Astrid Paprotta: Feuertod

Man kennt das mit den Krimis. Zuerst bringen sie die Welt in Unordnung und dann räumen sie die Welt wieder auf und am Ende wissen wir, was wir wissen sollen. Oder ein wenig elaborierter: Krimis beginnen immer damit, dass sie uns suggerieren, nichts zu wissen. Und sie enden mit der tröstlichen Erkenntnis, alles zu wissen. Manchmal kommt es aber anders; heißt auch Krimi; auf den Kopf gestellt. Astrid Paprottas „Feuertod“ wird zukünftig als ein Referenzwerk für diesen Zweig der Kriminalliteratur zu gelten haben.

„Feuertod“ beginnt damit, dass er seinem Titel gerecht wird. Die Anwältin Ellen Rupp, als Law-and-Order-Schreierin auch politisch ambitioniert und entsprechend verhasst, wird Opfer einer Brandstiftung, ihr Liebhaber röstet gleich mit. Natürlich liegt es auf der Hand, in jenen Kreisen, die Rupp attackierte, nach den Tätern zu suchen, in der „Unterschicht“, bei den „Linken“ eben. Kein leichter Job für die Kommissare Niklas und Potofski, der eine schon älter und besonnener, der andere undiplomatisch und geradeaus. Sie nehmen das Leben der Rupp unter die Lupe und kommen einem besonders widerwärtigen Fall von Immobilienmachenschaften auf die Spur. Dann brennt ein zweites Haus, wieder gibt es Tote –und eine Verbindung zu Ellen Rupp. Ein Privatdetektiv befindet sich parallel dazu auf einer anderen Fährte.

So entwickelt sich die Geschichte und mit ihr ein Ausschnitt deutscher Wirklichkeit. Wir werden mit den Besserverdienenden und den Aussortierten bekannt, den Fädenziehern und Helfershelfern, nach und nach versammeln sich die Protagonisten des Romans. Claude Czerny etwa, bei seinem Namen kann der nur Friseur sein, ein ganz kleiner im schäbigen Salon. Sein Nachbar Blume, Privatdetektiv mit Hund, hat für die Rupp Drecksarbeiten erledigt. Rupps Sozia in der Anwaltskanzlei, Anna Westheim, mit dem Unternehmer Florian verheiratet, der wiederum ein Jugendfreund der Rupp, dazu ein paar Nebenfiguren, Schönheitschirurgen und gestrandete Arbeitslose, hochnäsige Sekretärinnen und hilflose Geistliche.

Wie wir es von Astrid Paprotta nicht anders kennen, lässt sie die Geschichte aus den Blickwinkeln ihrer ProtagonistInnen erzählen. Dritte Person Singular, das hat sich vier Ina-Henkel-Krimis lang bewährt, jetzt aber fokussiert sich die Handlung auf mehrere Personen, deren Welt-Anschauungen sich in ihrem Sprachduktus offenbaren, in Redewendungen, Nebensätzen. Nichts wirkt deklamatorisch und ist folglich auf der Höhe der Paprotta’schen Erzählkunst und damit automatisch an der Spitze dessen, was deutsches Krimischaffen zu bieten hat.

Ja, und dann passiert es. Wir sind mitten in dieser Geschichte, die natürlich eine mysteriöse Geschichte ist, Krimi eben, siehe oben, ein Setting, Abläufe, Konturen, die langsam sichtbar werden, bittere deutsche Wirklichkeit mit Ober- und Unterschichten, wir hängen in den Figuren, lernen sie kennen, verfolgen sie misstrauisch, eine von denen muss es schließlich gewesen sein, vielleicht doch der Friseur oder doch die Sozia, oder wer auch immer. Das Buch ist etwa zur Hälfte bewältigt – und plötzlich überwältigt es uns. Hätten wir uns denken können.

Astrid Paprottas Trick ist so simpel wie verpönt wie genial. Sie hat „Feuertod“ als eine Art „Rätselkrimi“ auf höchstem Niveau gestartet – und jetzt verrät sie uns unvermittelt, wer denn für all diese Verbrechen verantwortlich ist. Aus dem Whodunnit mit sozialkritischem Dressing wird ein „psychologischer Krimi“ – glaubt man, nein, glaubt man nicht, denn man kennt ja die Paprotta. Sie hat uns konditioniert, uns vorgegaukelt, wir bewegten uns auf festem Terrain – und dann ist das alles nur das Häutchen auf der kochenden Milch gewesen, das Kompakte einer frisch gemähten Krimiwelt mit den Guten und den Bösen. Wir stürzen aus dieser Welt in eine andere, aufrührerische. Die Personen deformieren sich, mit ihnen die beruhigende Welt, die da peu à peu in Ordnung gebracht werden sollte, mit allen Ingredienzien des Genres, Verbrechen – Detektion – Aufklärung, am Ende zwei Seiten Geständnis und Motivauslegung für diejenigen, die das immer gerne schwarz auf weiß haben wollen. Es hier aber nicht bekommen.

Was sich im folgenden ausbreitet, ist die Geschichte einer Emanzipation, einer, wie man so sagt: Selbstverwirklichung. Da erkennt sich jemand, aber wir werden ob dieses Erkennens immer verwirrter, ein anderes, älteres Verbrechen wird aktuell und beide greifen ineinander wie die Zahnräder einer so zynischen wie ergreifenden Maschinerie. Das verdaut sich nicht so leicht. Etwas Besseres kann einem aber gar nicht passieren, wenn man liest.

Die Menschen und ihre Motivationen verdeutlichen sich bis zur Unkenntlichkeit, da kommt zusammen, was nach den Standardnormen des Genres nicht zusammengehört. Die Wirklichkeit, von der Autorin im ersten Teil des Romans scheinbar in die richtigen, weil eingezäunten Bahnen gelenkt, bricht aus und öffnet sich, die traditionelle Inszenierung wird von einer geradezu unglaublich anderen abgelöst, „Feuertod“ steht genremäßig buchstäblich auf dem Kopf und schüttet seine eingepferchte Wirklichkeit über uns, wo sie als die wahre und wahnwitzige auseinanderfließt.

LeserInnen, die in der Hoffnung auf ein Stück selbsterklärende Kriminalliteratur an die Lektüre gegangen sind, werden am Ende wohl enttäuscht sein. Die Logik dieser Emanzipation ist verquer, das Dichotomische (gut / böse, Opfer / Täter) löst sich auf, da liebt einer eine, dann erpresst er sie, aber liebt sie doch und die da geliebt wird, lässt sich erpressen und findet das gut und liebt zurück und sie werden glücklich miteinander oder auch nicht. So in etwa. Das ist nicht die Wirklichkeit, die beruhigt. Man wird noch eine Zeitlang darüber grübeln, das ist die Literatur nach den 315 Seiten Papier, dafür zahlen Sie also nichts, aber das zahlt sich aus.

Astrid Paprotta: Feuertod. 
Piper 2007. 315 Seiten. 12,00 €

24 Gedanken zu „Astrid Paprotta: Feuertod“

  1. Ich habe manchmal den Eindruck, dass du das „Genre“ eigentlich viel zu eng definierst. Definier doch mal. Ich finde nämlich, dass Paprottens Bücher sehr wohl gut reinpassen. Gute Krimis sind. Ausgezeichnete Krimis sind. Nur halt nicht so, wie es die meisten erwarten. Aber interessiert mich die Erwartung der meisten? Nö.

    Also: nächste Crime-School: Was ist das Genre?

  2. Ich kapiere ja nicht, warum man Überraschungsmomente immer am Whodunnit festmachen sollte. Dieser Krimi hält weiß Gott genug „Huchs“ bereit, will sagen: wirkliche überraschende Wendungen. Übrigens fand ich das zum Teil auch sehr komisch, auch wenn schwarzer Humor nicht jedermanns Sache ist.
    Ich messe ja nun alles an „Sterntaucher“: der hier ist größer.

  3. Pardon, lieber Georg, aber diesen Einwand verstehe ich jetzt überhaupt nicht. Ich definiere das Genre eigentlich recht großzügig, siehe Crime School Folge 2 (da gibts ja schon Genrediskussion genug). Und wo liest du, dass ich „Feuertod“ NICHT für einen Krimi halte? Genau das Gegenteil! Aber halt eben nicht in dieser allgegenwärtigen GENRE-ENGE, die uns die windschnittigen, ewig gleichen „Thriller“ präsentiert. Gegen diese Regeln „verstößt“ A.P., indem sie sie einfach mal zu Ende denkt. Also das Genre befruchtet / ausdehnt / auf den Kopf stellt. Sie befindet sich dabei in bester Tradition, ich wage sogar zu behaupten, „Feuertod“ ist ein noir par excellence. Du hast das Buch ja auch gelesen und weißt, was ich meine, wenn ich sage, dass hier jemand, der auf Standardnormen aus ist, wohl enttäuscht werden wird. Und gerade dazu taugt meines Erachtens meine sehr großzügige Genredefinition. Dass dann ein Buch EBEN NICHT automatisch aus dem Genre fällt, sondern etwas in ihm bewegt. Hoffen wir jedenfalls mal.

    bye
    dpr

  4. @Ralf: kapier ich ja auch nicht. Deutlich wird aber, wie im ersten Teil des Buches genau diese „traditionellen Elemente“ verarbeitet werden, um dann durch das erste laute „Huch“ ad absurdum geführt zu werden. Bis dahin wird der bewährte Leserinstinkt des Wer-wars-denn-nu? voll befriedigt. Dann kommt die Frage des Warum – und da kommen wir tatsächlich aus den Huchs nicht mehr heraus, und da profezeie ich dir manch enttäuschtes „Das ist ja unlogisch! Das macht doch niemand! Völlig unrealistisch!“ in den einschlägigen Foren und Amazon-Rezensionsimitaten.
    Ich halts für ein frappierendes Abbild der Wirklichkeit, ganz groß.

    bye
    dpr

  5. Gut, gut. D’accord, wie unser Meister zu sagen pflegte. Dann keine Genre-Diskussion in der Crime School. Wickius und Anobella müssen zum Unterricht kommen. Was ist denn das Thema? „Literarischer Krimi oder Die Bottinisierung des Genres“?

  6. Die nächste Folge war eigentlich für morgen geplant, verschiebt sich aber. Es geht um ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert…und was es uns über Krimis und ihr Geburtsmilieu erzählt…der Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Einstiegs ins erste Heft von makro scoop, und das Thema ist essentiell, da muss ich noch ein wenig dran feilen. Also erst nächste Woche wieder Hefte raus.

    bye
    dpr

  7. >> profezeie ich dir manch enttäuschtes „Das ist ja unlogisch!

    Ich weiß nicht, lieber dpr, Sie machen es kompliziert. Feuertod ist ein klassischer Krimi: Verbrechen geschehen. Die Spur führt zu einem zurückliegenden, größeren Verbrechen. Wie das sich langsam herausschält, ist spannend. Der Mord in Echtzeit hat mich sogar an Hitchcock erinnert: man möchte reinspringen und warnen und kann nicht. Krimi, perfekt.

  8. So kann man das sehen, lieber Ralf, dagegen ist nichts einzuwenden. WENN Sie es aber so sehen, dann verschweigen Sie etwas: Welche Auswirkungen diese Verzahnung der beiden Verbrechensstränge nämlich auf die Personen und die Wirklichkeit hat. Das Setting ist klassisch bis zum schon angedeuteten Wendepunkt. Die Aufdeckung des älteren Verbrechens auf den ersten Blick auch. Die Verbindung von beiden ist aber, im engeren Genrebegriff, eben nicht klassisch (das Ende schon gleich gar nicht). Es ist klassisch im Sinne von Hammett (deshalb auch die Verbindung zu noir) oder Simenon, ja, es ist sogar der ulkige Vergleich mit Dürrenmatts „Richter und Henker“ statthaft (natürlich sehr zum Nachteil des Schweizers…), ich könnte jetzt auch auf Poes Nicht-Krimis rekurrieren, die eben auch schon auf dem Kopf stehende Krimis sind…

    Natürlich könnte man das alles beiseite schieben und sagen: Okay, Leute, das ist ein klasse Buch, das wird Ende Juni auf Nummer 1 der Bestenliste sein oder ich versteh die Juroren endgültig nicht mehr. Aber erstens verschwiege dies das verblüffende Baukonzept des Romans und zweitens die Souveränität, mit der A.P. es unter Verwendung aller „klassischen“ Verfahren realisiert. Ihr „Krimi, perfekt“ unterschreibe ich ja bedenkenlos…

    bye
    dpr

  9. Nein! Du bist mir immer noch das leicht veränderte Schmidt-Zitat aus der ersten Wickius-Folge schuldig! Erst mal das abliefern!
    Im übrigen fällt mir gerade ein, dass ich noch nie eine euphorische Kritik geschrieben habe, bei der ich mich hernach mit anderen euphorischen Lesern drüber streiten durfte, welche Euphorie jetzt angemessener ist. Spricht fürs Buch, oder?

    bye
    dpr

  10. Naja, Alles spricht für dieses Buch. Ist eben die C.M. Wieland des Kriminalromans.

    (was fürn Zitat? Ich dachte, du hast das vergessen…)

  11. Manifestationen deiner Unvollkommenheit vergesse ich nie. Und prangere sie stets aufs Neue gerne an. Die C.M. Wieland des Krimis? Sollen wir sie nicht schon mal provisorisch in die Arno-Schmidt-Reihe stellen? Bei dem streiten sich die Euphoriker ja auch. MUSS man alles dechriffrieren oder genügt das blanke Wollustlesen?

    bye
    dpr

  12. OhduhöheresWesendaswirverehren! Bloß nicht dechiffrieren! Da hat Jörg Drews aus seiner wissenschaftlichen Inkompetenz heraus (und mit ihm viele andere) damals was Schreckliches angerichtet. Auf der ASML streiten sie sich gerade, wie man den Umgang mit Schmidt verbessern kann. (Man verstehe mich recht: ich mag Drews. Aber wissenschaftlich ist der nicht und war der nie. Unvorbereitet in den Seminaren, das ja. Anregend, das auch. Und menschlich in Ordnung, auch das. Aber wissenschaftlich? Ne.)

    Nein, kritisch lesen UND mit Wollust. So wie wir. Gell?

    Und zur „Arno Schmidt des Kriminalromans“ kann man sie nicht erheben, weil ihre Sprache nicht dazu passt. Ob das nun gut oder schlecht ist, dürfen andere entscheiden. Ich finde Wieland besser: Erfinder von Prosaformen (wenn ich Anobella wäre, würde ich sagen: wie Haas).

  13. Ohduhöheres…? Murk(e)s hier nicht rum, sag dpr zu mir. Also jut, nennen wir sie die Wieländin des hiesigen Krimis. Gerade ist ein schöner Link reingekommen, warum die deutsche Frau als solche im Krimischreiben nicht reüssieren kann und sich einen amerikanischen Ersatzleib schaffen muss – bring ich gleich. Aber viel wichtiger: DAS habt ihr mit eurer Meckerei heute schön hingekriegt. Jetzt hat der Linder eine →Karteikarte über diese Rezension angelegt, und wenn der Linder das tut, dann folgt das münchnerbarocke Abwatschen auf dem Fuß. Musste das sein, Ralf, Georg?

  14. >> unlogisch ….
    Da fällt mir noch ein: ich wurde mal Zeuge, wie eine Buchhändlerin einen Verlagsvertreter abwatschte, ihr doch bitte nicht vorzumachen, „das“ wären Krimis, wo „die“ doch so total unlogisch wären.
    Es handelte sich um die Romane der phantastischen Vargas.

  15. @Anobella: Ja, Herr Linder hat die Karteikarte wieder rausgenommen. Das heißt: Er bearbeitet sie gerade. Das ist: ein schlechtes Zeichen. Denn das bedeutet: Er fährt mit mir Schlitten. Ich sammle schon Gegenargumente.

    @Ralf: Schauderhaft, aber wundert mich nicht. Genau um diesen Stummelbegriff der „Logik“, wie er auf Kriminalliteratur allerorten angewandt wird, geht es. Vargas und Paprotta: ein hübsches Duo.

    bye
    dpr

  16. „und wenn der Linder das tut, dann folgt das münchnerbarocke Abwatschen auf dem Fuß“: kommt, kann aber dauern!

    Beste Grüße!

  17. Da! Ich habs gewusst!(*jammert)Er hat sich schnell „Feuertod“ gekauft und liest jetzt und dann…ich werde wohl eine eidesstattliche Erklärung von Frau P. beibringen müssen, dass alles stimmt, was ich über ihr Buch geschrieben habe!

    bye
    dpr

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