Tess Gerritsen: Vanish

Dieses ist die dritte Besprechung eines der diesjährigen Kandidaten für den Edgar, Kategorie „Bestes Buch“.

„Vanish“ von Tess Gerritsen ist ein Buch, welches mit dem großen politischen Thema kokettiert und am Ende doch nur ein guter Thriller ist.

Die Gerichtsmedizinerin Dr. Maura Isle trifft im Kühlraum des Instituts auf eine „Leiche“, die dort nicht bleiben mag. Ihre Freundin, die Polizistin Jane Rizzoli sitzt mit Eröffnungswehen im Keller des Krankenhauses und trifft in derselben Person ihre Geiselnehmerin. Und Gabriel, Jane Rizolis Mann wiederum trifft auf die Frau, als er sich über ihre Leiche, nach der gewaltsam beendeten Geiselnahme, beugt.

Seltsames geht vor, die Tötung der Geiselnehmer ähnelte einer Hinrichtung und das FBI nimmt ausgesprochen regen Anteil an dieser „Routineentführung“. An den Dreien nagt es und gemeinsam versuchen sie zu klären, was los ist.

Ohne Zweifel beherrscht Tess Gerritsen das Handwerk. Reichlich Action, viel Verschwörung, genügend Herzschmerz und gelegentlich Humor – der Mix dürfte bei den Lesern ankommen. Üppige Gewaltdarstellung ist Gerritsens Ding nicht. Ist auch nicht notwendig, Spannung erzeugt sie schon dadurch, dass sie Grauen ankündigt; oder dadurch, dass die dem Leser, auch durch die vielen Wechsel der Erzählperspektive, einen gewissen Wissensvorsprung verschafft und dieser Leser dann zugucken muss, wie die Protagonisten den „roten Heringen“ der Autorin folgen.

Sie erzählt familienfreundlich, sprachlich unaufdringlich und immer auch mit einem Blick für die inneren Wünsche der Helden. An den Kulminationspunkten ihrer Geschichte, und das beherrscht sie tatsächlich gut, hetzt sie den Leser durch die Zeilen und peitscht die Story voran.

Und dennoch: Der letzte Kick fehlt. An der Person Jane Rizzolis lässt sich ein Problem des Buches festmachen. Nach der Entbindung kommt sie mit dem Neugeborenen heim und schliddert in die postpartale Depression, das Stillen funktioniert nicht richtig und ihre Mutter ist beängstigend effektiv. Das ist alle gut beobachtet und gut geschrieben und doch fehlt eine gewisse Anbindung zum Plot. Das restliche Personal jedoch, einschließlich ihres Mannes, ist zu holzschnittartig, die inneren Konflikte sind mehr der Dramaturgie als der Ausarbeitung einer Persönlichkeit geschuldet und die Klischees welche Gerritsen bedient, langweilen auf Dauer [Es mag ja angehen, dass man in den Kreisen der Frau Dr. Gerritsen Windeln nur als abstraktes Kulturgut kennt, aber bitte !].

Hinzu kommt, dass einzelne Punkte im Aufbau nicht schlüssig sind (oder am Ende nicht erläutert werden) und der Versuch, ihre Story am großen politischen Thema aufzuhängen, wirkt erratisch. Das Thema der osteuropäischen „Sexsklaven“ in den USA besitzt als strukturgebendes Element des Buches noch Tiefe, aber jenes der mangelnden demokratischen Kontrolle der USA-Geheimdienste und deren Arbeit „gegen“ die eigene Bevölkerung geht bestenfalls als Gesinnungsquickie durch.

In Summa ist „Vanish“ ein Lenor-Thriller: Gut zu lesen und über weite Abschnitte ebenso gemacht, aber es fehlt ein wenig an letzter Konsequenz, an emotionalem „grip“ der den Leser an den Sessel fesselt, wie eine Autorennfahrt an den Recarositz. Dieses, so denke ich, nicht weil die Autorin es nicht besser könnte, sondern aus Kalkül, dem Wunsch nach großen Erfolg geschuldet, den sie für sich in ihren eigenen Blog-Beiträgen immer wieder einfordert.

Tess Gerritsen: Vanish. 
Ballantine 2006. 401 Seiten. 6,97 €
(deutsch: "Scheintot". Limes Verlag 2006. 416 Seiten. 21,95 €)

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