Sie wird kommen: die nächste Hitzewelle. Und was macht man dann im Schatten der alten Eiche im Garten? „Alle Existentialismusstellen bei Kafka raussuchen“, „Die Nachbarin zum Gutkirschenessen einladen“ oder „Mit dem Luftgewehr auf Amseln schießen“ sind nicht tagesfüllend. Also Krimis lesen. Krimis, die einfach nur Krimis sind, solide, ohne wirkliche Überraschungen, nichts weit und breit, was das Kleinhirn über Gebühr strapaziert.
Sean Rowe ist ein vom Schicksal schwer gebeutelter Mensch. „Nach dem Abitur befuhr er mit einem selbstgebauten Floß den Mississippi, arbeitete als Journalist und als Krankenpfleger auf einer Krebsstation. 1999 geriet Rowe vor einen Zug. Er überlebte wie durch ein Wunder.“
Und schrieb in den Zeiten der allmählichen Genesung „Traumschiff“, ein Musterexemplar von hartgesottenem Ami-Gangsterkrimi. Spektakuläre Aktionen (Gangster überfallen einen Luxuskreuzer, auf dem die Mafia heimlich Drogengelder transportiert), verschärftes unnatürliches Ableben, eine Drogenbaronin im Rollstuhl, ein (Stief-)Bruderkonflikt, eine schmalzige Liebesgeschichte, die haarscharf am Inzest vorbeischrammt – und ein letzter Satz, der dieses Schmalzige eventuell in etwas wirklich Hinterhältiges umkehren könnte. Man weiß es nicht, aber man hofft doch sehr. Ernstnehmen sollte man „Traumschiff“ also nicht, gut unterhalten lassen davon schon.
Ein Lob auch für den marebuchverlag, in dem nicht nur eine wunderschöne Zeitschrift (mare) erscheint, die wiederum ein vielleicht noch wunderschöneres Fernsehmagazin (mare tv) verantwortet, sondern wo auch clevere Gestalter sitzen, die genau wissen, wie sie via Coverfoto an die dirty old men im deutschen Lande appellieren müssen. Beim Verfasser dieser Zeilen ist die Rechnung jedenfalls voll aufgegangen.
Bei Friederike Schmöe von einem schweren Schicksal zu reden, wäre kühn. „Seit über zehn Jahren ist sie an der dortigen [Bamberger] Universität als Dozentin für Linguistik tätig, seit 2005 auch im Saarland.“ Okay, das ist tragisch genug. In ihrer Freizeit verfasst Frau Schmöe Krimis und schickt ihre Heldin, die Privatdetektivin Katinka Palfy in den mittlerweile sechsten Fall. In dessen Zentrum steht der Exlehrer Isenstein, seit einem Unfall an „Persönlichkeitsspaltung“ leidend, dem sogenannten Dostojewski-Syndrom. Jemand schickt ihm anonyme Briefe und beschuldigt ihn mehrerer Morde. Die werden alle nach einem bestimmten Muster begangen, das an E.T.A. Hoffmanns „Die Elixiere des Teufels“ erinnert.
Nun, so weit so weit hergeholt. Deswegen den Roman einen „E.T.A.-Hoffmann-Krimi“ zu nennen, ist vielleicht doch etwas kess. Aber sei’s drum. Friederike Schmöe schreibt den Whounnit-Stiefel mit schöner Souveränität bis zum handlungsreichen Ende, es fließt in einen rein, aus einem raus, dazwischen ein entspannendes leserliches Wohlbehagen. Reicht für die heißen Tage, ersetzt aber nicht die kühlen Getränke.
Aber, mal ehrlich, manchmal reicht es eben nicht. Dann jedenfalls, wenn man sich an die triste Wirklichkeit erinnert, an die Fallstricke des Berufsalltags, wo du jeden Augenblick über deine doch arg spezielle Ausbildung stolperst und dir wünschst: Ach, hätte ich noch etwas anderes gelernt! Auch hier schafft Krimi Abhilfe.
Beverly Connors „Die vierte Schlinge“ zum Beispiel. Wenn du das Buch zu lesen beginnst, bist du Müllkutscher, Studienrat oder Backwarenfachverkäuferin. Spätestens auf Seite 200 dann: „forensische Anthropologin“. Denn haarklein schildert Connor, wie ihre Heldin, die – tata! – forensische Anthropologin Diane Fallon einen nun wirklich grausigen Dreifachmord aufklärt, bei dem es natürlich nicht bleibt. Am Ende kreuzen acht Leichen den Weg der vielbeschäftigten Frau (sie ist nebenbei noch Museumsleiterin), jede von ihnen geschickt in die gelehrten Ausführungen eingestreut, so dass Langeweile nicht aufkommen mag. Da die Heldin noch in den Besitz einer Mumie gelangt, kann, wem das forensische Anthropologisieren ein bissel fad ist, künftig auch als Fachmann für ägyptische Schrumpfleichen arbeiten. Oder Knotenexperte, sogar darüber weiß Connor so manches zu erzählen. Lehrreich und clever in Szene gesetzt.
So packt man selbst diese Hitzewelle, und die Amseln bleiben am Leben.
Sean Rowe: Traumschiff.
Marebuchverlag 2007. 234 Seiten. 19,90 €
(Original: „Fever“, 2005, deutsch von Hans-Joachim Maass)
Friederike Schmöe: Januskopf.
Gmeiner 2007. 271 Seiten. 9,90 €
Beverly Connor: Die vierte Schlinge.
Knaur 2007. 494 Seiten. 8,95 €
(Original: „Dead Guilty“, 2004, deutsch von Michael Bayer)
glück gehabt, bürschchen.
dpr, Sie dauern mich. Lesen Sie das Zeug für die Rezension wirklich durch? Sogar nach Stichworten von Kapitel zu Kapitel springend, müsste ich vor Langeweile an meinem Gähnen ersticken oder mir zumindest den Kiefer ausrenken.
Smarf
Nein, lieber Herr Smarf, ganz so schlimm ist es nicht. Wenn ein Buch langweilt, dann müssen eben die Gedanken, die man sich darüber macht, umso kurzweiliger sein. So bereiten selbst schmalbrüstigste Werke bisweilen größeres Lesevergnügen. Apropos schmalbrüstig: Haben Sie wirklich diese speziellen Fotos? Sie wissen schon…
bye
dpr
„Spezielle Fotos“: Jau! Geschält wie eine … Orange, na, Mandarine … eine Liege als einziger Augenzeuge …