Dieses ist die zweite Besprechung eines der diesjährigen Kandidaten für den Edgar, Kategorie „Bestes Buch“.
Auch die Bücher Thomas H. Cooks wurden bisher nur sporadisch ins Deutsche übertragen. Insgesamt sechs Mal wurde Cook für einen der Edgar nominiert. 1997 gewann „The Cladham School Affair“ den Preis für das „Beste Buch“. Einen durchschlagenden Markterfolg sicherte ihm dieses aber auch in den USA nicht. Bekannt für seine eigenständigen und sehr literarischen Krimis gehört er zu der Kategorie der Autoren, die eher 10.000 als 100.000 Bücher verkaufen. Für das vorliegende Buch hatte er sich sogar einen neuen Verlag suchen müssen.
Mit „Red Leaves“ ist ihm wieder ein außergewöhnliches und „stilles“ Buch von betörender Qualität gelungen. Über weite Strecken ist es ein Text über eine Familie, bei der eines ihrer Mitglieder unter den Verdacht gerät, am Verschwinden eines kleinen Mädchens beteiligt zu sein. Es zeigt, wie langsam, Schritt für Schritt, unter dem Druck des Misstrauens Risse im Gefüge der zuvor intakten Familie entstehen und dieses Gefüge zum Sprengen bringen können. Und in seinem Protagonisten, Eric Moore zeigt „Red Leaves“ die zerstörerische Kraft des Zweifels.
Die Moores sind eine ganz normale Familie der amerikanischen Mittelschicht. Sie leben seit mehreren Jahren in einer kleinen abgeschiedenen Stadt. Eric Moore hat ein kleines Fotogeschäft aufgebaut und Meredith Moore ist Lehrerin an der lokalen Schule. Keith, der Sohn ist ein unauffälliger Jugendlicher. Er hat wenige Freunde und muss sich in der Schule mühen. Die Familie scheint zufrieden in ihrem unauffälligen Glück zu ruhen. Als ein Mädchen der Nachbarschaft verschwindet, am Abend als Keith dort babysittet, gerät diese Welt aus den Fugen. Die ersten dürren Aussagen des Sohnes scheinen den Eltern nicht unbedingt plausibel und so beginnt für sie eine Zeit der inneren Anspannung und des Grübelns.
„Red Leaves“ lebt nicht von der Handlung. Die Aufklärung des Verschwindens des Mädchens findet im Buch kaum statt. Eric Moore und seine Gedanken stehen im Zentrum. Die Polizei ermittelt und Keith gerät in den Blickpunkt der Untersucher. Eric Moore grübelt und beobachtet: Die Gespräche die er führt, lässt er in sich nachwirken. Tief sinkt er in seine Gedankenwelt ein. Seine Eltern, sein Frau und sein Sohn. Alle unterzieht er seiner Analyse. Überall findet er kleine Umstände und beobachtet Gegebenheiten, die nicht zu dem passen wollen, was ihm erzählt worden war und so gerät er tiefer und tiefer in den Strudel des Zweifels an seinen Familienmitgliedern.
Stilistisch souverän entwickelt Thomas H. Cook Eric Moores innere Welt. Dessen Schlussfolgerungen wirken plausibel und logisch. Natürlich, Thomas H. Cook braucht das Rätsel des Verschwindens, um darüber seine Geschichte zu inszenieren, aber Aufklärung und Rätsel gibt es hier nicht (anders als es der Umschlagtext suggeriert). Die Lösung ist so willkürlich wie das Ende der Geschichte der Familie Moore schlüssig ist. Bei all dem ist „Red Leaves“ ein Buch voller knisternder Spannung.
Am besten man übersetzt es und schickt es den Leuten, die da immer noch meinen, Boileau & Narcejac hätte es nie gegeben, Krimiautoren wären limitiert und würden sich noch an den Genrerezepten der großen Drei orientieren.
Thomas H. Cook: Red Leaves.
Harcourt 2005. 289 Seiten.
(gebundene Ausgabe ab ca. 12 €, Taschenbuchausgaben ab ca. 9 €)
(noch keine deutsche Übersetzung)