Whodunit?

„Ein kleines großes Werk ergo, diese in feiner Gestalt ins 21. Jahrhundert hinübergeretteten Gaunerstückchen“ – so lobte ich im März 2007 →„Die Gauner“ (1836) von Adelbert von Chamisso, eine erst 1989 zufällig wiederentdeckte Sammlung allerliebster Gaunerporträts des Romantikers, von Gerd Schäfer im Verlag Matthes & Seitz herausgegeben. In akkurat jenem Verlag, der jetzt mit „Der wilde Europäer“ von Beatrix Langner eine Biografie Chamissos veröffentlicht hat. So. Und nun wird es höchst seltsam…

Denn Beatrix Langner deckt auf: „Die Gauner“ sind gar nicht von Chamisso! Der nämlich hat in einem Brief vom 18. September 1836 lamentiert: „… ein Buchhändler-Verleger, der übrigens in schlechtem Ruf steht, findet meinen Namen bekannt genug, um ihn auf den Titel fabrizierter Bücher zu setzen, die er in Umlauf gebracht hat.“ Gegen diesen Missbrauch gedenkt Chamisso indes nicht vorzugehen, eine öffentliche Richtigstellung bleibt folglich aus.

Na ja. Ob er oder ob er nicht, kann man aus der Ferne schwer entscheiden. Dass Behauptung und Gegenbehauptung in einem gemeinsamen Verlag erscheinen, ist aber sehr nett. Weniger nett, wie Frau Langner ihrerseits begründet, warum „Die Gauner“ nicht von Chamisso sein können: „Der antiquierte altdeutsche Stil, die matten Pointen, die journalistische Blässe der kurzen Geschichten und Anekdoten sind so auffallend, dass niemand, der auch nur eine Seite Prosa von Chamisso gelesen hat, es für ein Originalwerk halten würde.“

Hm. Nein. Altdeutsch? Matt? Blass? Keine Spur. Aber in Ordnung, das mag Interpretationssache sein. Merkwürdig ist jedoch die These, man brauche nur eine Seite Chamisso zu lesen, um seine Urheberschaft auszuschließen. Was für ein Autor wäre dann dieser Chamisso, wenn man aus einer Seite folgern könnte, wie der Mann schreibt und wie nicht? Sorry. Aber das müsste schon ein reichlich erstarrter Stilist sein, der seine ganze Kunst auf einer einzigen Seite ausbreitet und nicht dem Sujet anpasst, das er behandelt. –

Es kommt noch dicker bei Frau Langner: „167 Jahre nach Chamissos Tod wird dieses Buch in einem Antiquariatskatalog wiederentdeckt, neu aufgelegt und von einer ahnungslosen Literaturkritik wohlwollend kommentiert, für die Chamisso nicht viel mehr als eine liebenswürdige Randfigur der deutschen Literaturgeschichte, ein ‚falscher Klassiker‘ ist.“

Das ist starker Tobak. Frau Langner bezieht sich auf Rezensionen des Buches in der Frankfurter Rundschau und der FAZ, sie steht dem Herausgeber Gerd Schäfer zu, seine Edition mit einem „überzeugenden Nachwort“ ausgestattet zu haben. Niemand hat Chamisso zur „liebenswürdigen Randfigur“, zum „falschen Klassiker“ ernannt, man hat lediglich einen Text rezensiert und für gelungen befunden, dessen Urheber „überzeugend“ identifiziert wurde. Was hätte man tun sollen? Zuerst Chamisso-Experte werden? Vor der Kritik eine umfassende Stilanalyse des Gesamtwerks anstellen? Und wie kann das Nachwort eines Herausgebers (eines Experten also), der das Werk Chamisso zurechnet, „überzeugend“ sein, die Kritik indes „ahnungslos“, weil sie diesen überzeugenden Belegen des Herausgebers Glauben schenkt?

Nein, ich bleibe dabei. „Die Gauner“ ist – gerade wegen seiner Lakonik und offenkundigen Nicht-Liebenswürdigkeit – ein gelungenes Exempel „vorbereitender Kriminalliteratur“, das die strukturelle Notwendigkeit von Verbrechen in einer Gesellschaft zumindestens andeutet. Ob Chamisso das geschrieben hat oder nicht, bleibt dabei nebensächlich. Ein Fall für Detektive der Literaturgeschichte.

2 Gedanken zu „Whodunit?“

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