Vorgestern eingetroffen, gestern gelesen, heute rezensiert. Ein Schelm, der Chamissos „Die Gauner. Galerie der pfiffigsten Schliche und Kniffe berüchtigter Menschen“ für ein Ex-und-Hopp-Produkt hält. Rasch gelesen ist das Bändchen mit seinen knapp 150 Seiten und dem großzügigen Satzspiegel durchaus. Zwei Stündchen nette Kurzweil, Eintauchen ins 19. Jahrhundert, als die Behauptung, hier fließe die Sprache, noch nicht mit Dünnpfiff zu assoziieren war.
Man liest sich also durch diese 36 Bildchen trickreichen Gaunertums – und fragt sich irgendwann, wieso sie uns der Autor präsentiert. Dass wir Heutigen sie überhaupt zur Kenntnis nehmen können, ist ein Glücksfall, erschienen doch die „Gauner“ 1836 in höchst begrenzter Auflage, wurden vergessen und dem Oeuvre Chamissos gar nicht mehr zugeschlagen, bis man das lausig editierte („Chammisso“) Bändchen 1989 zufällig wiederentdeckte. Warum also die „Gauner“?
Dazu sollte man etwas über diesen Adelbert von Chamisso (1781-1838) wissen, gebürtiger Franzose, Romantiker, Autor des unsterblichen „Peter Schlemihl“, Teilnehmer einer Weltumseglung, Naturforscher, Botaniker, und diese Kombination ist ja schon einigermaßen ungewöhnlich: ein Romantiker als Erforscher von Realien.
Nein, so ungewöhnlich nun auch wieder nicht, aber nirgendwo so dezidiert herausgearbeitet wie bei Chamisso. Sie saßen eben nicht weltfremd auf siebten Wolken herum und raunten uns Schaurig-Schönes zu – Romantik war Realismus mit anderen Mitteln, und so langsam kommen wir der Sache mit den „Gaunern“ auf die Spur.
Das erste, was uns auffällt: Chamisso enthält sich jedweden Moralisierens. Er führt uns seine Ganoven bei der Arbeit vor, die zwar kein ehrbares, aber doch ein Handwerk ist. Und manchmal durchaus respektabel, in der Geschichte von Will Dudley etwa, der zunächst Leute abzockt, dann mit ihnen am Wirtshaustisch sitzt, erzählt, wie er sie abgezockt hat und Wetten darauf annimmt, dass er diesen und jenen ebenfalls abzocken kann. Ein reputierliches Mitglied der Gesellschaft, dieser Will. Später wird man ihn – Chamisso erwähnt es lapidar – zwar hängen, doch ohne Risiko ist eben nichts.
Man kann in einigen der Geschichten so etwas wie „Kapitalismuskritik“ entdecken („…wenn große Verbrecher geduldet werden, so kann wohl der Arme und Mangelleidende mit Recht sagen: wir müssen auch leben, und was ist es denn für ein Unrecht, denen einige Guineen abzunehmen, welche die Dinger im Überfluß besitzen und sie auch wohl selbst erst geraubt haben?“ – gottlob gab es damals noch keine FDP-Justizminister, die „Gnade“ üben mussten), immer aber ist es die Macht des Verstandes, das Planvolle bei der Ausführung von Gaunereien, was den kommenden herrschenden Menschentyp ahnen lässt. Chamisso, der Realist, sah sehr wohl, wohin sein Jahrhundert unbeirrbar steuerte: zur sozial verbrämten, politisch und ökonomisch sanktionierten Halunkerei.
Arthur Chambers, zum Beispiel. Er betritt ein Wirtshaus, verteidigt den Diebstahl (siehe obiges Zitat), wettet sodann mit den Anwesenden, er könne eine Uhr stehlen, ohne dass es der Besitzer merkt, tut es, kassiert seinen Gewinn, gibt die Uhr – man ist schließlich ein guter ehrlicher Mensch – entschuldigend zurück und empfängt eine halbe Krone zur Belohnung von soviel Ehrlichkeit. Das ist, auf knappen drei Seiten!, sowohl Gesellschaftsbeschreibung (Bestehle die Leute so, dass sie dir noch dankbar dafür sind, gebe dich sozial, um deine Asozialität zu kaschieren) als auch Anregung für den „avancierten Krimi“, das Verbrechen in all seinen Facetten jenseits von Gute und Böse zu beschreiben. Hammett lässt aus der Ferne grüßen.
Ein kleines großes Werk ergo, diese in feiner Gestalt ins 21. Jahrhundert hinübergeretteten Gaunerstückchen. Vergnüglich zu lesen, als Zustandbeschreibung und Vision gleichermaßen zu deuten, Romantik, wie sie wirklich war: aufklärend, ausleuchtend.
dpr
Adelbert von Chamisso:
Die Gauner. Galerie der pfiffigsten Schliche und Kniffe gerüchtigter Menschen.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gerd Schäfer.
Matthes & Seitz 2007. 153 Seiten. 16,90 €
Schön, dass Sie auch etwas recht Abgelegenes würdigen. Der Herausgeber Gerd Schäfer ist übrigens ein Landsmann von uns, lebt in Dillingen/Saar und hat bei Conte das Bändchen „Dickwanst und Nassauer – Der Saarbrücker Friedrich Schöll als Zeitgenosse und Verleger Alexander von Humboldts“ herausgegeben.
…und auch schon einiges im „Kleinen Archiv des 18. Jahrhunderts“ (Röhrig Verlag St. Ingbert / Saar), wenn ich mich jetzt nicht völlig irre. Man kennt seine Pappenheimer.
bye
dpr