Wie Kollege dpr hier angesichts des Buches →„Gefährliche Engel“ bedauernd anmerkte, hat Laura Lippman, immerhin eine der derzeit erfolgreichsten Krimiautorinnen in den USA, in Deutschland bisher nur relativ wenig Beachtung gefunden. Nun, vielleicht liegt dieses auch daran, dass bei uns zuvor nur ihre älteren Werke erschienen waren. Unaufgeregte Bücher, moralisch korrekt, die sauberes Handwerk demonstrieren, jedoch nicht besonders komplex oder raffiniert sind.
„By a Spiders Thread“ zeigt, im Vergleich zu diesen älteren Büchern, mit denen Lippman ja gerade in den USA so erfolgreich war, eine stilistisch gereifte Autorin. Im Zentrum des Buch steht Tess Monaghan, die Serienheldin der meisten Lippman-Bücher. Tess Monaghan erhält von Mark Rubin den Auftrag, nach dessen Frau und den Kindern zu suchen, die eines Tages plötzlich und ohne dass er zuvor etwas ahnte, verschwunden waren.
Die Darstellung der Arbeit (und des Alltags) Monaghans wechselt immer wieder mit Beobachtungen der Reise der Ehefrau und der Kinder. Es zeigt sich, dass Rubins Frau wohl von ganz anderen Motiven angetrieben wird, als ihr Mann es ahnt: Sie ist, natürlich, mit einem Mann unterwegs. Dabei entwickelt es sich zunehmend zum Problem, dass dieser mit den drei Kindern und jene mit ihm nichts anfangen können. Die kleinere Tochter fängt wieder an einzunässen und der größere Sohn tut alles, um die Reise zu sabotieren und die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu lenken.
Wenn „By a Spiders Thread“ auch durch zahlreiche Wendungen immer wieder zu überraschen weiß, gibt es doch einen deutlichen roten Faden, dem das Buch folgt, so dass sich die zahlreichen Hinweise im Kopf des Lesers langsam zu einem schlüssigem Gebilde zusammenfügen. Die unterschiedlichen Blickwinkel und der damit verbundene Informationsvorsprung des Lesers sorgen dafür, dass dieser sich immer wieder fragt, wie denn Tess zu dem Wissen kommt, welches er schon hat. Insgesamt zwar kein hochspannendes, aber doch ein spannendes Buch. Wenn auch diese Spannung wenig vordergründig ist, baut Lippman ein-, zweimal richtig überraschende Cliffhanger ein.
Mark Rubin stellt sich als schwieriger Klient heraus, der wesentliche Informationen verschweigt, die Tess in mühsamer Arbeit freilegen muss. Als orthodoxer Jude fordert er einige Verhaltensweisen ein, die Tess unvertraut erscheinen. Lippman nutzt geschickt die Tatsache, dass sie dereinst Tess zur Halbjüdin machte. So ist diese mit manchem jüdischen Brauch vertraut und kann trotzdem das jüdisch-orthodoxe Leben als Außenstehende betrachten. Es wäre zwar übertrieben „By a Spiders Thread“ als Geschichte einer jüdischen Familie zu bezeichnen, aber Laura Lippmans Gespür für Personen und die Begebenheiten, die sie um die Familie des Mark Rubin gruppiert, führen dazu, dass sie uns nicht nur die Geschichte der Flucht, sondern die Geschichte der gesamten Familie erzählt.
Die eigene Geschichte der Tess Monaghan und ihrer Familie, die, wenn ich ehrlich bin, mich immer ein wenig langweilt, muss dahinter zurücktreten.
„By a Spiders Thread“ ist ein Krimi mit einer mitunter kräftigen Portion Humor und mit literarischen Mehrwert – dieses auch deshalb, weil Lippmann mit ihrem umfangreichen literarischen Wissen nicht hinter den Berg hält, dabei dieses Wissen nicht nur demonstrativ, sondern werkdienlich einsetzt.
Laura Lippman: By a Spider’s Thread.
Avon 2005. 367 Seiten. 8,30 €
(noch keine deutsche Übersetzung)