Yasmina Khadra: Die Algier-Romane

Manchmal ist ein Mord nur der Lockvogel, um Leser von Kriminalromanen in die Abgründe der stillen und großen Verbrechen zu stürzen. Nehmen wir die Energiemafia. Dass in diesem Winter möglicherweise viele Wohnungen unbeheizt bleiben werden, hat etwas mit Börsenspekulation und Monopolmissbrauch zu tun. Oder die munter weiter praktizierte Arbeitslosenhatz. Das schreiende Unrecht hüllt sich in Gesetzeskonformität und bleibt doch schreiendes Unrecht. Zwei Themen – ein Problem: Wie es dem Krimileser schmackhaft machen? Durch Morde vielleicht? Ein Börsenspekulant treibt bäuchlings im Main, ein „Sozialpolitiker“ hängt am First seines Ferienhäuschens. Damit kriegt man Krimileser. In Algerien hat man so etwas nicht nötig.

Mohamed Moulessehoul, der unter dem Namen seiner Ehefrau Yasmina Khadra Kriminalromane schreibt, ist, so gesehen, ein beneidenswerter Mensch. Die großen und stillen Verbrechen, durch die er seinen Kommissar Llob schickt, haben eine spektakuläre Seite, den Massenmord. Seit Ende der achtziger Jahre sorgt er für Schlagzeilen, vom Säugling bis zur Greisin wird abgeschlachtet, was vor Messer, Gewehr und Bombe kommt. Das bestimmt den algerischen Alltag, inzwischen hat sich die Lage beruhigt – oder auch nicht, kann sein, dass das Grauen für die Schlagzeilengeilheit unserer Medien zu redundant geworden ist.

Unsere Medien. Die algerische Tragödie und eine hübsch einfache Erklärung, die das Tagesschau-Bier nicht schal werden lässt: Islamisten sind es, die da im Kampf gegen die Regierung morden und brandschatzen, das übliche Schema also. Wer Yasmina Khadras Algier-Romane gelesen hat, weiß: Schlichte Wahrheiten sind meistens schlichter Unfug.

„Blutüberströmt liegt der Horizont da und bringt durch einen Kaiserschnitt einen Tag zur Welt, für den sich die Mühe letztlich nicht gelohnt haben wird.“

Mit diesem Bild beginnt „Morituri“, der erste der drei Algier-Romane. Und es ist ein starkes Bild. Läse man es im Text eines deutschen, englischen, amerikanischen, französischen, italienischen Autors, wäre es wohl hart am Kitsch und käme in seiner Bedeutungschwangerschaft mit den üblichen Nichtigkeiten nieder. Bei Khadra verwandelt es Wirklichkeit in Imagination und Imagination zurück in Wirklichkeit. Ein Tag mehr, an dem Kommissar Llob, einer der wenigen verbliebenen Gerechten, durch sein blutüberströmtes, stinkendes, moribundes Algier strauchelt.

Ja, er ist Polizist und also für Verbrechen zuständig. In „Morituri“ sucht er die verschwundene Tochter eines reichen Mannes, in „Doppelweiß“ nach einer Diskette mit brisantem Inhalt. Was er aber findet, ist etwas, das er längst weiß: Die schlichte Wahrheit, die man uns allen verkauft – böse Islamisten terrorisieren die Bevölkerung, der Staat hält wacker dagegen – ist eine gigantische Lüge. Die Wirklichkeit nämlich ist die: Eine Gruppe von Privilegierten, Geschäftemachern und korrupten Politikern entfacht, steuert das Inferno oder profitiert zumindest davon. Die Gottesgläubigen sind hirn- und gewissenlose Schlächter, kleine Ganoven und etwas größere Sadisten.

Gegen sie zu kämpfen, ist letztlich aussichtslos, das weiß Llob – und kämpft. Er ist ein klarsichtiger, verzweifelter, zynischer Mensch, der so viel Angst hat, dass er keine Angst mehr zu haben braucht. Polizist und Schriftsteller. Im letzten der drei Romane, „Herbst der Chimären“, wird er seines Amtes enthoben, weil er einen Krimi geschrieben hat: „Morituri“. So schließt sich der Kreis.

Llob alias Khadra alias Moulessehoul erzählt uns den Schrecken in Bildern:

„In der Ferne spielt ein Frachter mit den Wogen Bockspringen. Am Himmel, der unsere Felder boykottiert und unsere Gebete ignoriert, steigen wie weiße Spruchbänder die Möwen empor.“

Bilder nicht selten von expressionistisch wütender Kraft, poetisch und entlarvend zugleich, anders lässt sich kaum ertragen, was an prosaischem Dreck Algier zu verschlingen droht. Zerfetzte Leiber von Intellektuellen und opulente Gelage der Mächtigen, Skrupellosen und Schönen; die Angst, die im Akkord Rückgrate krümmt; die Dreistigkeit, mit der finstere Lügen leuchtende Wahrheit werden.

Zwei Romane lang kämpft Llob gegen die kleinen, die üblichen Verbrechen und bringt kleine, übliche Täter zur Strecke. Während die großen Verbrechen weiter wuchern. Im dritten Roman verweigert er sich dem. Er lässt sich treiben, kehrt an den Ort seiner Kindheit zurück, der längst ein Schlacht- und Totenhaus geworden ist, das kleine, übliche Verbrechen versucht ihn zu locken, ein Mord hier, ein merkwürdiges Ereignis da, Erzählfäden werden aufgerollt – und wieder eingerollt. Am Ende liegt Llobs zerplatzter Körper auf der Straße, ein weiteres Opfer, Vorhang.

Vorhang. Die drei Algier-Romane brauchen ganze 421 Seiten, das ist nicht viel. 421 Seiten – das genügt den westlichen Garköchen von Serienmord mit Psychosoße gerade mal so für die Abspeisung des Lesevolkes mit dem fast food aus Thrill und Raterei. Khadra schreibt auf 421 Seiten eine ganze Welt. Er klärt uns auf über die Dinge, von denen wir aus den Medien bisher nur die offiziell malträtierte Wahrheit erfahren haben. Er liefert uns gleichzeitig ein Lehrstück über die Schandtaten im Verborgenen, die in Algerien nach außen detonieren und sichtbar werden, die aber auch, durchaus, in unserer Welt zu finden sind. Sehr viel distinguierter, versteht sich, ohne größeren Blutzoll, die Durchtriebenen leben gut von der Verdummung anderer, intellektuelles Nullniveau vernichtet mehr Intelligenz als eine algerische Bombe.

Das können Kriminalromane leisten. Ganz ehrlich. Man nehme einen gewöhnlichen Mord, wenn es denn sein muss, und scheuche mit ihm die schmutzige Wirklichkeit aus ihrem kultivierten Loch.

Yasmina Khadra: Morituri / Doppelweiß / Herbst der Chimären. 
Die Romane mit Kommissar Llob aus Algier. 
Unionsverlag 2006. 439 Seiten. 12 € (Sonderausgabe)

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