Zwischen den Konfektionstümpeln und der literarischen Tiefsee (also etwa zwischen Karin Slaughter und Jan Costin Wagner) muss, wer die Krimiwelt umsegeln will, bisweilen eine Erfrischungsinsel ansteuern. James Cook hat es ja schließlich auch getan. Festes Land mit frischen Lebensmitteln. Joe R. Lansdale.
Lansdale ist ein Genreautor; eine Berufsbezeichnung, die hiererorts sofort nach Heftchen riecht und entsprechend gerümpfter Nase goutiert wird. Er schreibt Western, Horrorgeschichten und Krimis, manchmal weder noch, das famose „Sturmwarnung“ beispielsweise, das zwar als Krimi durchgeht, dem „Genre“ aber eine Nase dreht. Einige dieser Arbeiten sind Standalones, was angesichts der Serienmanie nicht verkaufsfördernd ist, doch Lansdale hat auch seine Serie mit den Protagonisten Leonard Pine und Hap Collins.
Und die könnten unterschiedlicher nicht sein. Leonard ist schwarz, schwul und Vietnam-Veteran, Hap ist weiß, auf Frauen fixiert und eher heikel, was Gewalt betrifft. Gemeinsam haben sie aber ihr Schicksal. Arbeiter sind sie, typische Vertreter von Unterschichten-USA, dort wo es am rednackigsten ist, am dreckigsten auch, irgendwo in Texas. Gute Jungs, eigentlich. Die aber immer wieder in Situationen geraten, die sie zu Kämpfern für „Gerechtigkeit“ werden lässt, eine Gerechtigkeit, die nur zynisch und mit Waffengewalt hergestellt werden kann.
Diesmal geht es um Haps Freundin Brett, deren Tochter Tillie ihre Drogensucht mit Prostitution finanziert und ziemlich in der Scheiße sitzt. Von ihrem „Besitzer“ an eine üble Motorradgang namens „Bandito Supremes“ verkauft, erduldet sie auf deren diskreter mexikanischer Ranch Fürchterliches. Und Brett ist gewillt, ihre Tochter zu befreien. Hap und Leonard helfen ihr dabei.
Was jetzt beginnt, ist eine bizarre Reise durch den amerikanischen Süden, wo er am trostlosesten ist. Wir begegnen Lilliputanern, die auch schon mal kleine Mädchen an Ruderblätter nageln, geläuterten Killern, die als Priester Buße tun, besoffenen Piloten und schnüffelnden Indianern, launischen Gangsterbossen, sadistischen Waffenhändlern und hirnlosen Schlägern. Überall starrt es vor Dreck, ist eine Schrotflinte das beste Argument, brachialer Humor der einzige Weg durch die Hölle. Es wird also viel geschossen, verprügelt, beleidigt, Hap, der eigentlich das Töten ablehnt, weiß im entscheidenden Augenblick natürlich, dass dies keine Welt ist, die auf seine philosophischen Reflexionen Rücksicht nimmt und killt munter mit. Muss sein, sorry.
Das Resultat ist ein wunderbarer kleiner Krimi, dessen „Funnyness“ der Welt angepasst ist, in der er spielt. Dramaturgisch mit jener Raffinesse eines Genreautors gearbeitet, der sein Handwerk als Handwerk versteht und seine Geschichten erzählt, wie es ein Geschichtenerzähler tun sollte. Rasant, geradeaus, lustig (wenn man nicht nur lacht, wenn es der Abiturbesitz erlaubt, also „hintergründig“ oder „dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt“ oder „politisch korrekt“).
Ganz bemerkenswert: Das Material, mit dem Lansdale hier hantiert, ist quasi handelsübliche Krimiware, in jedem Genrebaumarkt preisgünstig zu erwerben. All das Zeugs, das angeblich von der „Begrenzung des Genres“ Zeugnis ablegt, diese irren Typen und Aktionen, gerinnt unter Lansdales Meisterhänden zu einem Unikat.
Doch, das erfrischt. Es gibt einem, wenn man sich wieder einmal durch bedruckte Papierberge gearbeitet hat, aus denen einem der Flachsinn wahlweise analphabetischer oder tiefsinniger Formulierungen in all seiner Nichtigkeit entgegengrinst, neue Kraft fürs Krimilesedasein und die Hoffnung, dass vielleicht die NormalleserInnen immer genügsamer werden, die AutorInnen aber nicht unbedingt mit ihnen. Jedenfalls einige. Wenige. Joe R. Lansdale ganz bestimmt. Immer.
Joe R. Lansdale: Rumble Tumble.
Funny Crimes / Shayol 2007 (
Original: „Rumble Tumble“, 1998, deutsch von Richard Betzenbichler).
218 Seiten. 12,90 €