Ross Thomas: Umweg zur Hölle

Ross Thomas kann’s. Nun, das ist keine sensationelle Neuigkeit. Aber was kann Ross Thomas? Amerikas Wirklichkeit hinter dem schönen Schein (die längst auch unsere ist) sezieren, das alles mit einer stilistischen Leichtigkeit, die auf das Schwerdenken verzichtet, einem souverän zusammengestellten Figurentableau und Dialogen, die wie Maßanzüge sitzen. All das – und noch ein wenig mehr.

Der rührige Alexander Verlag nimmt sich seit geraumer Zeit des Thomas’schen OEuvres in wohlfeilen Taschenbuchausgaben an und treibt sein lobenswertes Unterfangen mit dem 1978 erschienenen ersten Fall für Artie Wu und Quincy Durant voran. In „Umweg zur Hölle“ („Chinaman’s Chance“) schauen wir den beiden Freunden, die sich schon seit Waisenhauszeiten kennen, bei einer besonders komplexen Intrigenspinnerei zu, die damit beginnt, dass Wu über einen toten Pelikan stolpert, sich den Knöchel verstaucht und vom „zufällig“ seines Weges kommenden Multimillionär Randall Piers zu Durants Strandhaus gebracht wird. Das Ganze ist natürlich arrangiert – von beiden Seiten. Piers braucht zwei ausgeschlafene Burschen, um seine Schwägerin zu finden, die in eine böse Sache verstrickt und untergetaucht ist. Sie, Silk, gehörte einstmals zu einem erfolgreichen Schwesterngesangstrio, verliebte sich dann in einen aufstrebenden Politiker der Stadt Pelican Bay und wurde Zeuge von dessen Ermordung. Natürlich nehmen Wu und Durant den Fall an – denn was Piers nicht weiß: Auch sie wollen Silk finden.

Es ist eine verzwickte Geschichte um Korruption und Politik, organisiertes Verbrechen und kleine Ganoven, jedes Kapitel knüpft die Handlung engmaschiger. Im ausführlichen, der deutschen Erstübersetzung von 1984 entnommenen Nachwort von Jörg Fauser heißt es daher richtig: „Die Fülle des Stoffs verleitet den Leser indes keinen Augenblick, am Kern des Romans vorbeizuträumen, und dieser Kern ist die Quintessenz der politischen Erfahrungen des Autors – und nicht nur seiner. Es wird deutlich, daß die amerikanischen Thriller-Autoren sich inzwischen auf ein Material stützen können, das seit der Ermordung der Kennedys, den Nixon-Jahren, Watergate bis hin zu den jüngsten Enthüllungen (etwa über Kissingers Amtszeit) in immer neuen Szenarios den amerikanischen Alptraum gnadenlos dokumentiert: die Allianz des wirtschaftlichen, militärischen, politischen und geheimdienstlichen Establishments mit dem organisierten Verbrechen.“

Tatsächlich taucht all das sukzessive in „Umweg zur Hölle“ auf und ist doch mehr als die von minderbegabten Autoren gewohnte Kost aus Anklage und Moral. Am Ende nämlich werden die Guten und die Bösen quasi „ausgelost“, treibt Thomas das Krimispiel gar bis zur Parodie auf all jene Krimis, die mit immer neuen „Enthüllungen“ dem nimmersatten Leser Futter geben. Bei Thomas ist das Stoff für eine lakonische Bestandsaufnahme. Die nun wahrlich zwielichtigen Wu und Durant als die erkennbar „Guten“ inszenieren Gerechtigkeit, weil es sonst niemand tut. Wer bestraft wird, entscheidet seine Position in diesem Spiel.

Ja, sehr schön. Viel schöner aber noch: Das ist bestes Ross-Thomas-Handwerk. Geschickte Dramaturgie, kein Wort zuviel, wunderbare Humoreinlagen und jene bereits angesprochene Leichtigkeit, die nicht vor der Komplexität der Materie kapituliert, sondern sie mustergültig in Handlung umsetzt. Und dass Artie Wu legitimer Anwärter auf den chinesischen Kaiserthron ist, glauben wir sofort.

Ross Thomas: Umweg zur Hölle. 
Alexander Verlag 2007
(Original: „Chinaman’s Chance“, 1978, deutsch von Edith Massmann),
mit einem Nachwort von Jörg Fauser und
einer editorischen Notiz von Martin Compart. 423 Seiten. 12,90 €

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