Ich wende mich heute an diejenigen, denen Krimi nicht genug ist, diejenigen, die sich in Metaphern suhlen, in Weisheiten wälzen wollen, bei denen sich der Höhenrausch der Dichtung erst im Tiefsinn der Gedanken einstellt, diejenigen, die selbst einem umgefallenen Fahrrad die philosophische Zuwendung nicht versagen wollen. Kurz: All diejenigen, die notorisch nachdenken, sobald man ihnen etwas vordenkt, erhalten von mir, ganz exklusiv, nun ein Geschenk. Krimisätze für die gebildeten Stände.
„Vor allem musste er sich vor diesem Mantel aus Mitleid hüten, den er manchmal – entgegen aller Vernunft, seiner Erfahrung zum Trotz und mit einer fast hämischen Theatralik – hervorkramte und der ihm schon während seiner Jahre in der Zelle niemals Linderung oder Geborgenheit verschafft, sondern ihn mit Selbsthaß erfüllt hatte.“
Lauschen wir ihm nach, diesem Satz. Sehen wir den Mantel aus Mitleid vor uns, einem besonderen Kleidungsstück, das nicht nur Geborgenheit bringt und Linderung, nein, es erfüllt seinen Träger auch. Das ist wirklich schön gesagt. Gleich morgen schlurfen wir zum Herrenausstatter und bestellen uns so ein Teil.
„Sebastian Flies hatte vielleicht getötet, weil er sein Leben lang einen Mörder in sich beherbergt und, unbewußt und angstvoll, auf eine einmalige Gelegenheit zum Morden gewartet hatte.“
So wird es sein. Wir schenken uns etwas Tee nach und dann erschaudern wir bei dem Gedanken, wie einer einen Mörder beherbergt, und dann kommt die einmalige Gelegenheit zum Morden und dann mordet nicht etwa der Mörder, den man beherbergt hat, wie es ja logisch wäre, sondern dann mordet man selber, der doch den Mörder nur beherbergt hat. Ganz schön verwirrend. Das muss Psychologie sein.
„Je länger sein Furor ihn mitriß, desto leidender wirkte sein Gesichtsausdruck, seine Gesten verwandelten sich in dramatisches Gefuchtel, und seine sachlich klingenden Aussagen, seine scheinbar intimen Bekenntnisse und seine monologischen Beschwörungen trieben ihn in einen Zustand, den Polonius Fischer von vielen Zeugen und Verdächtigen kannte, die in diesem Raum vor ihm gesessen und mit großem inneren Aufwand versucht hatten, den verhunzten Dingen ihres Lebens im nachhinein eine gefällige, entschuldbare Gestalt zu verleihen. Das war der Zustand des Selbstmitleids.“
Ach, wie sich das liest! Welch ein Satz! Der hört ja gar nicht mehr auf, da reiht sich Wahrheit an Wahrheit, ein Satz von einer gefälligen und entschuldbaren Gestalt, denn er auch gehört zu den verhunzten Dingen des Lebens. Wir bauen einen schönen Jägerzaun darum, hängen ein Schild dran „Nicht drüber nachdenken, dieser Satz ist bereits die Quintessenz verschärften Nachdenkens.“ – und dann kommen die gebildeten Stände busweise und gucken sich den Satz an, nicken sich wissend zu und fahren, wieder um ein Milligramm Wahrhaftigkeit schwerer, froh in die Stadt zurück.
„’Auch die Feigheit ist Teil der menschlichen Natur’, sagte Fischer. ‚Und die Lüge und die Dummheit und der Selbstbetrug.’“
Endlich! Wir mussten so lange auf diese erschütternde Erkenntnis warten, kein Philosoph hat sie uns hingeworfen, dicke Bücher ham’s drüber geschrieben, aber wer eine Bildung will, der hat keine Zeit zum Studieren dicker Bücher, nein, was für eine Erkenntnis, da steht uns das Maul offen.
„’Und nehmen Sie Ihr Leben nicht allzu persönlich, Herr Flies.’“
Ja! Wieder einen Satz für das nächste kultivierte Beisammensein! Es gibt Firmen, die stellen so etwas serienweise her und liefern es dann im Dutzend für ein paar Euro frei Haus: „Man muss im Kleinen suchen, um das Große zu finden.“ oder, was fällt mir noch so spontan ein, „Wer die Liebe zu sehr liebt, der hasst sie.“ oder, noch einen kostenlos obendrauf, „Und glauben Sie nicht, dass Ihre Nase Ihre Nase ist, Herr Flies, vielleicht ist es Ihr Mund.“