This is what it sounds like! – Nachdem The Fall-Mastermind Mark Edward Smith während der US-Tour zum durchweg positiv aufgenommenen Vorgängeralbum „Fall Heads Roll“ seine musikalischen Mitstreiter abhanden gekommen waren, stand er zusammen mit Keyboarderin und aktueller Ehefrau Elena Poulou plötzlich alleine auf weiter Flur. Kein Problem für einen Exzentriker wie Smith, der neben seiner Musik in der Vergangenheit unter anderem auch wegen solcher Randnotizen legendär geworden ist.
Flugs binnen zweier Tage eine Truppe junger und fähiger US-Musiker um sich geschart, die Tour fortgesetzt und danach gleich The Fall-Album No. 26 mit 14 Nummern und dem mittlerweile 53. Band-Line-up so rotzig-frisch eingespielt und mit angriffslustigen und zynischen Texten versehen, dass es all den vielen jungen aufstrebenden Bands, die The Fall als Vorbild anführen, glatt Angst und Bange werden muss: „Fall Sound“ – vorne ist da, wo Smith & Co. sind!
Bereits das teuflisch-höhnische Lachen von Smith zu Beginn des Openers „Over! Over!“ und die sich anschließenden Worte „I think it´s over now/I think it´s ending/I think it´s beginning/“ sowie die nachfolgenden Songs „Reformation!“ und “Fall Sound“ mit der unmißverständlichen Textzeile „…/This is what it sounds like!/…“, machen die Ausgangssituation diese Albums sowie die eingeschlagene musikalische und textliche Richtung klar. Die Songs „The Bad Stuff“ und „Systematic Abuse“ (zwar in der Abfolge etwas später) folgen dieser Steilvorlage auf dem Fuß. Smith begibt sich in den Ring: Wider der jugendlich-nostalgischen Retrowelle mit all ihrem Namedropping an musikalischen Vorbildern – The Fall inklusive. Er macht den Jungs klar, wer wirklich den Ton angibt und was er von all dem Rummel hält – und das tut er hier in jeder Hinsicht ohne Kompromisse!
Der Albumtitel „Reformation! Post – TLC“ steht für das (nach eigener Aussage) bewusst verfolgte Grundprinzip der personellen Runderneuerung der Band als kontinuierliche Keimzelle der Kreativität und Routine-Verhinderung. Ob diese personellen Veränderungen jedoch immer gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich ereignen, von ihm gewollt sind oder nicht, kann nur er selbst beantworten. Letztlich liegen die Gründe dafür aber wohl doch immer bei ihm, beziehungsweise der ihm in der Öffentlichkeit nachgesagten exzentrischen und diktatorischen Persönlichkeit. Künstlerisch ist das sicherlich legitim, nicht umsonst spielen The Fall schon seit fast 30 Jahren in der musikalischen Premier League mit – Schwankungen bezüglich der Lage des Tabellenplatzes inbegriffen. Aber die mit den letzten Alben untermauerte Tendenz in Richtung oberes Tabellendrittel wird hier konsequent fortgeführt! Man stelle sich vor, ein 49 Jahre alter Frontmann und The Fall klingen so frisch, als kämen Sie gerade aus dem Proberaum und hätten Ihr Debütalbum eingespielt.
Natürlich servieren The Fall auch mit Ihrem neuen Oeuvre kein musikalisches Allerlei. Ihre Stärke liegt hier in hypnotischen und stoisch vorwärts treibenden Post-Punk-Nummern mit garagig-rauem, repetierendem musikalischen Charakter, mit markanten Basslinien und sparsamen Gitarrenriffs sowie dem gewohnt exzentrischen und grantigen Gesang Smiths – ganz frisch auf den Plattenteller und garniert durch dezente Keyboard/Elektronik-Arbeit. Abgeschmackt und fade klingt ganz anders!
Überraschungshäppchen gibt es aber auch in ausreichender Zahl. „White Line Fever“ ist die Cover-Version eines Klassikers von US-Country-Star Merle Haggards, die gar nichts mehr mit diesem oftmals mit Patina behafteten Genre Country gemein hat.
The “Insult Song’ erinnert an die experimentelle Musik von „The Can“ und „Captain Beefheart“ Ende der 60-er/Anfang der 70-er Jahre und erzählt dabei ein surreales Roadmovie.
„My door is never“ mit seinem verzerrten Bass ist ein Song in bester „Touch & Go“-Hardcore-Punk-Manier.
„Coach and Horses“ kommt so slackerhaft daher, dass er glatt von „Pavements“ Album Slanted & Enchanted stammen könnte, die ja selbst The Fall zu Ihren Vorbildern zählten und dies mit Ihrer Cover-Version von „The Classical“ entsprechend würdigten.
„The Usher“, wohl ein Wortspiel aus dem Bandnamen und Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „The Fall of the House of Usher“, ist ein kurzes, jazzig angehauchtes Stück mit funky Bass.
Dem Song „The Wright Stuff“ verleiht Elena Poulou mit ihrem lasziven und unterkühlten Gesang sowie der dominierenden Keyboardlinie eine unterschwellige Erotik, zu der sonst nur die Damen von Sonic Youth, The Pixies, The Breeders und Lush fähig sind. Gleichzeitig übt der Song mit seinen Lyrics latent Kritik am aktuellen musikalischen Mainstream-Zeitgeschehen: „I am a celebrity/Get me out of here“. Ach ja, Smith und seine (Ehe)Partnerinnen bei The Fall – neben dem Meister selbst nur eine der wenigen Konstanten – siehe Kay Carroll, Brix Smith und Julia Nagle.
Die Nummer „Scenario“ wartet mit einem psychedelisch angehauchten Surf-Sound auf. „The Boat“, ein elfminütiges beinahe Instrumental und Sound-Experiment, dass nur ab und an durch Smiths Störrufe „Das Boot/U-Boot“ unterbrochen wird, hätte mit seiner beklemmenden Atmosphäre sicherlich auch bestens auf dem Soundtrack zu Petersens Film über die U 96 oder auf einem Album von „Autechre“, „Aphex Twin“ oder „Boards of Canada“ seinen Platz gefunden.
Mit dem kurzen Instrumental “Outro’ klingt schließlich eines der The Fall-Alben prägnant aus, das seinen Platz als Eckpfeiler im fast schon unüberschaubaren Backkatalog der Band mehr als verdient hat.
Wetten, wie lange es bis zur nächsten The Fall-„Reformation“ dauert, werden gerne angenommen – Wetteinsatz: „One Pint of Lager“ in Smiths Lieblingspub in Manchester!
Studioalben:
1. Live at the Witch Trials (1979)
2. Dragnet (1979)
3. Grotesque (After the Gramme) (1980)
4. Slates (1981)
5. Hex Enduction Hour (1982)
6. Room to Live (Undilutable Slang Truth!) (1982)
7. Perverted by Language (1983)
8. The Wonderful and Frightening World of the Fall (1984)
9. This Nation’s Saving Grace (1985)
10. Bend Sinister (1986)
11. The Frenz Experiment (1988)
12. I Am Kurious,Oranj (1988)
13. Extricate (1990)
14. Shift-Work (1991)
15. Code: Selfish (1992)
16. The Infotainment Scan (1993)
17. Middle Class Revolt (1994)
18. Cerebral Caustic (1995)
19. The Light User Syndrome (1996)
20. Levitate (1997)
21. The Marshall Suite (1999)
22. The Unutterable (2000)
23. Are You Are Missing Winner (2001)
24. The Real New Fall LP (Formerly Country on the Click) (2003)
25. Fall Heads Roll (2005)
26. Reformation! Post TLC (2007)
Links:
The Fall – official website
The unofficial Fall website
The Pseud Mag (Fall Fanzine)
The Fall Live Gig Repository
Reformation Post TLC auf MySpace
Mark E. Smiths MySpace-Seite
The Fall: Reformation! Post TLC
Slogan/Sanctuary/Rough Trade
VÖ: 16.2.2007