Was macht Krimis dick? Und warum können manche essen so viel sie wollen, ohne ihre schlanke Figur zu verlieren? Einen berüchtigte literarische Kalorienbombe haben wir heute im Visier: den Serienkrimi. Doch siehe da: Auch hier schlägts nicht bei jedem an.
Das Gesetz der Serie
Was ein literarischer Text zu erzählen hat, steht zwischen seinem ersten und seinem letzten Wort. Nichts anderes sollte die Leser in ihrem Urteil beeinflussen, weder die Reputation des Autors, noch sein Werdegang oder sein Aussehen, selbst die Meinungen anderer sind allenfalls Wegweiser durch die Lektüre. Folgen muss man ihnen nicht.
Literarische Texte sind also autonome Gebilde, alleinstehende Bauwerke inmitten einer ziemlich großen Stadt. Das ist ein Problem, denn wo ein Haus neben dem anderen steht, beginnt man zu vergleichen; entdeckt Ähnlichkeiten, Einflüsse, Abweichungen. Aber all das ist letztlich nicht von Belang. Wenn der Krimiautor X ein Epigone von Y ist, aber ein gutes Buch geschrieben hat, kann er meinetwegen auch noch ein Epigone von Z sein. Ein gutes Buch bleibt ein gutes Buch. Und ein schlechtes ein schlechtes, selbst wenn es das ist, was man „originell“ nennt.
Natürlich ist es legitim und lehrreich, Literatur im historischen, ästhetischen Kontext zu betrachten. Ebenso kann es sinnvoll sein, die Biografie eines Autors zu kennen und Verbindungen zwischen ihr und der Literatur herzustellen. Und sei es nur, um Bauprinzipien zu beschreiben, bei Derek Raymond etwa oder Dashiel Hammett, auch Chandler wäre ein Kandidat, denn wenn ein shakespearegeschulter Engländer in Amerika hardboiled schreibt, könnte das wohl etwas zu bedeuten haben.
Und dennoch: ein Text bleibt letztlich autonom. Das ändert sich. Das hat sich schon geändert. Denn wir leben im Zeitalter des Serienkrimis.
Allein die Tatsache, dass man heutzutage schon betonen muss, dieser oder jener Krimi sei ein „Standalone“, sollte zu denken geben. Die Serie boomt. Mit grotesken Folgen. So wird etwa in Foren regelmäßig dringlich geraten, eine Krimiserie um Himmelswillen in ihrer chronologischen Folge zu lesen, andernfalls man das Entscheidende nicht verstehe. Negativkritiken werden konsequent mit dem Einwand abgebügelt, der Verächter habe ganz gewiss die Vorläufer des von ihm zerrissenen Romans nicht zur Kenntnis genommen und könne folglich nicht mitreden. Dass sich die Verlage bei der Herausgabe der Serienbände zumeist nicht um Chronologie scheren, wird lauthals beklagt.
Das ist ein ziemlich junges Phänomen, doch die Serie, sprich: der Serienheld ist so alt wie die Kriminalliteratur. Poe Pioniererzählungen? Eine Serie mit Superhirn Auguste Dupin. Sherlock Holmes? Father Brown? Notorische Serientäter. Auch an der Wiege des deutschen Krimis tauchten sie bald auf: Detektiv Müller von Auguste Groner, Balduin Grollers Dagobert Trostler – und mit dem Siegeszug des Serienheftromans übernahmen sie sogar die Vorherrschaft im Krimilesestübchen, die Percy Stuarts, die Nick Carters, Kommissar Xen und Jerry Cottons. Von anderen zu schweigen.
Aber das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist der Ballast, den Serienkrimis mit sich herumschleppen. Und das wiederum ist nicht naturgegeben, es ist, wie so vieles beim Schreiben von Krimis und sonstiger Literatur, ein Problem des WIE.
Nehmen wir Jerome Charyns „Isaac Sidel“-Reihe. Ein gigantischer Entwicklungsroman, engste Verzahnung von Kriminalstory und Familiengeschichte. Dicke Wälzer? Meistens nicht. Auch zwei unserer vier ausgewählten dünnen Krimis sind Teile von Serien, Lansdales „Rumble Tumble“, Hannelore Cayris‘ „Lumpenadvokat“ gar Auftakt einer solchen.
Und dann nehmen wir vielleicht Arnaldur Indridason, den Isländer. Kein Autor von Telefonbüchern, aber seine Serie um Kommissar Erlendur hat sich nach konzentriertem Auftakt („Nordermoor“) längst zur griechisch-nordischen Familientragödie mit angehefteter Krimistory aufgeblasen. Oder anders: Das windschiefe Hüttchen Crime findet ausreichend Platz im Badezimmer der Villa „gesellschaftskritischer Zeitroman“.
In den aktuellen Serien wimmelt es nur so von drogensüchtigen Kindern, entführten Ehefrauen, sinnkriselnden Ermittlern, schwangeren Freundinnen, schwerkranken Vätern, düsteren Geheimnissen im Privatleben der Serienprotagonisten… und all das wird getreulich vom ersten bis zum letzten Band transportiert, gelegentlich bis zum Erbrechen repetiert, manchmal nur angedeutet, um den Verkauf der Vorgängerbände zu beleben, häufig mit der eigentlichen Krimihandlung notdürftig und sehr oberflächlich verknüpft. Wenn irgendwo ein Kind ermordet wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Held als werdender Vater wiederfindet, erschreckend hoch. Dann wird in der Regel schwer philosophiert und noch schwerer assoziiert(…“Könnte ja mein Kind sein, das da in seinem Blut liegt“…). Das autonome Gebilde Text als unter der Last des Seriellen ächzender Packesel.
Hinter dieser Strategie verbirgt sich Methode. Das Festhalten an vertrautem Personal stärkt die absatzfördernde „Leserbindung“, indem eine Art emotionaler Beziehung aufgebaut wird und das krimiobligatorische Wissenwollen-wie’s-weitergeht nicht mit dem eigentlichen Text enden muss. Es hebt sich auf eine neue, höhere Ebene und klammert die Teile einer Serie mit einem weiteren Spannungsbogen.
Auch hierzu zwei aktuelle Beispiele. Veit Heinichens „Totentanz“ ist die fünfte Folge der Reihe um den Triestiner Commissario Proteo Laurenti. Auf 320 Seiten wird ein Fall von Korruption und organisiertem Verbrechen (Müllverschiebung) ausgebreitet, doch das Buch beginnt mit einem persönlichen Schicksalsschlag für Laurenti: seine Geliebte gibt ihm den Laufpass. Für die Handlung völlig ohne Belang, mit diversen Verweisen auf die Vorgängerbände gespickt, immer wieder von Laurenti gedanklich ventiliert. Konsequenz: Man bleibt „auf dem Laufenden“, was Laurentis Privatleben betrifft. Mehr nicht.
Oder Beverly Connors „Die vierte Schlinge“. Hier erwarten den Leser durchgängig kryptische Hinweise auf ein Trauma der Protagonistin. Kryptisch für all jene, die das Vorgängerbuch nicht kennen und sich ob so manchen Verweises verwirrt zeigen. Wohl könnte man einwenden, es sei derAutorin eben darum gegangen zu zeigen, dass ihre Heldin ein Trauma hat. Nur: wozu? Es ist nichts weiter als ein Detail in der Protagonistinnenbiografie, für den Fall ohne Bedeutung (Anmerkung: Diese Elemente des Seriellen sind bei Connos nicht die Hauptverantwortlichen für die respektable Textlänge von fast 500 Seiten, sondern die sehr präzisen Schilderungen diverser Forensikmethoden).
Betrachten wir uns nun die beiden Serienromane unter den vier Dünnen. Lansdale begnügt sich bei der Konstruktion des Überbaus, also der Biografie seiner Protagonisten, mit recht knappen Angaben. Der eine ist schwarz und schwul, der andere weiß und hetero, ersterer treibt Kampfsport und ist Vietnamveteran, letzterer eher ein undiszipliniertes Großmaul. Fertig.
Ähnlilche Ökonomie scheint auch Cayris vorzuschweben. Ihr „Lumpenadvokat“ ist bereits im ersten Buch hinreichend charakterisiert, seine Biografie eine Sammlung passender Anekdoten. Das ist gut für den Lesefluss und spart Platz.
Eine kleine, natürlich nicht vollständige Typologie der Serienkrimis: Bei Heinichen, Indridason und Connor etabliert das Serielle eine zweite Handlungsebene, auf der Leserbindung intendiert und oder Entwicklungen der eigentlichen Krimihandlung verstärkt und kommentiert werden. Dagegen lässt sich im Prinzip nichts einwenden. Außer der Kleinigkeit, dass wirklich fähigen Autoren dazu andere, weniger platz- und konzentrationsraubende Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Bei Charyn (und u.a. auch Sjöwall / Wahlöö) sind serieller Überbau und Einzelstories nicht von einander zu trennen, letzterer können aber mit Gewinn auch ohne Kenntnis der verbindenden „Idee“ gelesen werden. Bei Sjöwall / Wahlöö etwa ist die Entwicklung des Protagonisten Beck vom politisch-gesellschaftlich indifferenten Ermittler zum Zweifler, der sein Leben und seine Ansichten ändert, tatsächlich eine aus den Einzelgeschichten gespeiste Über-Handlung. Sie entsteht quasi aus den Stories heraus und benötigt lediglich einen Rahmen, aber keinen eigenen Textkorpus.
Lansdale und (wahrscheinlich) Cayris tradieren einen bereits im ersten Band festgelegten Typus durch die Folgebände. Das Biografische beschränkt sich auf das Notwendigste, bleibt anekdotisch und Kern der einzelnen Plots, ohne selbst eine eigene Ebene, eigene Entwicklung zu beanspruchen.
schon wieder schule …
*zu viel stoff
**pünktlich
Fleißkärtchen! Hausaufgabenbefreiung!
bye
dpr
*rheinsberg/brandenburg
*lernt auch in den FERIEN!
* Entschuldigung von den Eltern
Neuer Job, geht z.Z. in die Schule des Lebens. Muss auch mal sein.
Findet endlich einen dünnen Krimi und stellt beim Lesen fest, das es mal wieder ein fantastischer Roman ist, der als Krimi verkauft wird.
*genervt