Regula Venske: Mord im Lustspielhaus

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Der Beginn unserer Eisenbahnlektüre der neuen Kaliber .64 – Krimis steht unter einem schlechten Stern. Okay: der Sommer ist zurück und mit ihm das fröhliche Geschnatter luftig bekleideter junger Damen, die wahrzunehmen natürlich nichts mit Eros zu tun hat, sondern nur mit Ästhetik und schierem Ergötzen an bunten Stoffen. Nicht okay: kurzhemdsärmlig schwitzende Mittelaltermänner, die sich gegenseitig aus der BILD-Zeitung vorlesen und die Kommentare zuwerfen wie ploppende Tennisbälle: „Schumi hört auf! Weißte schon?“ „In echt? Find ich nicht gut.“ „Nee, obwohl. Und jetzt wolln’se auch noch die Tabaksteuer erhöhen!“

Also Flucht in die innere Emigration, schnell zu Regula Venskes „Mord im Lustspielhaus“ gegriffen, was ganz automatisch einen netten Krimi assoziiert, Mord, überschaubarer Tat- und Handlungsort, eine Gruppe von Verdächtigen, aus denen dann spätestens auf Seite 63 das Mörderlein herausgewunken wird. Doch ach, ach, ach: Schon gleich auf Seite 1 werden wir Zeugen, wie eine Frau, deren Namen wir nicht erfahren, Musik hört. Nein, Korrektur: Nicht Musik, sondern Wolf Biermann. Das ist derjenige, den man früher mal wegen fortgesetzten und schweren Gitarrenschändens hatte anzeigen wollen, aber, da das weder in der DDR noch der BRD ein Straftatbestand war, nicht anzeigen konnte, was wieder einmal zeigt, wie löchrig die Gesetzgebung ist.

Andererseits: es passt. BILD von außen, die Biermannsche Mischung aus BILD und Brecht von innen. Es geht um Stasi-Vergangenheiten, so viel ist uns bald klar, ein Kabarettist namens Lutz Anklam gastiert in Hamburg, Stasi-Geschädigter ist er, einstmals verraten worden, und jetzt lädt er all jene ein, die es sich nicht leisten können, an ihre Vergangenheit erinnert zu werden. Die Schauspielerin Susanne Depta zum Beispiel, von der Lutz glaubt, sie habe ihn damals bei den Behörden verpfiffen. Heute ist sie eine völlig heruntergekommene Frau, nicht mal mehr schön, dafür aber bettelarm.

Das ist schwerer Stoff, eigentlich, aber bei Venske macht sich bezahlt, was wir den natürlichen Charme der Beschränktheit nennen wollen. Sie hat eben nur 64 Seiten, mithin gar nicht die Möglichkeit, uns lange mit deutsch-deutschem Räsonnieren zu langweilen. Stasi ist hier schlicht eine Abkürzung für das Krimiessentielle: Ein Mann will Gewissheit, er fordert das Schicksal heraus, die Ratten kriechen aus ihren Löchern und versuchen, den Mann daran zu hindern, die Dinge offen zu legen. Am Ende gibt es Täter und Opfer wie in der Wirklichkeit, aber jetzt sauber nach Krimikriterien geordnet.

Zweite Hälfte des Buches. Der Zug ist heute merkwürdig leer, da wurde wahrscheinlich ob des zurückgekehrten Sommers noch ein wenig Jahresurlaub spontan in Sonnenanbeterei investiert. Mir soll’s recht sein, stört mich keiner.

Um es gleich zu sagen: Würde mich ein Kabarettist ennuyieren, dessen besonderer Gag es ist, „ü“ statt „u“ zu sagen (Dünkel statt Dunkel etwa), ich käme wohl auch auf den Gedanken, ihm irgend welche Lichter auszublasen. Das Szenario hat sich inzwischen dramatisch verdichtet, es werden Pläne geschmiedet, Frau Depta schafft es tatsächlich, Herrn Anklam zu einem Quickie in der Garderobe zu überreden, ein Zahnarzt macht sich Sorgen und jene uns vom Anfang her bekannte Biermann-Hörerin beweist, dass schlechter musikalischer Geschmack auch für Sauereien der gehobenen strafrechtsrelevanten Sorte prädestiniert. Am Ende sind zwei tot, ein kleiner Clou ist auch dabei. Ein angenehmer Krimi nach solidem Muster, kein Moralisieren nirgends. Mehr verlangen wir nicht für zwei kurze Fahrten im Spätsommer.

dpr

Regula Venske: Mord im Lustspielhaus. 
Edition Nautilus 2006. 64 Seiten. 4,90 €

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