„The Long Mile“ von Clyde W. Ford sei gewissermaßen, so war (→ anderenorts ) zu lesen, ein Watts-Aufstand im Kleinen, die Darstellung des Zorns der Afroamerikaner auf die weißen Hüter von Recht und Ordnung … Ich bin mir da nicht so sicher. Es fängt schon mit dem Hinweis auf dem Cover an, dass „The Long Mile“ Teil der „Shango-Mysteries“ ist … und tatsächlich ist „The Long Mile“ ein mit dem Shango-Mythos aufgeladenes Buch.
Icherzähler und Hauptperson des Buches ist John Shannon, ehemaliger Polizei und vorläufig frisch aus der Haft entlassen. Bei dem Namen und der Vorliebe für Guinness ist es ganz klar, dass auch ein 1,92 Meter großer sehr dunkler US-Amerikaner den Spitznamen „Irish“ bekommt. Der als Polizistenmörder verurteilte Mann ist nur aus der Haft ´rausgekommen, weil seine ehrenamtliche (weiße) Anwältin Polizei und Staatsanwaltschaft zahlreiche Verfahrensfehler nachweisen konnte. Dieses übrigens aus gutem Grund, denn Irish ist unschuldig, aber kaum einer glaubt es ihm, und auch seine Frau hat sich von ihm getrennt.
Offensichtlich macht seine Entlassung aus dem Gefängnis manche Leute nervös. Mag es John Shannon noch belustigen, dass er in kurzer Zeit nicht weniger als vier Jobangebote erhält (If I`d known going to prison was such a career move I would have gone sooner.), so droht das plötzliche Verschwinden seines Sohnes, den in ihm angestauten Zorn zum Platzen zu bringen. Der Versuch, die Hintergründe seiner Verurteilung zu verstehen, die verzweifelte Suche nach seinem Sohn und die Heerschar von Polizisten, die wieder auf seinen Fersen sind, dürften allerdings auch gelassenere Menschen als John Shannon ins emotionale Chaos stürzen.
Der Leser beobachtet im Folgendem nichts weniger als die Transformation eines Mannes. Dabei durchmisst John Shannon das Lebens → Shangos, des Gottes von Donner und Blitzes der Yoruba und Symbol gegen die Versklavung der Afrikaner durch die Europäer. Shango war so gewalttätig, dass er auch über die Eigenen Tod und Verderben brachte und, so die Variante des Mythos, die Ford in „The Long Mile“ erzählt, erst nach der Läuterung in der Einsamkeit des Waldes zu einer vernünftigen Balance fand.
Auch John Shannon kann seine Aggression kaum bändigen und hat damit, so seine Frau, erst seine Verurteilung ermöglicht. Und auch er bringt sich und die Seinen in große Gefahr, weil er sich beharrlich weigert, die nötige Hilfe in Anspruch zu nehmen, während sich die Schlinge um seinen Hals immer mehr zuzieht.
Es ist also auch ein spannendes Buch, bei dem der Leser durch diverse kleinere Finten um einen Teil seiner Erwartungen gebracht wird, atemlos durch New York hetzt, zuschaut wie John Shannon wütet und Menschen unter Druck setzt, um an Informationen zu kommen. Wenn man als Leser, auf allerdings hohem Niveau, jammern mag, dann in diesem Bereich. Die große Linie scheint dem Leser schnell klar, so manche Finte wirkt nicht ganz organisch und auf der nicht-symbolischen Ebene des Buches würde etwas weniger Gewalt stimmiger wirken.
Auf höchstem Niveau ist jedoch der Stil des Autors, nicht nur dass sich (der schwarze) John Shannon elegant über die mangelnde Bildung der (weißen) Bösewichte lustig machen kann, die Dialoge überhaupt ein intelligentes Vergnügen darstellen, sondern auch die kraftvolle und intensive Sprache des Ich-Erzählers bezeugt Qualität.
Die Konflikte zwischen Weiß und Schwarz sind allerdings nicht Hauptthema des Buches. Denn die Frontlinien zwischen Freund und Feind und Gut und Böse gehen quer durch die Rassen. Ein Drogendealer wird nicht dadurch besser, dass er schwarz ist, ein weißer Menschenfreund bleibt ein Menschenfreund und auch schwarze Polizisten können in höchste Ämter aufsteigen.
„The Long Mile“ bewegt sich im Fahrwasser der Bücher, welche die Tradition afroamerikanischer Kultur beschreiben. Genauso wie → Grace F. Edwards stellt er uns Harlem als Ort der Tradition und der großen Kultur vor, zeigt uns darüber hinaus aber auch das heutige Harlem (The Disney Store on 125th street ? Black America`s main street looked ever more like a Middle American shopping mail.). Letztlich ist es diese Suche der schwarzen US-Amerikaner nach einer eigenen Identität, die sich unter anderem in der Hinwendung zur afrikanischen Kultur ausdrückt (und die z.B. auch in Eleanor Taylor Bland → „Fatal Remains“ dargestellt ist), die sich in „The Long Mile“ manifestiert. Den Hurston/Wright Legacy Award, welcher literarische Bemühungen um das Erbe des schwarzen Amerikas auszeichnet, hat das Buch sicher zurecht erhalten, und am Ende, wenn alles überstanden ist, ist die Transformation abgeschlossen und John Shannon zu „Shango“ geworden.
Clyde W. Ford: The Long Mile: The Shango Mysteries.
Llewellyn Publications 2005, 256 Seiten. 11,95 €
(noch keine deutsche Übersetzung)