Finger weg von Reginald Hill!

Bringt endlich Reginald Hill zur Strecke! Diesen gewissenlosen, weitschweifigen, arroganten, hinterhältigen Krimischreiber, dessen (G)Alertheit ihn bislang vor wütenden Übergriffen seiner düpierten Leserschaft bewahrt hat. Ja! ALLE Leser hassen Reginald Hill – aber irgendwie hat er sie unter Drogen gesetzt, sie folgen ihm wie die Lämmer, und ist der Weg auch noch so weit. 782 Seiten etwa in „Die Launen des Todes“.

Oh, dieser Hill trägt die Maske des perfekten Gastgebers! Er lädt uns nicht ans kalte Büffet eines simplen Serienmordes, verabreicht uns nicht den abgestandenen Sprudel aus brackigen Psychoquellen (brackig heißt brackig und spielt nicht auf den Nachnamen eines deutschen Krimiautors an!). Nein, er tischt auf! Gleich vier opulente Großverbrechen setzt er uns in „Die Launen des Todes“ vor, erzählt uns beiläufig und ohne Vorwarnung dies und das, alles hängt am Ende irgendwie zusammen.

Aber hier schon wird es pervers. Denn der Bursche kann schreiben! Sein fettes Ekel Andy Dalziel schüttelt die zynisch-geistreichen Bonmots so aus dem Ärmel, dass man fast glauben könnte, es gäbe eine reiche Bonanza in Großbritannien, wo man sich nur zu bedienen bräuchte. In Deutschland, das ja bekanntlich sehr rohstoffarm ist, haben wir eine solche Mine nicht, in der man funkelnde Sentenzen von den Wänden hauen könnte. Etwa die, die Dalziel einer deutschen Journalistin schenkt:

„Tut mir leid, Liebes“, sagte Dalziel. „Mein Dad sagte mir immer, einer Lady darf man nicht widersprechen, aber ich muss doch sagen, wenn es darum geht, jemanden in den Knast zu setzen, dann, schätze ich, kann ich Ihnen das halbe Sudetenland als Vorsprung geben, und ich bin trotzdem vor Ihnen in Prag.“

Aaaarghhh, da kauen sich die deutschen Krimischaffenden wütend die Fingernägel ab! Das ist schon schlimm genug, das ist wohl auch die Droge, die uns Hill ins Hirn füttert. Wir lesen, wir lesen, wir lesen, Verbrechen um Verbrechen verdichtet sich, es konturieren sich langsam die Guten und die Bösen — nein! Eben nicht! Und jetzt haben wir dich bei den Eiern, Hill!

Vier Verbrechen also. Eins davon (ein schnöder Raub) wird konventionell geklärt. Ein anderes (Fahrerflucht) erledigt sich per Selbstjustiz. Ein drittes bleibt unaufgeklärt, lässt sich vom Leser allerdings rekonstruieren, mit einer Spur Ungewissheit. Tja, und dann das vierte, das alle anderen umrankt. Hier übertreibt es Hill, und das wird ihm zum Verhängnis. DENN ER LÄSST UNS DAMIT ALLEIN! Hunderte von Seiten klopft er uns beruhigend auf die Schultern, ja doch, LeserIn, wird alles gut, es ist genauso, wie es zwischen den Zeilen steht, keine Angst, Pescoe kriegt den Burschen….und dann: Nichts ist! War er’s? War er’s nicht? Ein Guter? Ein Böser? – Hill verweigert die Antwort! Wir müssen selbst nachdenken und kommen zu keinem Ergebnis! Es kann SO gewesen sein, aber auch SO!

Leserverarschung ist leider kein Straftatbestand. Wir sind uns jedoch sicher, dass im Falle des Reginald Hill das gesunde Leserempfinden gnadenlos sein Urteil fällen wird. Der Mann ist einfach zu abgebrüht! Der schreckt vor nichts zurück! Auch den Bildungsbürger lässt er raushängen, „romantische Dichtung“ ist ein Leitmotiv des Buches, Heine (!) wird erwähnt (der nur einen einzigen Krimi geschrieben hat; Delikt: Gefährdung der Binnenschifffahrt auf dem Rhein), Deutschland und seine dunkle Gefühlsduseligkeit mannigfach durch den Kakao gezogen. Und dafür müssen deutsche Leser 8,95 Euro abdrücken! Für 782 Seiten! Eine Unverschämtheit!

Leser! Du hast Anspruch auf einen vernünftigen Krimi. Alles muss sich klären, bitte keine spitzigen Kommentare hunderterweise, bitte mit wenigstens 10 Grammatikfehlern pro Seite, wenn schon ausführlich, dann bitte auch langatmig! Also: Finger weg von Hill! Der Bursche ist gefährlich!

Reginald Hill: Die Launen des Todes. 
Knaur 2006. 782 Seiten. 8,95 €

11 Gedanken zu „Finger weg von Reginald Hill!“

  1. kannst du mir denn ein anderes buch von ihm empfehlen, das du richtig gut findest?

    *neugierig geworden

    und gefährdung der binnenschiffahrt auf dem rhein … das ist ein genuss …

  2. Das ist es ja, liebe Anobella! Die sind alle so! Hochintelligent, toll geschrieben, gut gebaut…es ist zum wahnsinnig werden! Lies wirklich mal diese „Launen des Todes“ und du wirst mit einstimmen: Hill muss weg! Der hebt den Standard einfach unverschämt hoch!

    entrüstet: dpr

  3. Hallo,
    hat da jemand das „Letzte Tabu“ gebrochen und das bevor es im Hinternet stand ?! Dinge gibts… Wie soll das nur enden ?

    Gruss
    Markus

  4. gut, ich bestell mir was. aber bevor das untergeht – das mit der binnenschiffahrt macht euch hinternetjungs eben aus. das ist vergleichbar mit dem siegelring der panzerechse von raphael. es ginge auch weniger, aber ihr macht MEHR. ihr macht immer noch extra was dazu für den leser und das ist großzügig und lustig und liebevoll und klasse. hingucker und hinleser, hinternet halt.

    anobunny
    *hinternetADDICT

  5. @Markus: So ist es. Wenn man etwa beschreit, kommts knüppeldick. Hab gerade noch einen Krimi fertig gelesen, in dem zwar der Mord geklärt, aber nicht gesühnt wird. Besprechung gibts am Donnerstag und bei dieser Gelegenheit werde ich mir auch die deutschen Krimiverleger vorknöpfen, denn das Werk ist also book on demand erschienen – und wirklich ausgezeichnet!
    @Anobella, mein Sonnenschein, Trost meiner depressiven Augenblicke, hessische Rose, Engel der Blogger, Königin des Weblog- und Winzerkrimis, Besitzerin der schönsten Beine: du hast ja so Recht!

    bye
    dpr

  6. Man sollte/muss eigentliche alle Dalziel/Pascoe-Romane lesen, angefangen mit „A Clubbable Woman“ von von 1970 (dt. „Eine Gasse für den Tod“, 1971 bei Goldmann), als sich der Herr noch mit vergleichsweise simpel gestrickten Whodunits begnügte, bis hin zu den Großwerken der letzten Jahre, die selbst den des Englischen halbwegs kundigen Leser vor manch lexikalisches Problem stellen. Von den gemeinen Plot-Arrangements mal ganz abgesehen… Sehr schön auch Hills Ausflug in die Gefilde der Gothic Novel, „The Stranger House“, demnächst, soweit ich weiß, auch unter irgendeinem komischen Titel in deutscher Übersetzung.

  7. Hallo Joachim,

    von den frühen Banden würde ich eher abraten. Ich hatte zuerst den zweiten Band („An Advancement of Learning“, 1972) gelesen und war von ihm relativ enttäuscht. Von so einem hochgelobten Autor hätte ich einen derart unauffälligen britischen Whodunit nicht erwartet (unausgewogene Beziehung zwischen Dalziel und Pascoe, sprachlich unaufregend, nur ordentlicher Plot). Aufgrund dessen hatte ich danach lange kein weiteres Hill-Buch gelesen.

    Nein, zum Kennenlernen würde ich ein Buch des gereiften Autoren empfehlen, z.B. „Bone and Silence“, 1990 („Mord auf Widerruf“ [Demnächst als „Die dunkle Lady meint es ernst“]).

    Beste Grüße

    bernd

  8. Sicher Bernd, die frühen Hills können es mit den immer voluminöser werdenden späteren Romanen nicht aufnehmen, aber ich leide halt unter dem Vollständigkeitswahn. Als ich vor etlichen Jahren durch Zufall auf Dalziel & Pascoe gestoßen war, habe ich mir bei Murder One sofort alle lieferbaren vorher erschienenen Bände bestellt und ich muss sagen, dass es schon etwas für sich hat, wenn die Lektüre der Chronologie folgt. Ein schönes Lesevergnügen sind übrigens auch die drei Romane Hílls um Joe Sixsmith aus Luton, der sich mit Hilfe eines Fernkurses zum Privatdetektiv ausgebildet hat.

    All the best

    Joachim

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