Sind deutsche Krimis besser als ihr Ruf? Wird dieser Ruf in erster Linie von den Kritikern als den Meinungsmultiplikatoren ruiniert? Darüber haben wir in den letzten Tagen u.a. heftig diskutiert, und es wird Zeit, die Tatsachen sprechen zu lassen. Wie hält es wtd mit der einheimischen Produktion? Und als besonderes Bonbon: Eine kleine Auswertung der Links aus der Alligatorstellvertreterzeit…
Etwas Statistik vorweg: Im ersten Halbjahr 2007 wurden 21 deutschsprachige Kriminalromane besprochen, davon 16 von „aktuellen“ AutorInnen und 5, die als Klassiker durchgehen mögen (Willi Voss, Helga Riedel, Adelbert von Chamisso, Carl Albert Loosli, Leo Perutz). Um das Halbjahr abzuschließen: Diese Woche gibt es noch Wolfgang Brenners „Bollinger und die Friseuse“, in der nächsten dann Horst Eckerts „Königsallee“. 18 Einblicke ins Zeitgenössische deutschsprachiger Krimiproduktion also. Ich erspare mir den zahlenmäßigen Vergleich mit den nichtdeutschsprachigen Krimis. Hier wird weder nach Quote noch unter irgendwelchen „diskriminierenden“ Aspekten rezensiert. Man blättert sich durch Verlagskataloge, wird durch andere Kritiken auf Titel aufmerksam, greift wahllos zu, einige der bestellten Bücher erreichen leider nie den willigen Rezensenten usw.
Wie aber wurden die Bücher nun bewertet? Ordnen wir sie in vier Grobkategorien.
Kategorie 1, euphorisch bis sehr zufrieden, insgesamt 6 Titel gehören hierhin:
Astrid Paprotta: Feuertod
Dieter Kühn: Geheimagent Marlowe
Bernhard Jaumann: Die Drachen von Montesecco
Rainer Gross: Grafeneck
Thomas Raab: Der Metzger muss nachsitzen
Robert Brack: Schneewittchens Sarg
Kategorie 2, zufrieden bis wohlwollend, hier versammeln sich folgende 4 Krimis:
Ernst Soler: Staub im Wasser
Christian Gude: Mosquito (Abstriche gab es hier vor allem für das schlampige Korrektorat)
Beate Sauer: Der Geschmack der Tollkirsche
Tom Wolf: Teufische Pläne
Kategorie 3, gerade noch akzeptabel, aber mit unübersehbaren Schwächen, 2 Titel:
Jan Eik: Trügerische Feste
Merle Kröger: Kyai! (hier bin ich mir bis heute nicht sicher, ob die Autorin nicht schreiben kann oder alles planmäßig inszeniert hat; Bollywood goes Krimi)
Kategorie 4, Kopfschütteln bis Totalverriss, 4 Titel:
Titus Keller: Aussortiert
Friedrich Ani: Wer lebt, stirbt
Susanne Goga: Tod in Blau
Andree Hesse: Das andere Blut
Die noch nicht rezensierten Titel von Brenner und Eckert werden wohl in einer der beiden ersten Kategorien eingeordnet werden. Noch enger kategorisiert, nämlich nach „überwiegend positiv“ und „überwiegend negativ“ ergibt sich folgendes Bild:
Von den 18 besprochenen aktuellen deutschsprachigen Kriminalromanen wurden 12 überwiegend positiv und 6 überwiegend negativ bewertet. Mein Gefühl sagt mir, dass es bei den nichtdeutschsprachigen kaum dramatisch anders ausfallen dürfte, ich erspare mir aber den statistischen Beweis. Denn die Zahlen sprechen für sich, oder? Von drei deutschsprachigen Krimis fanden zwei durchaus Gnade vor dem unbestechlichen Auge des Rezensenten.
Das ist nun keineswegs repräsentativ, da ich erstens natürlich nicht die gesamte hiesige Produktion lesen konnte und zweitens durchaus eine Vorauswahl getroffen habe. Manches wurde nach der Zurkenntnisnahme von Inhaltsangaben und Leseproben gar nicht erst bestellt; anderes kurz angelesen und verworfen. Zu schlecht, zu belanglos, interessiert mich vom Thema her nicht. Repräsentativ ist die Auswahl aber irgendwie doch, denn der Rezensent hat sich nicht vollständig auf seine Vorlieben verlassen oder traumwandlerisch jene Sachen auserkoren, bei denen er erfahrungsgemäß sicher sein konnte, keinen Griff ins Klo zu riskieren.
Wohl gibt es solche Vorlieben (Paprotta, Kühn, Brack, Jaumann), die denn auch allesamt zu gefallen wussten. Gelesen wurden aber auch „historische Krimis“, denen ich grundsätzlich skeptisch gegenüberstehe, darunter pures Lesefutter wie Beate Sauers „Der Geschmack der Tollkirsche“. Und siehe: Die meisten davon schnitten gut ab.
Auch Debütanten wurden gewürdigt, Rainer Gross mit „Grafeneck“, Thomas Raabs „Der Metzger muss nachsitzen“ und Christian Gudes „Mosquito“, selbst Titus Keller gehört hierher, ist doch „Aussortiert“ sein erster (und hoffentlich letzter) Krimi. Gesamturteil: Drei von diesen vier Romanen wussten zu überzeugen.
Diese kleinen statistischen Überlegungen sollen nur zeigen, was im Eifer des Gefechts allzuoft übersehen wird. Hier wird eben nicht mit dem Knüppel auf alles gehauen, was „Deutschkrimi“ ist. Wirkliche Verrisse etwa gab es nur zwei, also etwas über 10% aller Rezensionen. Es hätten unbezweifelbar mehr sein können, ja, ich glaube schon, dass es mir auch gelungen wäre, 18 grottenschlechte Romane aus dem Angebot zu fischen und hier genüsslich zu zerlegen. Das wäre aber zum ersten reinster Lesemasochismus und zum zweiten nicht im Sinne des Rezensenten, der vor allem eines möchte: gute deutsche Kriminalliteratur fördern. Manchmal auch dadurch, dass er vor der schlechten warnt.
Anhang: Alligatorersatz-Statistik
Der fleißige Johannes Schulz hat alle Links, die in Vertretung der Wuppertaler Echse unters Volk gebracht wurden, statistisch ausgewertet (ohne Sekundärliteratur, mehrfach veröffentlichte Rezensionen wurden nur einmal berücksichtigt). Insgesamt waren das 93, davon positiv: 66, negativ: 27. Von diesen 93 Besprechungen galten 29 deutschen Krimis (22 positiv, 7 negativ), was auch die Spitze in der „Länderwertung“ bedeutet. Auf dem zweiten Platz: die USA (19, davon 17 positiv), vor England (12, davon 7 positiv) und Italien (je 5 positiv / negativ). Österreich war zweimal vertreten – beidemale negativ! Auch diese Zahlen zeugen nicht gerade davon, dass deutsche Krimis ignoriert / verrissen werden.
Siehste! Sag ich doch.
*nickt
mit dieser statistik kann ich sehr viel anfangen …
**druckt aus
***liebt übersichtliche zusammenfassungen