Das letzte Blumfeld-Konzert

„Superstarfighter“. Das ist er also. Der letzte Song, den Blumfeld in ihrer Karriere gespielt haben. Aber das passt, wie so vieles an Jochen Distelmeyers Band: „Und ich sagte: ‚Bitte hilf mir! Vergiss die Lieder, die ich spiel, die hatten nie etwas zu tun mit Dir, die sind so hohl wie ich´ und darauf Du: Und davon handeln wir.“

Fast drei Stunden dauerte der Abgesang in der Hamburger Fabrik, die große Blumfeld-Gala, der Showdown, the Last Waltz. Zwei Abende nacheinander sagt die wichtigste deutsche Band der letzten 20 Jahre in ihrer Heimatstadt Goodbye. Seit Monaten waren die Auftritt der Band in der 1.200 Menschen fassenden Halle ausverkauft. Blumfeld spielen ihr letztes Konzert – einen Tag nach Bob Dylans 66. Geburtstag.

Tränen flossen keine, und wer bedeutende Worte erwartet hatte, wurde enttäuscht. Stattdessen gab´s das, wofür das Quartett seit Jahren steht: die beste deutsche Rock- und Popmusik, die zu kriegen ist.
Von Anfang an konzentriert und zupackend stürzen sich Distelmeyer, Andre Rattay am Schlagzeug, Lars Precht am Bass und Vredeber Albrecht an den Keyboards in die Songs. Vom erst viel geschmähten und dann doch hoch gelobten Album „Verbotene Früchte“ spielen sie nur drei Lieder. Ansonsten gilt: Das ist ein Abend für Hits. Keines ihrer sechs Alben bleibt unerwähnt, es wirkt, als ob die Band noch mal zum ganz großen Rundumschlag ausholen will: Seht her, das alles haben wir gemacht – die Wirkung bleibt nicht aus. Das Publikum kommt immer mehr in Schwung, feiert den Abschied. Wehmütig und mit letzter aufbäumender Begeisterung. Schon nach 80 Minuten ist das Set beendet, aber der Zugabenteil dauert noch länger als das reguläre Programm. Blumfeld spielen schnelle Rock-´n´-Roll-Nummern wie den „Apfelmann“ (Distelmeyer: „Auch mal was Verbotenes tun: mitklatschen!“) oder „Sonntag“ und sie spielen die ruhigen, schwermütigen Lieder wie „Graue Wolken“, „Eintragung ins Nichts“ oder „Kommst du mit in den Alltag“.

Mit Gründungsmitglied Eike Bohlken am Bass gibt´s Songs ihres 91er-Debütalbums, mit „Diktatur der Angepassten“ und „Wir sind frei“ kommen am Ende noch mal die auf ihre Kosten, die in den Texten weniger Lyrisches und dafür mehr Politik und konkrete Gesellschaftskritik verlangt hatten. All die Diskussionen und Grabenkämpfe der vergangenen Zeit – vorbei. Was bleibt, ist die Musik: It´s the same old Song.

„Man muss auch loslassen können“, sagt Distelmeyer am Schluss, und die Band kann es. Locker wie selten zuvor stehen sie bei ihrem letzten Auftritt auf der Bühne.
Und wenn dann Lied für Lied die letzten 16 Jahre Revue passieren, wird einem noch einmal schlagartig klar, was diese Band ausmacht. Niemandem, der deutsche Texte singt, ist es jemals so geglückt, Poesie mit Politik, Pop mit Punkrock-Haltung und Ästhetik mit Aussage zu verbinden. Und all das mit Stil, mit Eleganz, mit Leidenschaft. Blumfeld hatten Charakter, Blumfeld hatten ein Gesicht. Sie blieben nicht gleich, aber sie blieben immer bei sich selbst.

Mehr noch als in einzelnen Songs oder in der Gesamtheit der Alben erschließt sich das beim Live-Erlebnis. Immer sprachen alle über Distelmeyer und seine Texte – die wenigsten sprachen über ihn als Performer. Immer noch unerreicht: Distelmeyer allein auf der Bühne, im schwarzen Hemd. In der rechten Hand das Mikro, in der linken die brennende Zigarette. Vom Band läuft „Tausend Tränen tief“, der sanft vor sich hingroovende Elektrobeat im George-Michael-Stil. Und dann fängt er an zu croonen … Ein solcher Song mit einem solchen Sänger: Wo ist einer in Sicht, der das könnte?
Wer Blumfeld, wer Jochen Distelmeyer und seine phantastische Band je sah und hörte, erlebte ein Phänomen: Ein Dichter, der ein Pop-Star sein kann. Eine Botschaft, die keine Parole, sondern Lyrik ist. Schöngeister, die rocken. Künstler, nicht fern von dieser Welt und trotzdem weit entfernt von „Medien, Märkten, Merchandise“, um einen Song der Band zu zitieren.
Ein anderer geht so: „Thank you, Satan, ich kann mich spalten.“ Genau das haben Blumfeld jetzt getan. Es ist ein Jammer.
(km)
Handyfotos mit freundlicher Genehmigung von Mirko Bertram

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