Hier sind sie: die Rezensionen des Kritikerstammtischs zu Robert Littells „Die Söhne Abrahams“, erster Teil. Wiedergegeben in der alphabetischen Reihenfolge der Nachnamen der KritikerInnen.
Sollte ich das Buch mit einem Wort beschreiben müssen, so wäre „plakativ“ meine Wahl.
Als bekennender Fan der Sittra, deren Folgen ich nahezu tagtäglich in meiner SZ präsentiert bekomme, ist mir der Plot des Buches nur allzu bekannt, auch wenn mich dieser seltsamer Weise nach Jahren der Wiederholung immer noch nicht langweilt. Einer killt den anderen, danach killt einer von den anderen einen von den einen, und hinterher diskutieren alle miteinander nebst globalem Publikum, wer angefangen hat bzw. schuld ist. Auch wenn es zweifellos ernst ist, hat Letzteres was von Sandkasten-Diskussionen. Schließlich geht die Chose dann von vorn los. Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Raffinement ist anders. Aber so sind Sittra’s eben; ihre Verlässlichkeit ist ihre Stärke.
So hat es mich dann doch sehr überrascht, wie wenig sich Littell von diesem Sittra-Plot in seinem Buch entfernt hat. Aber vielleicht lässt dieses Thema etwas anderes auch gar nicht zu, vielleicht wäre eine andere Herangehensweise an diesen uns allseits bekannten Konflikt, der das Buch vollkommen dominiert, geradezu absurd. Eine subtile Vermittlung von Zeitgeschichte über einen klassischen Krimiplot, wie man sie etwa bei Yasmina Khadra findet, lässt sich möglicherweise nur dort leisten, wo das Bild der meisten Leser noch weitgehend unvollständig und unvoreingenommen ist.
Stattdessen bringt uns Littell zunächst mit einer ordentlichen Portion Action – ich dachte, gleich kommt „Jack Reacher“ um die Ecke – erst einmal in die angemessene Stimmung, ganz entsprechend dem Untertitel der Sittra „Aug um Aug, Zahn um Zahn“. Nach diesem viel versprechenden, an die „kalte Legende“ erinnernden Anfang „romert“ das Buch dann allerdings vor sich hin. Es wird gequatscht und gequatscht und gequatscht.
Zunächst meint Littell uns über den (Miss)Griff eines Erzählers, einem Berater der amerikanischen Präsidentin, den aktuellen Stand der Dinge derart auf’s Auge drücken zu müssen, dass auch noch der letzte Depp kapiert, wie die Dinge stehen. Eben überaus plakativ. Wobei Littell hier immerhin die interessante Frage aufwirft, ob eine amerikanische Präsidentin ebenso sehr (science) fiction ist, wie ein kurz vor der Unterzeichnung stehender Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern. Schau’n wir mal.
Der Rest des Gequatsches ist dann zwar durchaus interessant und informativ, und weist nur wenige Längen auf, aber irgendwann hatte ich den Eindruck, der Mittelteil könnte auch von Peter Scholl-Latour geschrieben worden sein, wenn auch vielleicht (!) etwas weniger fiktional. Die Wahl von Littell, hierbei zwei Radikale aufeinander stoßen zu lassen, ist zwar nicht nur eine nette Möglichkeit, Teilchen zu beschleunigen, sondern auch die ganzen Recherchen – Papa wollte es wohl Söhnchen gleichtun – unterzubringen, aber alles andere als originell und wirkt doch sehr gewollt.
Dass das Buch dennoch überdurchschnittlich gut ist, liegt einfach an der Schreibe von Littell. Von ihm würde ich auch einen Bericht über die Jahreshauptversammlung des örtlichen Kaninchenzüchtervereins lesen wollen. Ich mag seinen Humor, der hier dem Thema angemessen von Bitterkeit getragen ist. Seine Personenbeschreibungen, die alles andere als plakativ sind, wenn sie auch nicht ganz an die Qualität des „Gastprofessors“ herankommen, gehören auch hier zu dem Besten, was unser Genre zu bieten hat. Hier zeichnet Littell mit einem feinen Strich, während der Plot sehr grob geraten ist. In diesem Gegensatz liegt dann auch durchaus einer der Reizpunkte des Romans. Ebenso bestechend ist die Kunst – um in der Filmbranche zu bleiben a la Altman – verschiedene Handlungsstränge zusammen zu führen und so ein Gesamtbild entstehen zu lassen.
Dennoch hat sich Littell unter Wert verkauft. An seine „kalte Legende“ kommt das Buch nicht ansatzweise heran. Vielleicht beruht mein Urteil – ich weiß, das ist ungerecht – auf der enttäuschten Erwartung, ein Buch von ihm zu bekommen, wie es etwa Joseph R Janes mit „Salamander“ geschrieben hat, also ein Buch, in dem Zeitgeschichte und ein klassischer Krimiplot ganz subtil, ganz Gänsehaut hervorrufend, nicht nur dem Kopf, sondern auch dem Herzen Erkenntnisse vermittelnd, miteinander verwoben werden.
Thomas Elfers
Dem Leser sei angeraten, es gar nicht erst zu versuchen, sich bei der Lektüre des neuesten Thrillers von Robert Littell „Die Söhne Abrahams“ in eine der Hauptfiguren einzufühlen. So erbarmungslos werden die politischen Kämpfe ausgetragen, dass alle Protagonisten Blut an den Händen haben, schwerlich, für einen von ihnen Sympathie zu entwickeln. Einen kühlen Kopf wird der Leser auch brauchen, um die vielschichtigen Beziehungen nebst ideologischem Überbau in der jüdischen wie islamischen Welt des Nahen Ostens zu ordnen und zu verstehen. Wir befinden uns in einer der krisenhaftesten Regionen der Welt, im israelisch- palästinensischen Konfliktgebiet.
Die Ausgangssituation:
Der palästinensische Arzt Dr. Ishmael al-Shaath entführt den israelischen Rabbi Isaac Apfulbaum, um kurz vor der Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen Israel und Palästina die Freilassung von einhundertfünf Palästinensern zu erzwingen. Das ruft Reaktionen in allen politischen Lagern hervor.
Im Buch verlaufen drei Handlungsebenen.
Die erste Ebene: DIE GROSSE POLITIK.
Die Handlung des Buches beginnt in einer unbestimmten Zeit in der nahen Zukunft. Das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten ist längst von einer weiblichen Person besetzt worden. Das heißt aber nicht, dass die Politik einer weiblichen Führung mehr durch ausgleichende Diplomatie und weniger durch rambohafte Härte geprägt ist. Der Friedensvertrag wurde zwar von den USA initiiert, jedoch nur, weil der Druck von Teilen der amerikanischen Bevölkerung anhielt sowie die gemäßigten Staaten und Kräfte des Nahen Ostens, allen voran Saudi-Arabien, in diesem Konflikt auf eine Lösung drängten. Es geht um Macht -und Verteilungskämpfe und es geht letztendlich immer ums Öl.
Die israelische Regierung, gefangen in ihren archaischen Denkmustern, gibt scheinbar dem amerikanischen Drängen nach, auch als sie sich bereit erklärt, den Forderungen der Entführer zu entsprechen. Wie man jedoch mit unberechenbaren Fundamentalisten verhandelt, darüber besitzt sie ihre eigenen Vorstellungen. Und das schmutzige Geschäft lässt sie wie gewohnt erledigen.
Die zweite Ebene: DAS VERHÖR.
Die Konstellation könnte besser nicht sein. Die Kontrahenten, die dem Friedensvertrag entgegenstehen, sind zwei Fundamentalisten im Geist und zugleich zwei ausgemachte Killer. Der palästinensische Arzt, der tagsüber Patienten behandelt, nutzt als Anführer einer terroristischen Gruppe seine medizinische Ausbildung, um mit einem präzisen Kopfschuss seine Gegner zu liquidieren. Der israelische Rabbi steuert eine Untergrundbewegung, die maßgebliche Palästinenser ermordet.
Die Gespräche zwischen ihnen finden in einem abgedichteten, fensterlosen Raum statt. Apfulbaum und sein Sekretär, an Stühlen gefesselt, mit schweißigen Lederkapuzen auf dem Kopf, erleben hier den Vorhof zur Hölle. So glaubt der Leser.
Blind vor Hass auf den Gegner, blind im religiösen Eifer, wurde beiden Gegnern auch sinnbildlich die Sehkraft genommen. Der Doktor leidet durch eine frühe Erkrankung an einem Tunnelblick, dem Rabbi ist bei der Entführung die Brille abhanden gekommen.
Zunächst erschien mir die Beziehung zwischen Entführer und Opfer in ihrem psychologischen Spiel nicht sehr raffiniert gestaltet, auf blitzschnelle Rollenwechsel, wie aus Täter-Opfer Beziehungen bekannt, wartete ich vergebens. Lange Zeit dachte ich, die beiden Figuren kommen in ihrem religiösen Wahn über Sandkastenspiele von kleinen Jungen nicht hinaus, bei denen diese sich gegenseitig vorführen, wer das höhere Türmchen baut. Aber als ich dann die Passagen zum zweiten Mal las, um die Argumentationskette genauer zu verfolgen, musste ich mich revidieren, entdeckte, dass der Autor alles sehr fein komponiert hatte, bis hin zu den äußerlich gezeigten Reaktionen, die die inneren Zerrissenheiten widerspiegeln. Großartig.
Begonnen haben beide das Gespräch mit feindseligen Abgrenzungstiraden, um dann ihre Lehren bis auf den fundamentalistischen Kern herunterzubrechen, plötzlich das Gemeinsame erkennend, vereint sie ihre Liebe zu Jerusalem, letztlich zum gemeinsamen Land, das sie beide beanspruchen und das Begehren wird aufgehoben in dem Begriff der Würde, der das Verlangen abbildet, die demütigenden Gesten beiderseitig abzuwerfen und den anderen in seiner Verschiedenheit zu achten, – und ihn wie einen Bruder zu lieben.
Und da stellt sie sich auch ein, die Empathie, mit den beiden geschundenen Völkern, die Bedeutung und Identität aus der jeweils anderen Seite ziehen und einen hohen Preis dafür zahlen.
Die dritte Ebene: DIE GEHEIMPOLIZEI.
Der israelische Geheimdienst Mossad versucht fieberhaft den Aufenthaltsort der Entführten zu ermitteln. Der in den Ruhestand versetzte Agentenführer Elihu erhält den Auftrag, die Geiseln vor Ablauf des Ultimatums zu befreien. Und seine Arbeit verrichtet der Geheimdienst routiniert, die Spur genährt aus menschlicher Schwäche, Verrat, Verhören und Recherchen führt sie immer dichter an das Versteck. Folterungen in den israelischen Kellern werden so nüchtern wie selbstverständlich als Normalzustand geschildert, dass der Leser entsetzt zurückweicht. Dabei gleichen sich die Methoden der israelischen Geheimpolizei mit denen der Polizisten der palästinensischen Autonomiebehörde. Reines Machtkalkül lässt beide Seiten kooperieren und die Vorbehalte versickern.
Die Geschichte wird ziemlich geradlinig erzählt, schade nur, dass die Suche nach den Entführten als der einzig spannungsvolle Bogen, der sich im Buch aufbaut, vom Autor am Ende mit einem rigiden Handstreich, für den Leser mit einem Schlag auf den Kopf vergleichbar, entwertet wird. Dieses Drehs hätte es meiner Ansicht nach nicht bedurft. Aber so wie ich den Autor einschätze, wird er neben der Überrumpelung noch mehr im Sinn gehabt haben. Und wenn er uns überdies zeigen wollte, wie ignorant und unabhängig sich der Geheimdienst gegenüber den offiziellen Stellen gebärden kann.
Im Endeffekt ist der Anfangszustand wieder hergestellt worden, so resümiert der Geheimdienstmann Elihu voller Zweifel am Selbstverständnis der israelischen Politik und gibt damit auch den Standpunkt Littells über die Ausweglosigkeit der bestehenden Lage im Krisengebiet wider.
Fazit:
Das ist mein erster Spionagethriller, den ich gelesen habe und ich gebe zu, dass ich mit anderen Erwartungen herangegangen bin. Ich meinte, spannungsreiche Aktionen zu erleben, Helden zu begegnen, die der anderen politischen Seite gnadenlos die Stirn bieten, Agenten zu sehen, die sich trickreich aus hoffnungslosen Situationen manövrieren. Wenig davon habe ich in dem Buch gefunden.
Trotzdem, für den politisch interessierten Bürger, der immer begierig ist, zu erfahren, wie politische Entscheidungsprozesse unter der medial geglätteten Oberfläche ablaufen, und der andererseits glaubt, dass perfide Spiel der Politiker ausreichend zu kennen, bietet das Buch einige Überraschungen. In dieser Weise hat sich die Lektüre für mich gelohnt.
Henny Hidden
Die Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt begegnet uns jeden Tag im TV: Selbstmörder sprengen sich und andere in die Luft, gefolgt von israelischen Vergeltungsangriffen – eine nicht enden wollende Spirale von Gewalt und Tod. Eine Chance auf Beilegung des Konflikts scheint unendlich weit entfernt, auch weil die derzeitige US-amerikanische Administration weder Kraft noch Interesse hat, beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen.
In seinem Polit-Thriller „Die Söhne Abrahams“ verlegt Robert Littell deshalb seine Geschichte in die nahe Zukunft, in der es einer amerikanischen Präsidentin (!) gelungen ist, beide Parteien an den Verhandlungstisch und zum Abschluss eines Friedensvertrages zu zwingen. Doch dieser Frieden ist fragil. Extremisten auf beiden Seiten lehnen den Vertrag ab und versuchen den Friedensprozess zu sabotieren. Eine palästinensische Terrorzelle entführt einen radikalen Rabbi und droht mit dessen Ermordung, falls nicht palästinensische Gesinnungsgenossen aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden. Doch die israelische Regierung lässt sich nicht erpressen und führt Verhandlungen mit den Entführern lediglich, um Zeit zu gewinnen, den Aufenthaltsort des entführten Rabbis aufzuspüren und eine gewaltsame Befreiungsaktion vorzubereiten.
Um dieses Ziel zu erreichen ist der israelische Geheimdienst in der Wahl seiner Methoden nicht zimperlich. Es wird willkürlich verhaftet und gefoltert. Man arbeitet mit dem Chef des palästinensischen Geheimdienstes zusammen, auch wenn dessen Verhörmethoden die der Israelis noch in den Schatten stellen. Denn beide Seiten haben in diesem Fall dieselben Interessen: der Terrorakt muss misslingen, weil die Unterzeichnung des Friedensvertrages unmittelbar bevorsteht.
Das ist eine Ebene im komplexen Roman von Robert Littell. Auf einer anderen Ebene beschreibt Littell, wie sich Entführer und Entführter nahe kommen. Der Terrorist Abu Bakr ist im zivilen Leben der palästinensische Arzt Dr. Ishmael al-Shaath, fast blind und erst durch einen israelischen Gefängnisaufenthalt zum Terroristen „gereift“. Seine Kontrahent Rabbi Isaac Apfulbaum ist dagegen in Brooklyn aufgewachsen und erst als Erwachsener nach Israel ausgewandert. Dort wurde er Rabbi und Kopf einer jüdischen Terrororganisation. Letzteres ist nicht allgemein bekannt. Doch mit Hilfe des amerikanischen Journalisten Max Sweeney, den er auf geheimen Wegen ins Versteck hat bringen lassen, möchte Abu Bakr den Rabbi zu einem Geständnis vor aller Welt zwingen.
Abu Bakr und Apfulbaum sind Extremisten und doch einander sehr ähnlich. Sie stehen für das biblische Brüderpaar Ismael und Isaak, die Söhne Abrahams. Abraham ist eine zentrale Figur des Alten Testaments, das ihn als Stammvater Israels beschreibt. Isaak gehört zusammen mit seinem Vater Abrahams und seinem Sohn Jakob zu den Erzvätern, aus denen laut biblischer Überlieferung die Zwölf Stämme des Volkes Israel hervorgingen. Sein Halbbruder Ismael gilt hingegen als Stammvater der Araber und das Brüderpaar symbolisiert somit die ursprüngliche Verwandtschaft zwischen Israeliten und Arabern. In ihren theologischen Disputen kommen sich Abu Bakr und Apfulbaum nahe und entdecken füreinander Respekt. Littell zeigt aber auch schonungslos, warum eine Verständigung chancenlos ist. Beide beanspruchen dasselbe Land, um hier ihren Gottesstaat zu errichten.
Es ist die Stärke Littells, diese politische Analyse in das Thrillerkorsett zu packen, ohne den Roman zu überfrachten. Er erzählt diesen Roman in Form vieler Parallelhandlungen aus der Sicht verschiedener Figuren. Einzelne Episoden werden aneinander montiert, ohne innere Monologe oder Reflektionen – und ohne, dass zunächst erkennbar wird, wie diese Parallelhandlungen zusammenhängen. Er treibt die Handlung durch die zunehmende Verengung auf das Schicksal von Abu Bakr und Apfulbaum gewaltig voran und zeigt hier die Gnadenlosigkeit und die Ausweglosigkeit des Bruderkonfliktes.
Littell zeichnet eine Welt, in der Terror und Gegenterror eine unheilvolle Allianz eingegangen sind. Es wird mit harten Bandagen gekämpft – selbstverständlich auch mit den Mitteln von Lüge, Folter und Mord. Verdeckte Operationen und mörderische Geheimdienstoperationen gehören zur Realität und beide Seiten benutzen jeweils die andere zum eigenen Vorteil. Robert Littell stellt dieses keinesfalls effekthascherisch dar, sondern sein Roman ist aufklärerisch und von einer klaren rationalen, analytischen Kraft. Die Welt ist so, wie sie ist, und innerhalb dieser definierten Grenzen agieren seine Figuren.
Doch zugleich stellt diese aufklärerische Absicht auch die zentrale Schwäche des Romans dar. Littells Protagonisten sind lediglich Funktionsträger in einem komplexen Plot. Sie besitzen weder Plastizität noch emotionale Tiefe.
Littell meidet Simplifizierungen, er gibt seinen Figuren und damit auch deren unterschiedliche Positionen eine charakteristische Stimme und öffnet damit den Blick auf das Wesentliche. Seine Geheimdienstleute sind keine strahlenden Helden, die von Idealen und hohen moralischen Werten angetrieben werden. Sie haben klar definierte Feindbilder und handeln rational.
Abu Bakr und Apfulbaum sind zwei sinnesverwandte Extremisten, ausgestattet mit einer Biographie, die ihren Fanatismus begründet. Trotzdem sind ihre psychologischen Motive oder Reflektionen bestenfalls skizzenhaft erkennbar. Ihre theologischen Dispute leiden zudem darunter, dass der Autor diese sehr essayistisch angelegt hat.
Das Fehlen von Identifikationsfiguren nimmt dem Roman einen Teil seiner Wucht, die von seiner klaren rationalen, analytischen Kraft ausgeht. Dieses Manko wird partiell ausgeglichen durch die Unerbittlichkeit, mit der Littell die Gegensätze zwischen Israelis und Palästinensern in wenigen, präzisen Sätzen seziert. Er zeigt die Düsternis und Ausweglosigkeit, das hässliche Antlitz des allgegenwärtigen Terrors und die von ihm induzierten Deformationen in beiden Gesellschaften.
Robert Littells „Die Söhne Abrahams“ ist ein aufklärerischer Polit-Thriller, der Einsichten vermittelt und keinen Trost bietet. Aber so ist die Welt. Robert Littell zeigt diese völlig unsentimental.
Claus Kerkhoff
Robert Littell: Die Söhne Abrahams.
Scherz 2008. 349 Seiten. 17,90 €
(Original: "Vicious Circle", The Overlook Press 2006, deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann)
Erste!
*liest
Hallo dpr,
die Reihenfolge ist zwar p.c.. Es wäre aber glücklicher gewesen eine der Rezis voranzustellen, die eine Inhaltsbeschreibung beinhalten. Das war meine „Arbeits“Prämisse.
Da die Beiträge zum Stammtisch von dem ein oder anderen gelesen werden dürfte, der das Buch noch nicht gelesen hat, sei erklärt, dass es sich bei der „Sittra“ um eine Wortschöpfung von Rabbi Apfulbaum handelt und für Situationstragödie steht. „Schalten Sie morgen wieder ein, selbe Zeit, selber Sender, und sehen Sie, was das auserwählte Volk, die Nachfahren von Propheten und Psalmisten, jetzt machen wird, da es nicht mehr das ewige Opfer ist“.
Das dachte ich auch, wagte es aber nicht zu sagen. „Jetzt nimmt er ausgerechnet die Rezension ohne Inhaltsangabe nach vorne“, dachte ich.
Deswegen habe ich die Tranche 2 zuerst gelesen.
*liest im Lauf des Tages Tranche 1
Interessant finde ich, dass zwei KritikerInnen unabhängig voneinander das Wort „Sandkasten“ verwenden.
Okay, Thomas und nichts zu sagen wagendes (huch! Seit wann das denn?) Fräulein, kann man so sehen. Andererseits könnte es aber auch reizvoll sein, die erste Rezi als Überblick zu nehmen, da sie m.E. diejenige ist, die quasi eine „Moderatorenfunktion“ hat, weil man zunächst glaubt, es gäbe einen Verriss, aber es dann doch keiner wird. Sie steht also irgendwie zwischen Georgs gesenktem Daumen und den vier anderen, mehr oder weniger nach oben gereckten. Und außerdem soll ja keiner nur die erste Rezi lesen und dann sagen: Schön, jetzt weiß ich, worums geht, brauch ich die anderen nicht mehr zu lesen…
bye
dpr
Und das noch: Hat jemand gewürdigt, wie LIEBEVOLL ich die kleinen Grafiken mit den Buchausschnitten und den Namen der Rezensenten gestaltet habe? Und da hat Thomas halt das Coverstück ganz oben abgekriegt! Ich hätte ja ALLES ändern müssen! Meine ganze Organisation wäre durcheinander gekommen! Das kann niemand von mir verlangen!
bye
dpr
Natürlich habe ich das bemerkt.
*klopft DPR auf die Schulter
**hat immer recht (Georg = Verriss)
*wird sich trotzdem im Buchladen mal reinzulesen versuchen
Kommen Frauen vor?
Anobella hat Recht, das ist eine zentrale Frage.
Soweit ich bis jetzt gesehen habe, nur als Präsidentin der USA. Das ist schon ein starkes Stück, Frauen nur auf diese eine Funktion zu reduzieren.
Nun, meine Damen, bevor man sich echauffiert, sei die Frage erlaubt: Welche Frauen spielen denn im realen Nahostkonflikt eine Rolle? Hm? Israel hat eine Außenministerin, früher einmal eine Premierministerin. Mehr ist da nicht. Bei Littell gibt es ein junges palästinensisches Paar, eine Terroristin und eine amerikanische Präsidentin. Das ist schon sehr viel, finde ich. Gut, es sind mehr oder wenige Statistinnenrollen. Wie im wirklichen Leben also. Aber ich bin auf eurer Seite! The women to the front!
bye
dpr
Ohne mich selber loben zu wollen, aber „Kommen Frauen vor?“ hatte ich quasi antizipiert (siehe Georgs Blog letzte Woche).
@ krimi.krimi zweimal Sandkasten, zweimal Bauklötze. Für das Kind im Manne als Archetypus sind die Rezensionen sicherlich ein Beleg, aber der Konflikt und das Buch provozieren das auch.
Bernd! Denk an Paragraph 4 der Hinternet-Redaktionsordnung: Maniküren und Antizipieren sind in den wtd-Räumlichkeiten strengstens untersagt. Und Paragraph 1: Eigenlob ist der Chefredaktion vorbehalten.
bye
dpr
Kommen Frauen vor?
Ja, es kommt eine Frau kurz zum Zuge, die Fieseste von allen, eine palästinensiche Verräterin. Ich kann es bis jetzt noch nicht begreifen, warum sie das tat. Nur weil sie neben den mächtigen Männern am Tisch saß?
Dafür wurde sie dann später auch erschossen.
Grüße
Henny
Mag sein, dass ich’s nicht begreife, weil ich ein Mann bin. Aber ein Mensch hat nicht nur eine Genderrolle.
Besagte Frau war ist Teil einer innerpalästinensischen Opposition. Modern, kritisch, wohlhabend und deshalb im Ausland lebend … selten, aber nicht undenkbar.
Und sie hat eine zweite, literarische Funktion (ich höre die Frauen, schon was von Opferrolle sagen). Ihr gewaltsamer Tod „demaskiert“ in meinen Augen den Berater. Um das Gefühl von Schock und Mitleiden bei ihm auszulösen, ist eine Frau besser geeignet.
Die Frage „Kommen Frauen vor?“ war quasi für Bernd gestellt, obwohl ich nicht wusste, dass er „is doch klar“ bei Georg war. Dafür wusste ER nicht, dass ich gar nicht mitmache.
Aber nun erweist sich doch die Frage sogar als aufschlussreich. Kann ein Buch interessant sein, in dem keine Frauen vorkommen? Also auf so vielen Seiten? So wie ihr es erzählt, scheint es etwas verkopft. Es scheint mir auch nur eine einziges wirkliches Lob zu geben, von Claus Kerkhoff. Der Rest ist ambivalent bis ablehnend. Also KAUFEN würde ich es mir jetzt nur aufgrund von Kerkhoffs Rezension.
Verkopft trifft es nicht ganz, aber beinahe. Es ist in meinen Augen über weite Strecken viel zu geschmeidig geschrieben, um als verkopft durchzugehen. Und (ich gebe es zu) es hat mit Spaß gemacht „Vicious Games“ zu lesen.
Ansonsten ist die Frage, was Du von Lektüre erwartest … gute Bücher, im Sinne von 5* Werke oder interessante Bücher.
Mir ist tatsächlich aufgefallen, dass Frauen in den Hauptrollen (die US-Präsidentin kommt ja nur mittelbar vor) nicht auftauchen. „Kann ein Buch interessant sein, in dem keine Frauen vorkommen?“ Es soll aber tatsächlich Lebensbereiche geben, in denen Frauen keine/eine geringe Rolle spielen. Zwanghaft nun eine Frau in eine Geschichte einzuführen, macht ja auch keinen Sinn.
Umgekehrt, wäre ich versucht zu sagen, gibt es Geschichten in „Hell’s Bells“ da wirken die Männer ein wenig als Staffage. Würde ich meine Lektüre genderisieren, tät’s mich stören.
Und warum, wäre die Frage gerade an mich gerichtet gewesen ?
Deine Wahrnehmung des Buches hätte mich in der Tat interessiert.
Na ja, es geht um Palästina und Israel und Religion, da werden ein paar starke Frauencharaktere eigentlich drin sein müssen …
vielleicht habt ihr nur nicht drauf geachtet … sind doch so viele Seiten …
Männer nur als Staffage in Hell´s bells? Aber die meisten sind doch aus der Perspektive des Mannes geschrieben … Ich habe auf Ausgewogenheit geachtet … auf etwa gleich viele Männer und Frauen als Autoren … auch Autoren aus der Schweiz und Österreich sind dabei … (die Ossiquote ist allerdings lausig) …
Nachdem ich die treffende Zusammenfassung von Henny gelesen hat, stellt sich für mich nochmals die Frage, ob beispielsweise die Idee, beiden Hauptprotagonisten die (Ein-)Sicht zu nehmen, kunstvoll oder platt ist. Letztendlich bleibe ich dabei, dass letzteres der Fall ist. Diese Konstruktion von Übereinstimmungen betont zwar das Verbindende, wo das Trennende tatsächlich dominiert, und vermittelt dem Leser so einen (subtilen) Hoffnungsschimmer; man könnte sagen, eine Hoffnung auf ein fernes Happy End. Aber um den Preis, dass ich die Attitüde „Eigentlich sind wir doch alle Menschen und müssen uns lieb haben“ hier durchschimmern sehen. Das ist mir zuviel Sozialromantik, zuviel Relativierung der vordergründig geschilderten und wahrscheinlich auch real existierenden Ausweglosgkeit. Dies aber nimmt dem Buch einen weitern Teil der bereits von Claus angesprochenen Wucht. Mir wäre es deshalb noch radikaler lieber gewesen, wobei ich nicht die Darstellung von Gewalt meine. Corman McCarthy soll – nach den Rezensionen die ich gelesen habe – mit einer solchen unbarmherzigen Radikalität schreiben. Ich weiß allerdings nicht, ob ich das wirklich lesen will.
Eine Frage an die „Germanisten“ in der Runde: Kann es sein, das sich in dem Buch Elemente der griechischen Tragödie – dem Thema ja nicht unangemessen – finden?
@Bernd
Vielen Dank für die Erklärung.
Dass da Geld im Ausland ist, glaube ich gerne. Ich erinnere mich noch gut an die Bilder im Fernsehen, als Arafat seinerzeit nach Frankreich gebracht wurde. Und wie über die Höhe des Vermögens der Witwe spekuliert wurde.
Ja, das Verhalten dieser Frau hat mich so erbost, dass ich in meiner Vernebelung über keine weitere Funktion mehr nachdenken konnte.
Beste Grüße
Henny
@ Bernd: Ich habe jetzt Georgs Blog durchstöbert und diese Antizipation nicht gefunden. Ich finde es sehr löblich, dass Du die Frauenproblematik als erster thematisiert hast, wenn auch an einem Ort, an dem es keiner findet. Wahrscheinlich ist die Antizipation dort unter einer Frauenzeitschrift versteckt.
In der Sandkastenfrage bin ich schon davon ausgegangen, dass das Buch das provoziert.
Immerhin wurde der zweite Sandkasten von einer Frau eingeführt, dann müsste der Sandkasten genauso gut ein Beleg für den Archetypus des Kinds in der Frau sein.
Freut mich, dass ihr so fleißig diskutiert… Da „die Germanisten“ angesprochen wurden: Ob da griechische Tragödie drin ist, weiß ich nicht. Eins aber ist drin: Lessings Ringparabel aus Nathan der Weise. Fehlt nur noch der Christ. Aber Littell wendet das Ganze eben ins Hoffnungslos-Realistische. Ist ein Lehrer unter euch, der seine SchülerInnen das mal herausfinden lassen könnte? Kann auch eine Lehrerin sein.
Die Frauendiskussion verstehe ich im Moment nicht ganz, vielleicht, weil mich gerade andere Sachen ablenken. Aber dass der Sandkasten jetzt von einer österreichischen Psychiaterin analysiert wird, versteht sich von selbst. Nicht das Tor treffen, aber in die Seele blicken wollen!
bye
dpr
@ krimi.krimi Re Archetypus. Hier habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Die Gestalten, die im Sandkasten, mit Bauklötze, wie auch immer … sind eindeutig männliche. Der Archetypus des Kindes im Manne kann ja von Frauen erkannt werden, ohne dass sie zu Objekten dieses Archetypus werden.
Was die Antizipation betrifft, verweise ich auf Anobellas Kommentar weiter oben. Die Überschrift lautete „Wörtche ist einfach“ oder so.
@ dpr die Frauendiskussion ist ein Beitrag zum Thema pc.
@ Thomas. Littell hat gewissermaßen sein literarisches Besteck offen gelegt. Was mich an der dargestellten Symmetrie zwischen den Beiden stört, ist vermutlich die Penetranz. Wenn Littell es auf die Blindheit und noch irgendwas beschränkt hätte, hätten nur dpr und Georg das gemerkt und etwas von subtilen Anspielungen geraunt, worauf alle die literarische Eleganz Littells gelobt hätten. So ist es aber mit der Holzhammermethode dargebracht (Georg hat es auch entsprechend formuliert), bis auch der letzte Dussel es kapiert hat (auf die Stirneszeichen wird wieder und wieder ‚rumgeritten).
Was die griechischen Mythen betrifft. Keine Ahnung natürlich. Aber das Sujet passte eigentlich zu Shakespeare. Wobei mir dann einfällt, das es da Christopher Bookers „The Seven Basic Plots“ gibt (lässt sich bei einem anderen deutsprachigen Blog suchen) – alles schon ‚mal da gewesen, so gesehen.
„Welche Frauen spielen denn im realen Nahostkonflikt eine Rolle?“ — Es kann ja ein, daß ich die Ironie in dieser Debatte nicht mitbekomme. Aber im Nahostkonflikt sind Frauen von Anfang an auf allen Ebenen, auf allen Seiten und in allen möglichen Rollen vertreten. Man könnte z. B. an die Wehrpflicht für Frauen in Israel denken, an die Friedensaktivistinnen auf allen Seiten, oder daran, wer sich in Palästina mit dem Kanister auf den Weg macht, wenn das Wasser wieder einmal nicht aus dem Kran kommt. Ist das ‚irreal‘?
Beste Grüße!
Dem Buch fehlt die Wucht, wird beklagt. Aber die Wucht haben wir doch in der Realität.Denn wir wissen, dass es auf absehbare Zeit keine Lösung geben wird. Und in dem Buch etwas Einendes, Hoffendes herauszuarbeiten, ist anerkennenswert. Wie sollte es denn sonst gehen?
Gut, es hätte kein Thriller sein müssen.
Henny
Dass die Wucht in der Realität ist und im Buch nicht, ist für mich ein grandioser Schwachpunkt des Buches. Denn damit hat er ja sein Thema verfehlt. Es sei denn, er hätte vielleicht mal die Langeweile im Nahen Osten schildern wollen, auf langweilige Art und Weise. So à la: Ach, schon wieder ein paar Tote in einem Bus in Jerusalem – gähn, wie langweilig. Das wäre ja mal ein spannender Ansatzpunkt. Ob es gelänge, weiß ich nicht. Wenn einer schreiben kann, schon.