Nehmen wir mal an, ein Konditor soll uns einen Kuchen backen. Wir schauen ihm über die Schulter und stellen entsetzt fest, dass der Bursche die falschen Zutaten verwendet. Eier Wochen über dem Verfallsdatum, klumpendes Mehl, Tabakkrümel statt Schokostreusel. Essen wir diesen Kuchen? Bestimmt nicht. Auch Krimis, die aus falschen Zutaten zusammengerührt wurden, wollen wir eigentlich nicht lesen. Heißt ihr Autor allerdings Jeffery Deaver, sollten wir es dennoch versuchen.
Rune ist ein Girlie. Anfang zwanzig, verrückte Klamotten und von schreiend naiver Weltsicht. Dokumentarfilme möchte sie drehen, Filme also, die man nicht verkaufen kann, bisher reicht es nur zur Aushilfskamerafrau bei einem großen New Yorker Nachrichtensender, wo man alles macht, aber eben nichts, was sich nicht, eingebettet in teure Werbung, verkaufen lässt. Doch Rune ist auch dreist und hartnäckig. Es gelingt ihr, die Oberen des Senders für den Fall des wegen Mordes verurteilten Randy Boggs zu interessieren, den Rune für unschuldig hält, einfach nur so, gefühlsmäßig. Das Pikante an dem Fall: Der Mann, den Boggs ermordet haben soll, war einst Chef des Senders, für den Rune jetzt arbeitet.
Natürlich gibt es ständig Reibereien. „Hard news“ will man, am besten doppelt und dreifach abgesichert, nicht um Gerechtigkeit geht es, sondern um sauber recherchierte Nachrichten, um Quoten. Das eine muss nicht unbedingt das andere sein, weiß Piper Sutton, die ebenso taffe wie kaltblütige Nachrichtenfrau, die Runes Aktivitäten missvertrauisch beäugt, manchmal fördert, manchmal, so scheint es, torpediert. Aber, schau an, Rune hat Erfolg, sie deckt Schlampereien der Polizei auf, Boggs kommt frei. Deaver wäre indes nicht Deaver, hätte er nicht einen kleinen Clou parat, der „Hard News“ zu einem am Ende doch überraschenden und turbulenten Krimi macht.
Gut; aber nun zu den falschen Zutaten. Da wäre zunächst einmal Rune selbst, deren Naivität einem schon auf die Nerven gehen kann. Sie hat ein gutes Herz und bietet auf ihrem Hausboot einer jungen Frau mit dreijähriger Tochter Unterschlupf. Dann verschwindet die junge Frau, das Kind bleibt bei Rune – und wir denken: Oh, nein, nicht auch das noch. Eine dreijährige Göre, die alles verkompliziert, ein völlig unnötiger Erzählstrang. Und dann der Nachrichtensender mit seinen Intrigen, Zynismen. Kennen wir doch alles schon, völlig abgestanden, keine neuen Erkenntnisse.
Stimmt. Aber sieh an: Deaver nimmt sich diese Zutaten und verrührt sie – und das Ergebnis schmeckt durchaus. Die Sache mit der Dreijährigen wird schön in die Handlung integriert, das Gefühlsduseln hält sich in Grenzen. Die Automatismen bei der Verarbeitung von Nachrichten werden prägnant analysiert, der sonst obligatorische moralische Zeigefinger bleibt unausgestreckt. Und Rune selbst ist am Ende weniger naiv als am Anfang, die Ereignisse hatten einen Lerneffekt.
„Hard News“ ist also ein Paradestück für den souveränen Umgang mit im Grunde Bäh-Zutaten. Man muss es halt können, und Jeffery Deaver kann es.
Jeffery Deaver: Hard News.
Aufbau 2006
(Original: “Hard News”, 2002. Deutsch von Gerold Hens).
325 Seiten. 7,95 €