzen über den Krimi der Nazizeit, Peter Drexler über Kriminalliteratur im England des 19. Jahhunderts, natürlich Joachim Linder und sicher noch ein paar andere. Aber das findet hierzulande keinen Markt, werden Sie sagen. Ja, leider. Es wäre schön, wenn diese Leute mal versuchen würden ihn zu finden. Die Angelsachsen haben es da leichter. Sie produzieren für den Weltmarkt. Stephen Knight, Crime Fiction 1800 – 2000 kann als Paperback, von einem Wissenschaftler geschrieben, für einen großen Markt erscheinen. Interessanterweise war für ihn der Ausgangspunkt seiner Bemühungen ein Buch eines Nichtwissenschaftlers und Kriminalautors: Julian Symons, Bloody Murder. Übrigens das erste Stück Sekundärliteratur zum Krimi das ich gelesen habe.

  6. @Georg: Schau dir mal das Angebot des Shayol Verlags an…

    @luju: Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich hätte ich die Literaturwissenschaftler auch gerne dabei! Aber ohne den akademischen Jargon. Der reduziert den Interessentenkreis schon mal ganz gewaltig, und ich bin nach wie vor der Meinung, man kann Fundiertes auch in Normalsprache rüberbringen. Man sollte auch mal ein bisschen was didaktisch ausprobieren, ich bin da sehr tolerant. Lesbar heißt ja nun nicht automatisch „unwissenschaftlich“. Aber hier gibts ein anderes Problem. Professorale Ergüsse werden von Verlagen sehr viel ernsthafter und wohlwollender geprüft als nichtprofessorale. Ein Bekannter von mir, „nur“ Doktor, konnte ein erstklassiges Manuskript bei S. Fischer nur deshalb veröffentlichen, weil er eine Professorin mit ins Boot genommen hat, die einen halbwegs soliden Artikel beisteuerte. So ist das.

    bye
    dpr

  7. Ja lieber dpr, lieber Herr luju,
    so ist das – und mit der Literaturwissenschaft ist es so, z.B.: http://www.kaliber38.de/woertche/wcw1201.htm
    oder so:
    http://www.kaliber38.de/woertche/wcw0704.htm
    Und Kommunikation zwischen den Positionen findet meistens nicht statt, nur bitteres Schweigen und Gezische hinterm Rücken – naja, aber auch da ist Hoffnung: Die von Jochen Vogt initialisierten Jahrestreffen zwischen Wissenschaft und Publizistik in Iserlohn – da rührt sich dann doch was, das nächste Mal am 1. November, glaub ich …
    Cheers
    TW

  8. Hauen und stechen, denunzieren und ignorieren, lieber TW – science at its worst – derweil die Quellen, aus denen man schöpfen könnte, versanden. Den Dialog zwischen Wissenschaft und Publizistik begrüße ich natürlich – aber vergesst mir die einfachen Liebhaber nicht. Solange nur ein Bruchteil der relevanten Texte überhaupt namhaft gemacht ist, muss jedes Machtwort vom Katheder hohl klingen. Für die auf- und anregende Drecksarbeit des Sichtens und Katalogisierens, auch des ersten Kategorisierens ist man sich zu schade, da müssen die Amateure ran. Übrigens Analogie zu – ‚tschuldigung, wenn ich den Namen wieder mal nenne – Arno Schmidt. Dort waren es auch in erster Linie „fachfremde“ Liebhaber, die wichtige Materialien zu den Texten sammelten und ernsthafte Forschung überhaupt erst ermöglichten. Also auf!

    bye
    dpr

  9. Absolut d´accord, mein lieber dpr, das Ausgraben, Sichern, Sammeln, Sichten, Dokumentieren war schon immer Amateur-Arbeit und schon immer eine schlimme Defizienz von „Wissenschaft“, die diese – in manchen Augen – un-sexye Kärrnerarbeit gerne delegiert hat um sich dann darüber lustig zu machen. Jo! Und ein Dialog zwischen Wissenschaft und Publizistik wär mir als Polylog mit allen Beteiligten Gruppen (wenn´s die denn so trennscharf sortiert gibt) die allerliebste Lösung … auf jeden Fall hab ich, glaub ich, noch keinen verweigert, nu ….
    More cheers und weiter geht´s
    Best
    T

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