John Connolly: Nocturnes

John Connolly als Meister der kleinen Form? 15 Geschichten, deren kürzeste 11 und die längste 121 Seiten lang ist. Grenzgänge und –überschreitungen zur Phantastik, der Thrillerautor als Schöpfer kurzer Horrorminiaturen – kann das gut gehen? Es geht, und wie. Schon in seinen recht umfangreichen Romanen ist Connolly ein hervorragender Schöpfer mannigfaltiger Stimmungen, die Beschränkung auf wenige Seiten zeigt, WIE gut er wirklich ist. Ihm reichen Andeutungen, kurzes Aufflackern von Gewalt, um Düsternis und Bedrohung sehr anschaulich darzustellen.

Es beginnt mit einer fantastischen, hundsgemeinen Allmachtsphantasie über ein Wesen, dessen bloße Berührung den Tod bringt und ihm selbst das Leben. Am Ende einer der wenigen, sprachlich dezidiert brutalen Abgänge, die gleichzeitig eine Wiedergeburt einläuten. Der Kreislauf des Lebens und Sterbens als zynische Allegorie. Formidabler Einstieg und neben „Das spiegelnde Auge“ – welches den Band beendet – die längste Geschichte der Sammlung.

Danach gibt’s gotischen Horror, eine Erlkönig-Variante, ironische Schilderungen zu unterschiedlichsten Themen: warum das Spielen im Sand gefährlich ist, eine Armenspeisung nicht unbedingt etwas Positives ist, oder Frauen die besseren Vampire sind. Außerdem klärt Connolly beiläufig und einleuchtend die Frage, warum Clowns bei vielen Menschen eher Angst und Abscheu, anstatt Lust am Lachen auslösen.

Schlussendlich hat Connollys Serienheld Charlie „Bird“ Parker seinen Auftritt, darf mit hervorragendem Musikgeschmack glänzen (100 Punkte alleine für „You will know us by the trail of dead“) und bringt verstärkt Krimimotive (kindermordender Serienkiller, Kleingangster, obskure Polizisten) ins Geschehen ein, ohne die Zone des Zwielichts ganz zu verlassen. Das klassische Spiegelmotiv – WAS lebt im, bzw. hinter dem Spiegel – bildet einen zentralen Punkt der Geschichte. Der damit einhergehende Untergang, bzw. die Verwandlung der Persönlichkeit, der eigenen Identität, ist der Grundtenor, der sich durch die Romane und Erzählungen Connollys zieht. Es gibt die Verführer – häufig religiöse Gruppierungen, meist repräsentiert durch charismatische, aber sinistre Anführer und Handlanger -, die Verführten – Menschen, die den Versuchungen erliegen und das mit dem Verlust ihres Wesens, ihrer Individualität oder des Lebens bezahlen müssen – und die Standhaften, die um die Verlockungen der Dunkelheit wissen, sich ihr aber widersetzen. Meist zu einem hohen Preis.
Somit lege ich die „Nocturnes“ wärmstens ans hoffentlich schlagende LeserInnenherz. Der ein oder andere Zombie darf sich’s aber auch mit Genuss zu Gemüte führen…

John Connolly: Nocturnes. 
Ullstein 2007
(Original: „Nocturnes“, 2004, deutsch von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann).
412 Seiten. 8,95 €

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