Horst Eckert: Der Absprung

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Eigentlich ist das Zugfahren ein schönes Bild, mit dem man das Lesen erklären kann. Man sitzt in einem Wagen, der einen, mehr oder weniger gleichmäßig sich bewegend, von A über B und C nach D transportiert, man schaut aus dem Fenster in eine Landschaft, man ist in dieser Landschaft und ist doch nicht drin. Man sieht, was man sehen kann. Ein noch schöneres Bild wäre das: Man fährt, man sieht – und kann den Zug anhalten, sich etwas durch die Landschaft bewegen, sich manches angucken, das man durch die Fensterscheibe gar nicht sehen konnte – und dann nimmt man wieder im Abteil Platz und die Fahrt geht weiter.

Aber wir wollen es nicht übertreiben und nicht zuviel verlangen, schon gar nicht von 64 Seiten Kriminalliteratur. Horst Eckerts „Der Absprung“ also. Um es vorwegzunehmen: Dieser fünfte „kaliber .64“-Krimi überzeugt mich bisher von seiner Konzeption her am ehesten. Kein aufwendiges Täter/Opfer-Szenario mit dem üblichen Whodunit-Aufwand (Personen müssen eingeführt und als potentielle Täter beschrieben werden), sondern das geradlinig erzählte Schicksal des SEK-Mannes Tom, der eines Tages erkennen muss, dass er sich im Frühstadium der Parkinsonschen Krankheit befindet. Für diese Erkenntnis zahlt er einen hohen Preis. Während eines Einsatzes erschießt er, dessen rechte Hand zittert, einen Kollegen und wird in die Verwaltung versetzt. Private Probleme kommen hinzu. Tom ist geschieden, sieht seinen zehnjährigen Sohn Dany nur wenige Stunden im Monat.

Tatsächlich erzählt Eckert so, wie ein Zug fährt. In gutem Tempo, dramaturgisch gleichmäßig gerät die eh schon nicht ganz so stabile Welt eines Menschen ins Wanken und stürzt schließlich zusammen. Tom muss diesem Leben entfliehen, er plant – es ist kurz vor der Euro-Einführung – den Überfall auf einen Geldtransporter, um mit der Beute nach Schweden zu flüchten, wo man die Krankheit vielleicht heilen kann. Sohn Dany soll natürlich mit.

Abends – es wird ja wieder früh dunkel – ist das Zugfahren noch spannender. Man blickt in die Landschaft, aber man erkennt sie nicht mehr so genau. Die Dinge werden zwielichtig, interpetierbar. Wie ein guter Text. Wie Horst Eckerts „Absprung“. Der Autor hat ja nach dieser Exposition nur zwei logische Möglichkeiten. Entweder gestattet er seinem Tom den perfekten Coup mit anschließendem Happyend – oder alles geht schief. Eckert hat sich für letzteres entschieden. Ein Mitwisser (dessen Rekrutierung vielleicht der einzige schwache Punkt der Geschichte ist) spielt falsch, auch Dany ist nicht so begeistert. Tom muss improvisieren.

Am Ende (das Eckert übrigens schon effektvoll und klug ganz zu Beginn des Textes anreißt) schauen wir in die Geschichte wie in eine dunkle, schemenhafte Landschaft. Ist die Sache gut ausgegangen? Doch nicht? Die Antwort müssen wir uns selbst geben.

Fazit: Die kleinere Form der Kriminalerzählung wird von Eckert optimal genutzt. Er hat keine Plotverpflichtungen, die ihn zum Ende hin zu überhasteten Aktionen drängen. Es muss nichts „aufgelöst“ werden, die Geschichte behält ihr Tempo und läuft schließlich in Ungewissheit aus. So soll es sein.

Horst Eckert: Der Absprung. 
Edition Nautilus 2006. 61 Seiten. 4,90 €

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