
Man kann den deutschen sogenannten Soziokrimi als eine notwendige Sondierung der Genremöglichkeiten historisch einordnen, initiiert von den schwedischen Vorbildern Sjöwall / Wahlöö, Reflex auch des allgemeinen Zeitgeistes (links, gesellschaftskritisch, an Soziologie interessiert), spannungsmäßig im Nanobereich, sprachlich von einer bisweilen kaum noch zu ertragenden Hölzern-, ja Albernheit. Auf den ersten Blick passt Helga Riedels Debütkrimi von 1983 perfekt in dieses Muster. Auf den zweiten offenbart er sich als die Zerstörung dieses Musters mit seinen eigenen Mitteln.
Die Geschichte, in wenige Sätze gedrängt: Anna Wildenbruch, 41 und gelernte Lehrerin, leidet am Helfersyndrom typischer achtziger-Jahre-Gutmenschen. Sie hat Mitleid mit einigen Asylbewerbern, die es aufs schleswigholsteinische Land verschlagen hat, ohne Arbeit, ohne Sprach- und Kulturkenntnisse. Sie entschließt sich, zwei Türken Deutschunterricht zu erteilen, lernt einen dritten kennen, Achmet, man schläft miteinander, doch irgendwie verliert Anna die Kontrolle über die Situation, ganz so sehr „involvieren“ wollte sie sich eigentlich nicht – zu spät. Anna und Achmet heiraten, Anna hasst Achmet plötzlich, Achmet wird erschlagen, Anna gesteht die Tat, ihr Freund Broder, versoffener und zynischer Journalist, gesteht sie ebenso. Wer wars? Uninteressant, ungeklärt.
Der Clou dabei ist nun, dass Riedel in der Figur der Anna sämtliche Widersprüche der Zeit und ihres Engagements bündelt. Sie, die eigentlich „nur in der Sprache wirklich zu Hause“, sprich reichlich naiv und weltfremd ist, verkörpert die inzwischen legendäre Studienrätin, die sich in einer „Frauengruppe“ einige Asylbewerber vorführen lässt und entscheidet, sie mittels Sprachunterricht „zu integrieren“. Für die Menschen interessiert sie sich nicht wirklich. Das Engagement ist ein Reflex auf den dernier cry der geistig-politischen Ausrichtung und dient der eigenen „Selbstfindung“, füllt die Leere eines ereignislosen Lebens und von aufgeschnappten Floskeln nur notdürftig durchbluteten Gehirns.
Das völlig Eigene von „Einer muß tot“ ergibt sich aus seinen Formalien. Im ersten Kapitel lernen wir Anna aus der Perspektive des namenlosen Kommissars, der sie verhört, kennen. Er stilisiert sie beinahe zu einer Heiligen, zu einem sensiblen, ätherischen Wesen, das nicht lügen kann. Die Geschichte Annas und Achmets wird in soziologisch erläuternder Sprache erzählt, doch weil sich Inhalt und Sprachgestus so offensichtlich konterkarieren, stellt das eine das andere bloß. Die Sprache selbst diskreditiert Anna, die Engagierte, zur Spießerin, die mit ihren eigenen Attitüden nicht zurecht kommt und letztlich daran zerbricht. Und so wie Anna charakterisiert wird in ihrem politisch korrekten Analysieren, diskreditiert sie die Sprache des „Soziokrimis“. Das Ganze ist in jeder Hinsicht angemessen, an entscheidenden Stellen ins Parodistische abschweifend, die Sprache wird zum Gegenstand der Handlung, verkörpert sie doch das ganze Elend einer moralisch rigiden, letzlich aber eben doch zutiefst egoistischen Geisteshaltung.
Mit „Einer muß tot“ debütierte Riedel in der legendären „rororo-thriller“-Reihe (wo also, entgegen einer weiteren Legende, Irene Rodrian doch nicht so ganz allein unter Männern war), zwei weitere Krimis folgten („Wiedergänger“, 1984 und „Ausgesetzt“, 1985, beide 1985 mit dem „Deutschen Krimipreis“ ausgezeichnet) – und dann war Schluss. Nach einem schweren Unfall verstummte Helga Riedel, über ihr weiteres Schicksal ist öffentlich nichts bekannt. Sehr betrüblich.
dpr
Helga Riedel: Einer muß tot.
Reinbek bei Hamburg 1983. 156 Seiten
wo ist denn der button rezensionen 2007?
*sucht off topic
Gibts noch nicht. Ich setz mal bei Gelegeneheit die Praktikantinnen dran.
bye
dpr
irgendwie … *räsoniert mit blick auf den bildschirm … ist das doch echt noch ein manko von weblogs, dass sie nicht ein plätzchen für die leser haben – ein kleines schwarzes brett – an das sie ihre fragen, anregungen etc. heften können.
*nimmt ihr blog von der kritik nicht aus
**stiefelt bei ludger vorbei
Naja, werte Anobella, Blogs sind ja eigentlich die Schwarzen Bretter ihrer Autoren, auf denen die Besucher lesen und kommentieren können. Fragen und Anregungen könntest Du ja bei Dir im Blog abheften und dann auf wdt verlinken. Denn Fragen wirft wdt reichlich auf…
Grüße aus dem sonnigen Norden
Ludger
ja, ludger, aber das sieht dann auch wieder schnell wie das fischen nach zugriffen aus und nervt dann …
nein, jede zeitung hat eine seite für die leser IN der zeitung. das sind die leserbriefe.
so was, meine ich, sollte es auch für blogs geben.
im grunde müsste das in der software mitgeliefert werden.
deine anregungen kannst du ja jetzt bei dpr´s neuem thread loswerden … 🙂
leider fand ich bei dir nichts zu dem rankinbuch, das ich gerade lese … und viel zu lang finde …
*stiefelte weiter
**sah sich das cnn-filmchen an
***beteiligte sich an einem edinburg-preisausschreiben
****hofft auf ein wochenende zu zweit
Nee, liebe Anobella, das ist nicht das Fischen nach Zugriffen, dass ist Bloggen. Linken, Verlinken, Netzwerke. Deswegen ist es ja so schade, dass der gute dpr immso so geizig mit Links ist.
Leserbriefe: Die schreibst Du in der Regel ja nur, wenn Dir die Zeitung eine Vorlage liefert. Du reagierst – beim Bloggen tust Du beides: Reagieren (durch Kommentare, Trackbacks, Verlinken) und Agieren, durch ein eigenes Blog und Postings.
Liebe Grüße
Ludger
Welches Rankin-Buch überhaupt?
Ludger
*vergesslich
Wenn wir schon im Helga-Riedel-Beitrag sind: Den Hinweis auf dieses Buch verdanke ich einer reizenden Dame aus Berlin. Per Mail. Hätte sie auch ans „schwarze Brett“ heften können: Ey, Alter, guck ma die Helga Riedel. Grundsätzlich hast du ja Recht, dear Ludger: verlinken, Netze knüpfen… Aber manchmal muss auch „was raus“, wie wir hier unten sagen, der ganze Frust (über krimiblog.de) resp. die abgrundtiefe Verehrung (von hinternet.de)…ein Tipp, whatever. Jedenfalls schaun wir erst mal, ob das angenommen wird.
@Anobella: „wochenende zu zweit“? Und wo fahren wir hin?
bye
dpr
steht doch da: nach e d i n b u r g.
*rankinbuch liegt in darmstadt, liefert den titel nach. irgendwas mit einem toten asylanten in knoxland
Ja, Edinburgh. Aber ob wir dich mitnehmen, ist noch nicht raus.