„Na, Herr K., heute die Pumpgun dabei? Kleiner Amoklauf geplant?“ – Diese Hackfresse! Eines Tages klopp ich dem sein Abteilungsleitergrinsen zurück in seine Abteilungsleitergedärme! Aber ist immer dasselbe: Kaum hat irgendwo wieder einer mit der Knarre um sich geballert, zeigen sie mit dem Finger auf mich und hämeln: „Guck ma, der K.! Der liest Krimis! Wer Krimis liest, bringt auch Menschen um!“
Wie ja überhaupt: Jetzt wollen sie die Counterstrike-Sachen ächten. Aha. Dass bei einem, der so was spielt, ziemlich viel schiefgelaufen sein muss, daran wird natürlich kein Gedanke verschwendet. Willkommen im Lande der schlichten Gemüter! Erinnert mich an das unsterbliche Titanic-Titelbild: „Hungerproblem gelöst! Einfach mehr spachteln!“ Heißt jetzt: „Amokläuferproblem gelöst! Einfach Counterstrike verbieten!“ Das ist so wie PISA, wo sie die Bildungsmisere durch „mehr lernen!“ beheben wollen. Idioten, das!
Und bald auch die Krimis. Was man daraus alles lernen kann! Bei Hiaasen etwa, den ich gerade lese, wird ein Killer mit einem Schwertfisch durchbohrt. Lässt sich auch auf Abteilungsleiter anwenden. Und einem anderen Killer wird die Hand von einem Barracuda abgerisssen, den sich der Protagonist als Haustier hält. Naja. Unsereiner kann sich nicht mal ein Fischstäbchen halten, wird sofort von der Katz aufgefressen.
Aber stellen Sie sich vor: Keine Krimis mehr. Keine subtilen Todesarten, die sich locker auf alles übertragen lassen, was einem selber das Leben schwer macht! Was würde passieren? Genau! Man käme auf die Idee, selber Krimi zu spielen, weil ja nach Freud und jedem zweiten Krimiautor die Triebe abgeführt und in nackte Gewalt umgewandelt werden müssen. Es sei denn, man liest; dann bleibt der kleine Amokläufer in uns allen hübsch zu Hause.
Krimis kompensieren also, sublimieren, leiten ab, was weiß denn ich. Hier im Finanzamt zu arbeiten, das hältst du nur straffrei aus, wenn du sie nach Feierabend alle irgendwie in effigie und pars pro toto und a posteriori um die Ecke bringst, die staubtrockenen Ärmelschoner, die parfümierten Tippsen, die schwitzenden Bosse hinter den unter der Dummheit ihrer Besitzer ächzenden Schreibtischen. Ah! Und dann das ehrenwerte Handwerk eines Psychokillers am Abend gebührend würdigen! Dieses Zerteilen lästigen Fleisches, dieses Amputieren unnützer Gliedmaßen! Herrlich! Dann schläfst du als ein Lämmchen ein und wachst nicht als Wolf auf, dann schaffst du es, diese Amöbe von Abteilungsleiter dreißig Minuten lang in der Kantine zu ertragen, ohne ihn so lange mit Königsberger Klopsen zwangszufüttern, bis ihm das Zeug durch die Fußsohlen wieder austritt.
Nun gut; aber es gibt Krimis, die würde ich tatsächlich sofort verbieten. All die nämlich, die die Dummheit, ach was!: die blanke Brunzdummheit befördern und beflügeln und animieren und weiß der Geier noch was. Denn merke: Die Dummheit läuft hierzulande immer Amok. Ihre Waffen sind mächtig, sie heißen Medien und verschießen ihre Munition pausenlos, und wer getroffen wird, fällt nicht tot um, sondern fängt an zu schunkeln und zu kreischen, fasst in die Tüte mit den Erdnüssen, und mit jeder Erdnuss verschwindet auch eine Gehirnzelle im Verdauungstrakt, und dann kommt man auf die dumme Idee, sich partout fortpflanzen zu wollen, was der Erde ja gar nicht recht sein kann, wieder vereinigt sich das Sperma eines Idioten mit dem Ei einer Idiotin und wächst die Dummheit leibesfruchtig neun Monate, um den Planeten dann 80 Jahre lang mit ihrem bloßen Vorhandensein als Erdenbürger zu malträtieren, dabei immer Mehrwegsteuer statt Mehrwertsteuer sagen und Präservative als „Werbungskosten“ absetzen wollen. Das, ihr Krimisudler, ist auch euer Werk!
All diese Fließbandtäter, diese wandelnden 500-Wörter-Vokabulare, diese LEGOisten des Krimis, diese verklemmten, ödipal und analfixiert in die Tastatur hämmernden Organismen, die man früher „die niederen“ nannte und heute halt KrimiautorIn. Weg damit. Meinetwegen können die ihren Dreck unterm Ladentisch verkaufen lassen, an ihresgleichen. Übrigbleiben die Guten, die uns originelle Todesarten bescheren, die man stundenlang in Gedanken nachspielen und auf Personen der näheren Umgebung anwenden kann. Langsames In-Scheibchen-Schneiden! Tagelange Beschallung mit Volksmusik! Anne-Chaplet-Zwangslektüre. Uaaah! Da schmeichelt sich ein verklärtes Lächeln in mein gequältes Gesicht und ich werde, langsam, langsam, langsam, wieder gaaaaanz ruhig.
Freundlichen Gruß
Ihr K.
(Herr K. arbeitet als Sachbearbeiter bei der Oberfinanzdirektion Oberursel. Seine unangefochtenen Lieblingskrimis sind Hammetts „Das große Umlegen“ und alle anderen, in denen UZI und Kalaschnikow regieren. Wenn es ihm die Zeit erlaubt, wird Herr K. seine Mittagspausen weiterhin dazu nutzen, den Krimi zu erklären.)
Lieber Herr K.,
das haben Sie alles schön gesagt, und doch müssen Sie mir eine Anmerkung gestatten: Die Kriminologie hat in selbstreflexiver Absicht den ‚Reaktionsdeppen‘ erfunden:
„Der straffällige Mensch wird also jeweils als ein gewissermaßen passives Gefäß für die außer ihm und seiner Motivation liegenden Ursachen der Kriminalität angesehen. Im einen Fall sind es die Reize der guten Gelegenheiten, die ihn als einen bloßen Taschenrechner in die eine oder andere Richtung treiben, im anderen Fall ist er ein passiver Adressat von Zuschreibungen und Stigmatisierungen, ein ‚Reaktionsdepp'“ eben, wie Michael Bock mit Bezug auf Trutz von Trotha schreibt.
Das paßt auch auf unseren/Ihren Fall, denn das ist genau die Vorstellung vom Medienkonsumenten, die Leute wie Herr Lau von der „Zeit“ auszustellen belieben, wenn’s dem Distinktionsgewinn dient. Und von der Position aus kann man dann, je nach Tunlichkeit, ‚wegsperren‘ fordern oder eben ‚verbieten‘ und ‚zensieren‘: „weg damit, null toleranz“, wie es an anderer Stelle hieß.
Mit freundlichen Grüßen!
och jo, an anderer stelle. ich sagte null toleranz gegen die spiele. Sie können mir gern einen grund nennen, dass sie produziert oder verkauft werden.
Ich bin ja, liebe Anobella, sofort dafür, Counterstrike zu verbieten – aber dann bitte auch Monopoly. Und all diesen sogenannten Unterschichtenscheiß, den sich die Oberschichten ausgedacht haben, damit sie Oberschichten bleiben. Es geht nicht darum, Argumente FÜR diese Spiele zu finden, sondern Argumente DAGEGEN. Das wäre sonst eine Umkehrung der Beweislast, das heißt nämlich: Du, Angeklagter, hast gefälligst zu beweisen, dass du unschuldig bist. Unser Rechtssystem sieht die Sache aus gutem Grund anders.
Ihnen, lieber Roy, vielen Dank für die klaren Worte. Jeder Amoklauf eine weitere hübsche Gelegenheit für unsere Edelfedern, ihr Mütchen zu kühlen. Ach ja.
bye
dpr
geht in die schulen. sagt das den lehrern.
counterstrike ist wie monopoly. ge-nau. danke für die praktische hilfe.
Wenn ich in die Schulen ginge, würde ich den Lehrern etwas anderes erzählen, Verehrteste. Etwas, das sie gar nicht gerne hören. Und wenn wir schon dabei sind: Minesweeper muss weg. Könnte doch jemand auf den Gedanken kommen, sich ein privates Minenfeld zuzulegen. Also: Wo sind hier die Grenzen zu ziehen? Was ist noch erlaubt und was nicht mehr? Wer entscheidet? Experten? Nö. Selbsternannte Moralapostel und Politiker im vorauseilenden Gehorsam. So siehts aus.
bye
dpr
Ach lieber dpr,
wie gerne würde ich mit Dir streiten. Allein: So ist es.
Beste Grüße
bernd
Verbieten bringt gar nichts. Mut zur Erziehung muß wieder her. Daran mangelt es hier auch : keine klaren Wertesysteme mehr, Eltern die einfach aufgeben und die Erziehung Professionellen überlassen und überlastete Lehrer und Erzieher. Und danach fragen wir uns, warum die Kinder und Jugendlichen nicht mehr wissen wohin mit sich? Counterstrike (und Krimi?) sind Symptom aber nicht Ursache.
LG
barb
*von der Buchmesse in Montréal zurück
Liebe Barb, vielleicht sähe die Welt schon besser aus, wenn wir uns abgewöhnten, jeden Fall auf die Gesellschaft hochzurechnen.
Beste Grüße!
Liebe Barb,
ich behaupte einfach ´mal, dass wir gerade in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess sind, an dessen Ende die Ausweitung der Erziehung von Kinder durch „staatliche“ Institutionen steht.
Die Diskussion in Deutschland geht aufgrund des Pisa-Drucks, der zunehmenden Zahl Alleinerziehender und der ökonomischen Notwendigkeit des Doppelverdienstes ganz klar in Richtung Kindergrippe, Pflichtkindergarten und Ganztagsschule.
In der Summe wird dieser Vorgang zu einer Stabilisierung d
Nur mal so an der Oberfläche kratzend und mit besten Grüße
Bernd
Mag sein. Aber mich so einfach zur Schlachtbank führen zu lassen, liegt nicht in meiner Natur. Ich erziehe also noch und lege damit ein (bzw. drei) Steinchen in den Weg der Mächtigen. Meine Töchter haben jetzt schon Werte und werden erziehen wollen (und können).
Es fehlt ein Teil deines Satzes : was wird stabilisiert? Die Macht und das Kapital? Danke, hab schon gegeben. Da stabilisiere ich lieber meine Kinder und die drumrum. Gebe (gutes? Frage des Standpunktes) Beispiel, es mal anders anzugehen. Anders als unsere Elterngeneration und anders als meine Generation (und jünger).
Kratze schon seit langem an der Oberfläche und stelle immer wieder fest, daß da nicht viel drunter ist.
LG
barb
Liebe Barb,
ist ja große Klasse ! Erst lehnte der wtd-Server meinen Eintrag ab und nun fehlt ein Teil, der bei der Vorschau noch da war.
Komplettiert lautete der Satz sinngemäß:
„In der Summe wird dieser Vorgang zu einer Stabilisierung des minimalen Bildungsniveaus führen.
Ich finde diesen Prozess als Teil der Gesellschaft so gut, wie ich sie als einzelnes Elternteil ablehne.“
Wir kratzen natürlich ständig an der Oberfläche von Problemen, unter denen weitere Probleme stecken…
Beste Grüße
bernd
Lieber Bernd,
dann sind wir uns ja gar nicht so uneinig.
Schönes Restwochenende
barb