Zwei Bürgerrechte sind es, so Vince Camden in Jess Walters Buch „Citizen Vince“, auf die verurteilte Straftäter in den USA verzichten müssen. Das Recht eine Waffe erwerben und tragen zu dürfen und das Recht zu wählen. Als er eine Woche vor der US-Präsidentenwahl 1980 die erste Wahlkarte seinen Lebens erhält, geht durch den 36 jährigen ein Ruck … vielleicht, so ahnt er in diesem Moment, hat er doch eine Chance, in der bürgerlichen Gesellschaft anzukommen.
Einst war Vince Camden Marty Hagen, ein kleinerer Krimineller, der in New York lebte und vor vier Jahren in eine Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden war. Jetzt lebt er unter neuem Namen am anderen Ende der USA in Spokane, Washington und verdient sein Geld als Donut-Bäcker … zumindest teilweise, denn er hat ein gutes Geschäft mit gestohlenen Kreditkarten am Laufen.
Bis eines Tages dieser Killer auftaucht, der es auf sein Geschäft und so glaubt Vince, auch auf ihn abgesehen hat. Sein Versteck, so scheint es, ist aufgeflogen und die New Yorker Mafia hat den Killer auf ihn angesetzt. Als man dann noch eine Leiche in Spokane findet und die dortige Polizei sich für ihn zu interessieren beginnt, sieht sich Vince gezwungen zu reagieren. So macht er sich auf nach New York, um zu sehen, ob sich die Sache nicht klären ließe.
Während Vince also unterwegs ist nach New York, wird die anstehende Wahl zwischen Reagan und Carter für ihn immer wichtiger. Er wird nicht müde, seine Gegenüber Fragen zur Wahl zu stellen. Und während er vordergründig an der Möglichkeit eine richtige Auswahl zu treffen zweifelt, wird ihm die symbolische Bedeutung der Karte immer klarer.
„Citizen Vince“ ist ebenso ein Buch über Vince Camden wie es ein gelungener Krimi ist. Die „innerlichen Phasen“ des Buches werden immer wieder von Action und überraschenden Wendungen abgelöst. Keiner dieser Krimis also, nach deren Lektüre der Krimileser das Buch leicht seufzend aus der Hand legt und seine literarischen Qualitäten lobt.
Es lebt aber auch von den Dialogen seiner eigenwilligen, starken, zum Teil unterschätzten Charaktere, seinem immer wieder aufblitzenden Witz und von der ausgeprägten atmosphärischen Intensität, mit der Jess Walter Szenen und Beschreibungen zeichnet. So wirkt dann auch die Stimmung des Jahres 1980 glaubwürdig, ohne dass sie allerdings das Buch dominieren will.
Alleine am Ende des Buches mag der Leser „tougher“ Krimis etwas auszusetzen haben. Auch wenn es aus der inneren Entwicklung heraus stimmig wirkt, ist es, im Vergleich zu einem noir, etwas zu pathetisch.
Die Art der Vermarktung in Deutschland kann man dem Buch dagegen nicht anlasten. Im Titel „Die Agenda“ der deutschen Übersetzung, soll wohl die gleiche „reißerische Stimmung“ mitschwingen, wie bei der Feststellung des Verlags, dass der Edgar, den „Citizen Vince“ gewonnen hat, ein „Thriller-Preis“ sei. Der gekonnten Mischung zwischen literarischer Qualität und knackiger Spannung des Buches wird diese Vermarktung nicht gerecht.
Betrachtet man die diesjährigen Kandidaten der Kategorie „Bestes Buch“ im Überblick, kann festgestellt werden, dass die Juoren gute Arbeit geleistet haben. Die ausgewählten Bücher bewegen sich auf hohem Niveau und decken eine große Bandbreite ab. Einzig Tess Gerritsens „Vanish“, welches sich etwas sehr auf reine Spannungsliteratur reduzieren lässt, fällt ein wenig ab. Ansonsten fällt die Wahl jedoch seht schwer. George P. Pelecanos „Drama City“ fasziniert als äußerst gelungene Analyse des amerikanischen Gesellschaftsdilemmas, „Red Leaves“ von Thomas H. Cook tritt betont literarisch auf und überzeugt als Analyse eines Mannes, dessen Bild der eigenen Familie mit der Realität kollidiert, „The Lincoln Lawyer“ von Michael Connelly liest sich auch als bitterböses Zerrbild des amerikanischen Rechtssystems, ist aber vor allen Dingen ein extrem spannender und „hakenschlagender“ Roman. „Citizen Vince“ scheint ein gelungenen „Kompromiss“ zwischen den beiden zuletzt genannten darzustellen. Nicht so betont hakenschlagend und nicht so demonstrativ literarisch ist es vielleicht sogar zurecht der (überraschende) Gewinner.
Jess Walter: Citizen Vince.
Hodder & Stoughton Paperbacks 2005. 9,90 €
(deutsch: "Die Agenda", Heyne 2006, übersetzt von Uschi Gnade. 397 Seiten. 8,95 €)