Historische Krimis haben ein Problem. Sie müssen die Zeit, in der die Handlung angesiedelt ist, so genau beschreiben, dass auch ein mit dem politisch-gesellschaftlichen Milieu Unvertrauter nicht die Orientierung verliert; sie müssen dies so tun, dass es nicht wie ein Fremdkörper auf die eigentliche Story drückt; und sie dürfen nicht zu sehr in die Tiefe gehen, denn wir wollen einen Krimi lesen und keine historische Analyse.
Das alles ist nicht leicht und geht deshalb in den meisten Fällen schief. Auch in Richard Birkefelds und Göran Hachmeisters „Deutsche Meisterschaft“?
1926. Roaring Twenties? Auch das. Aber auch die Nachwirkungen der Novemberrevolution, des Versailler „Schandvertrags“, der Dolchstoßlegende, des allgemeinen Unbehagens, die Demokratie betreffend. Die Zukunft ist schon da. Mal schwarz (oder besser: braun), mal technoutopisch: der Siegeszug der Geschwindigkeit.
Arno Lamprecht und Falk von Dronte sind dieser Geschwindigkeit verpflichtet. Sie fahren Motorradrennen, es geht um die titelgebende Deutsche Meisterschaft, beide sind höchst unterschiedliche Charaktere, der eine proletarisch grob, der andere junkerhaft arrogant, sie können sich, wen wundert`s, nicht leiden. Außer Motorrädern verbindet sie aber noch einiges. Das Interesse an der kapriziösen Thea von Bock ist dabei noch harmlos; schwerwiegender: die Schatten der Vergangenheit. Lamprecht wurde von Jahren beschuldigt, seine Frau ermordet zu haben – der Kopf fehlt bis heute. Von Dronte war in einen politischen Mord verwickelt. So ziehen sie, einander misstrauisch beäugend, von Rennen zu Rennen. Und ein unheimlicher Mörder zieht mit. Er tötet scheinbar wahllos Menschen an der Rennstrecke, auch hier bleiben die Köpfe verschwunden.
Die Geschichte, das muss man sagen, kommt etwas schwer in Gang. Es gilt halt, das Szenario zu beleuchten, nicht nur das Groß=Politische, auch das Klein=Private, die noch immer himmelschreiende Verfolgung von Frauen, die abgetrieben haben, das ganze Elend der einfachen Leute, aber auch das aufkommende Schickimickitum, das Brodeln im Hintergrund. Auf Touren kommt die Geschichte erst in der zweiten Hälfte des Romans, wenn die Fäden miteinander verknüpft werden, Täuschungen durchschaut und Ressentiments überwunden. Dann auch erst lernen sich unsere beiden Protagonisten richtig kennen – und für kurze Zeit schätzen. Gemeinsam klären sie die Fälle – und tappen in die Falle.
Die Protagonisten. Keine Symphatieträger. Spielbälle eher, vom Schicksal zu Dingen gezwungen, die sie längst hinter sich glaubten. Ein Happyend, soviel ist schnell klar, wird es nicht geben. Und das ist letztlich das große Plus von „Deutsche Meisterschaft“. Zwar ahnt man schnell, was hinter diesem fröhlichen Kopfabschneiden und –verschwindenlassen steckt. Und man fürchtet, es kläre sich alles recht & ordentlich auf. Tut es aber nicht. Den Preis zahlen die Falschen, aber das ist historisch plausibel. Am Ende wagt man einen Blick nach vorn, einen düsteren Blick. 1933 ist 1926 schon nicht mehr zu verhindern.
Birkefeld und Hachmeister sind Historiker mit dem Schwerpunkt Kultur- und Sozialgeschichte im frühen 20. Jahrhundert. Und das merkt man. Was sie uns über 1926, die Jahre davor, die Jahre danach zu erzählen haben, ist knapp und fundiert. Es verbündet sich allmählich mit der Krimihandlung, die ihrerseits die historischen Fakten vertieft und kommentiert. Also ein durchaus gelungenes Beispiel für einen historischen Krimi, gewisse dramaturgische Notoperationen (Es hängt am Ende vielleicht ein bisschen zu viel zusammen, einige Schilderungen im ersten Teil des Romans wirken ein wenig zu plakativ.) beeinträchtigen das Lesevergnügen nicht sonderlich.
Birkefeld & Hachmeister: Deutsche Meisterschaft.
Eichborn 2006. 387 Seiten. 22,90 €