Blumfeld: Testament der Angst

Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie.

Man kann ja über Blumfeld sagen, was man will, eines ist sicher unbestritten: Langweilig wird’s nicht mit der Band um Jochen Distelmeyer. Waren beispielsweise Tocotronic bei ihrem Debüt angetreten, zehnmal dieselbe Platte aufzunehmen (was sie bei aller strukturellen Ähnlichkeit der Scheiben aber doch nicht taten; auch die werden schließlich älter und entwickeln sich oder haben einfach mehr Geld für längere Studiozeit und komische Soundeffekte), scheint zu Blumfeld die garantierte Veränderung zu gehören.

Von Vergleichen mit der „Ich-Maschine“ oder „L’Etat et moi“ wollen wir gar nicht reden. Wie sieht’s mit dem Vorgänger-Album aus?

„Testament der Angst“ knüpft an „Old Nobody“ an. Irgendwie. Irgendwie aber auch nicht. War die 99er-Veröffentlichung noch ein schimmerndes, emotionales, drängendes und gleichzeitig aber auch cool abgeklärtes Statement zu Gott und der Welt, wirkt die aktuelle Blumfeld-Platte nicht wie ein ähnlich großer Wurf. Zumindest beim ersten Anhören.

Seltsam zerrissen sind die neun Songs. Bislang konnte man ja sicher sein, daß Hermann-van-Veen-Fans und Konstantin-Wecker-Zuhörer bestimmt keine Blumfeld-CD auflegen würden, wenn sie sich zuhause vom Streß der Welt erholen. Mit „Testament der Angst“ könnte sich das ändern: Bei zwei, drei Stücken kommen die Freunde der Innerlichkeit sicherlich auf ihre Kosten. Obwohl es da eine Sache gibt, die fundamental dagegen steuert: Jochen Distelmeyers Stimme, die immer eine gewisse Distanz hält zu den Texten. Quasi eingebaut in Tonfall und Sound seines Organs. Auch dann, wenn die Worte starke Gefühle auf eine manchmal sehr klischeehafte Weise beschwören.

Auf der anderen Seite gibt’s mit „Die Diktatur der Angepaßten“ und dem Titelstück zwei Songs, die Distelmeyers immer wieder geäußerte Begeisterung für eine Band wie Fehlfarben durchscheinen lassen. Und das tut sich sicher kein Fan von Hermann van Veen an. Vorausgesetzt, es gibt noch irgendwelche Verläßlichkeiten in der doppelt-und-dreifach-post-modernen Welt, in der wir leben.

Für mich die absoluten Highligts der Platte: „Anders als glücklich“ mit dem Chor der Ex-Lassie-Singers Christiane Rösinger und Almut Klotz („Das‘ richtig, Mädels“) und das „Abendlied“. Letzteres ein Cover von keinem anderen als Hanns Dieter Hüsch. Ja, genau der. Der große alte Mann der Kleinkunst, der immer so verkrampft hinter seiner Heimorgel hockte. Und für solche Ideen, für das absolut unerwartete Interpretieren seltsamer sentimentaler Lieder, für seinen todsicheren Instinkt für die Provokation und für die Ohrfeigen, die er den Gebetsmühlendrehern des Musikbusineß verabreicht, brauchen wir Distelmeyer.

Ein guter Mann. Eine gute Band.

Eine gute Platte?

Vorhang zu, die Frage offen.

Blumfeld: Testament der Angst
eastwest records
VÖ: 21.5.01

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