Um das grundlegende Bauprinzip von Patrick Bomans Peabody-Reihe auf den Punkt zu bringen, genügt es eigentlich, die Schlussszene des aktuellen Bandes, „Peabody geht in die Knie“, nachzuerzählen. Unser Titelheld, Ausbund lüsterner, fettiger Schmierigkeit, kniet vor einem jungfräulichen Mädchen und reibt seinen schwitzenden Kopf an ihrem entblößten Schoß. Das zunächst schockierte, überrumpelte Mädchen wird erregt, packt Peabodys Kopf – und die Geschichte ist aus. – Und was sagt uns das jetzt?
Aber von vorn. Hinterindien, Ende des 19. Jahrhunderts. Josephat Peabody, 60, Polizeiinspektor, harte Schale, weicher Kern (den er nur selten zeigt). Gleich mehrere Mordfälle halten ihn auf Trab. Man findet den Rumpf eines Ermordeten in einem Färberbottich, offenkundig Einheimischer, also nicht wirklich von Belang. Dann aber stirbt auch ein englischer Bauingenieur eines unnatürlichen Todes und Peabody gerät noch mehr ins Schwitzen als üblich. Korrupt war der Ingenieur, Dokumente beweisen, dass auch der Gouverneur gerne die Hand aufhält und möglicherweise in den Mord verwickelt ist. Oder entpuppt sich der Fall am Ende doch als rein familiäre Tragödie? Des Toten Ehefrau und deren Nichte hatten nämlich in dessen Haushalt nichts zu lachen.
Um es vorweg zu nehmen. Die Auflösung ist, wie meistens bei Boman, das am wenigsten Aufregende an Peabodys Abenteuern. Eindrucksvoller und für die Reihe charakteristisch sind die ineinander greifenden Schilderungen der Welten von Kolonialisten und Kolonialisierten. Dass dies nun auf eine „Verdammung von Kolonialpolitik“ hinausliefe, lässt sich glücklicherweise nicht behaupten. Versteht sich von selbst, darüber braucht Boman kein Wort zu verlieren, schon gar kein wohlfeil moralisches. Was er schildert, ist ein Indien, in dem das Schöne und das Hässliche sich gegenseitig hochschaukeln. Hier die Geringschätzung eines Menschenlebens, die Auswüchse der Kastengesellschaft, die ständigen Kriege zwischen Hindus und Moslems, dort die alte, faszinierende und sehr komplexe Kultur des Landes. Über allem, von den Beherrschten gleichermaßen unterdrückt wie verachtet, die englischen Herren, deren Zivilisation auch nichts weiter ist als das Parfüm an einer verwesenden Leiche.
Womit wir wieder bei jener delikaten Stelle vom Beginn dieses Textes wären. So wie sich hier das Widerwärtige in die Reinheit der Unschuld wühlt, wie diese Unschuld den Lockungen schließlich nicht widerstehen kann und alles in einem gemeinsamen orgiastischen Erlebnis aufgelöst wird, so funktionieren auch Bomans Geschichten, diese Gemenge aus Ekel und Lust, Abscheu und Bewunderung. Ohne große Umschweife hingetuscht, keine Rücksichten auf politisch Korrektes, immer wenn Boman / Peabody Witze reißen, kann man sicher sein, eine besonders infame Gemeinheit vor sich zu haben. Und umgekehrt.
Dass denn auch zwischen Gut und Böse nicht unterschieden wird, braucht kaum erwähnt zu werden. Peabody selbst ist ein hochmoralisches Schwein, ein amoralischer Heiliger. Viel Stoff für 130 Seiten Text. Liest sich schnell, vergisst sich kaum.
Patrick Boman: Peabody geht in die Knie.
Unionsverlag (metro) 2007 (deutsch von Stefan Linster).
138 Seiten. 8,90 €.