Scott Smith: Dickicht

Ein wenig fällt es schwer „Dickicht“ bei Watching The Detectives zu besprechen, denn Detektive kommen nicht vor, im Gegenteil, man muss schon schwer schubsen, um „Dickicht“ überhaupt ins Thriller-Lager zu bugsieren.

Versuchen wir’s mal im Bildzeitungsstil: Tödlicher Urlaub in Mexiko! Es hätte so schön sein können für die beiden amerikanischen Paare Jeff, Amy, Eric und Stacy sowie die befreundeten Touristen Mathias aus Deutschland und Pablo, den witzigen Griechen. Doch ein Trip in den wenige Kilometer entfernten Dschungel entpuppt sich als Reise ins Herz der Finsternis.

Henrich (bei aller Zuneigung zu Herrn Smith: können diese amerikanischen Ignoranten nicht das Internet durchsurfen um nach gebräuchlichen deutschen Namen zu suchen, kennen sie niemanden mit einem deutschen Telefonbuch? Henrich ist jedenfalls Blödsinn. Heinrich wäre schon schwach gewesen als Name für einen Twen; mit Henrik, Hendrik in allen Varianten hätte es doch genügend Alternativen gegeben. Na gut, ein „Henrich Focke“ hat es zu Google-Ehren gebracht. Ist aber die Ausnahme.), Mathias’ Bruder ist im Dschungel verschollen. Auf dem Weg zu einer archäologischen Ausgrabungsstätte verliert sich seine Spur. Mathias begibt sich auf die Suche, die beiden amerikanischen Pärchen und der interessierte Grieche begleiten ihn. Am Ende der Reise sitzen und liegen sie auf einem grün umrankten Hügel, bewacht von bewaffneten Mayas, bedroht von einem tödlichen, kaum fassbaren Feind und wünschen sich, diesen vergeblichen Ausflug ins Unbekannte nie angetreten zu haben.

Was sich wie ein traditioneller Abenteuerroman entfaltet, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als existentialistisches Pamphlet, das sich Genreliteratur als Medium nimmt, um doppelbödig Zivilisationskritik zu üben.

Man sollte sich ins Gedächtnis rufen, das Smith Autor des formidablen „A Simple Plan“ ist (ebenso formidabel verfilmt von Sam Raimi.), jener düsteren Studie in Homo Homini Lupus. Eine der wenigen lateinischen Sentenzen, die ich dicht am Herzen trage (leicht ergooglebar). Hier wie dort geraten Menschen in Situationen, die sie permanent überfordern, doch war in dem einfachen Plan Habgier und die Sehnsucht nach einem besseren Leben der Hauptantrieb für das Driften in den Abgrund, so reicht in „Dickicht“ ein falscher Schritt abseits des Weges, um die Protagonisten hinabzureißen. Die Natur schlägt zurück. Ist es verwunderlich, dass sie in der Mehrheit Amerikaner, und anteilig Europäer heimsucht? Die Stützen der Zivilisation wie wir sie kennen. Stützen, denen draußen bei den Ruinen (interessant in dem Zusammenhang der mehrdeutige Titel der Originalausgabe: „Ruins“.) im Dickicht bewusst wird, dass sie archaischen Kräften wenig entgegen zu halten haben, außer erlernten Formeln. Das erklärt einen der – vorgeblich – großen Schwachpunkte des Romans: die Passivität der Protagonisten. Sie arrangieren sich viel zu schnell mit ihrem scheinbar ausweglosen Schicksal. Jeff, der Pragmatiker, der die Gruppe zusammen – und unter den gegebenen Umständen am Überleben halten will; Amy, seine unentschlossene Freundin, die manchmal über ihren Schatten springt und Mut beweist; Eric, der Besessene, der seinen Wahn lebt und am Ende auf unangenehme selbstzerstörende Weise recht behält; Stacy die Träumerin, die sich aus allem herausträumen möchte, was ihr fast gelingt; Mathias, der Beobachter, Katalysator und distanzierte Unperson, die anziehend und unnahbar zugleich bleibt; Pablo, das zähe Opfer, hilflos, aber in der Lage länger zu überleben, als seine zufälligen Freunde es sich wünschen. Eine ständige Vorhaltung an Ästhetik, Ethik und Moral seiner Mitgefangenen.

Im ganzen Roman gibt es keine gemeinsamen Bestrebungen und Planungen, dem Zustand des Gefangenseins aktiv ein Ende zu setzen. Von einem koordinierten Ausbruchsversuch ganz zu schweigen. Wie überhaupt das Versagen der Kommunikation ein zentraler Punkt des Buches ist. Seien es Sprachbarrieren, die Warnungen nicht zulassen und selbst ein einfaches Kennenlernen des Gegenübers schwierig gestalten, seien es die eigenen Vorstellungen und Ängste, die Gespräche ins Leere laufen lassen, oder zu (teilweise tödlichen) Missverständnissen führen. Die wenigen demokratisch getroffenen Entscheidungen werden umgehend wieder in Frage gestellt, zudem nutzt der schnell lernende Feind die Kommunikationsunfähigkeit der Protagonisten für seine eigenen Ziele. Am Ende sind die individualistischen Egos der kollektiv handelnden Natur unterlegen. Folgerichtig werden sie ausgelacht. Vorerst.

Im Epilog zeigt sich, dass die einzige Hoffnung der matt gesetzten Touristen natürlich eine Trügerische war. Alles auf Anfang…

Mit dem tut sich Smith ein wenig schwer. Das „Dickicht“ braucht einige Zeit bis es zu Pötte kommt, was allerdings wohl beabsichtigt ist. Vom eher langatmigen Reisebericht verändert sich das Klima unmerklich – über Blicke, einzelne Sätze, seltsame Reaktionen – bis zu jenem Punkt an dem das Grauen sich seinen Pfad bahnt, und der Kampf um’s Überleben beginnt.

Als bloßen Spannungsroman betrachtet hat „Dickicht“ seine Schwächen – oder Tücken, je nach Lesart: die wenig sympathischen Protagonisten, die ständig wechselnden Erzählperspektiven, die eindeutige Sympathiekundgebungen kaum zulassen; der selten konstant verlaufende Spannungsbogen, der auch schon mal mitten in der Entwicklung abbricht, um später nahezu beiläufig und auf weit niedrigerem Level wieder aufgegriffen zu werden. Vom zynischen Gestus des Endes ganz zu schweigen. Aber als spannendes, gesellschaftskritisches Thesenpapier in Anlehnung an einen wüstes B-movie, das erst noch gedreht werden will, hat der Roman eindeutig seine Meriten.

PS.: Danke an kuerten für seine Anregung.
PPS.: Oder ist’s nur ein böser Witz: „Sitzen sechs Leute auf einem Hügel. Vier Amerikaner, ein Deutscher und ein Grieche…“ Früher saßen die meist in einem U-boot oder einem Flugzeug, und es gab zu wenig Luft, bzw. Fallschirme. Im Dickicht gibt es nicht einen. Und die Luft wird mitunter auch knapp.
PPPS.: Eine mir vertraute, sehr liebenswerte Person konnte mit dem Namen des Autors wenig anfangen. Ihrer Ansicht nach hieß der Gute nämlich Dick Icht. „Ruins“ ist eindeutig der bessere Titel.

Scott Smith: Dickicht. 
Fischer TB 2007
(Original: „Ruins“, 2006, deutsch von Christine Strüh).
416 Seiten. 8,95 €

Ein Gedanke zu „Scott Smith: Dickicht“

  1. Sehr gute, sehr treffende Besprechung. Nur in einigen wenigen Aspekten haben wir eine unterschiedliche Wahrnehmung, denn so fand ich zum Beispiel die ersten 50 Seiten am stärksten erzählt und gar nicht langatmig. Schnaps drüber.
    Der Roman wird übrigens schon verfilmt und soll 2008 in die Kinos kommen.

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