Robert Littell: Die Söhne Abrahams [Kritikerstammtisch, Teil 2]

…und hier der zweite Teil des Kritikerstammtisches mit weiteren drei Rezensionen.
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Die Region, in der „Vicious Circle“ spielt, ist eines der heißesten Pflaster, das die Realität zur Zeit zu bieten hat. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist sein Thema und wird von verschiedenen Gesichtspunkten „bearbeitet“. Das Buch und das Handeln darin wird von den Radikalen beider Seiten bestimmt, entweder weil sie selber handeln oder aber andere zum Handeln zwingen.

Neun Tage sind es noch bis es zum historischen Friedensvertrag zwischen Israel und Palästina. Ein Vertrag, der nur aufgrund der deutlichen Einflussnahme der USA unter ihrer neuen Präsidentin (über deren reales Vorbild man trefflich spekulieren mag) zustande kommt … wenn nicht noch etwas dazwischen kommt.

Isaac Apfulbaum und Doktor Al-Shaat könnten Personen sein, die dazwischen kommen. „Vicious Circle“ ist die Geschichte des Zusammentreffens dieser beiden Extremisten, der eine Jude, der andere Palästinenser und Moslem. Isaac Apfulbaum, ein Rabbi, beansprucht ganz Israel einschließlich des Westjordanlandes, so wie es von Gott den Juden gegeben worden war; Al-Shaat, ein Arzt, hat genug von den Demütigungen und will die Besitzverhältnisse von vor hundert Jahren wieder herstellen. Beide akzeptieren Gewalt als Mittel zum Erfolg. Als Doktor Al-Shaat Isaac Apfulbaum und seinen Sekretär entführt, um palästinensische Gefangene freizupressen, treffen sie aufeinander und entdecken, dass sie vieles gemein haben.

„ […] and the worst of all things are innovations: every innovation is heresy, every heresy is error, and every error leads to hell“

Die Parallele zwischen den beiden Gegenspielern ist schon fast zu offensichtlich; beide mit einer durch das Gebet bedingten Narbe (Zeichen) auf der Stirn, fast blind (!), mit den Vornamen der Urväter Isaac und Ismael, den Söhnen Abrahams versehen, die als Urväter der Israelis bzw. Araber gelten.

Der Name des Buches im Original, „Vicious Circle“ (Teufelskreis), zeigt es an: Der Unterschied zwischen den Terroristen der unterschiedlichen Nationen ist so groß nicht. Ein Terrorakt befeuert den nächsten Terrorakt … „Auge um Auge …“ lässt sich im Koran wie in der Torah finden. Und was die Terroristen antreibt, ist, so sehen wir gleich zu Beginn des Buches, auch für die israelischen Dienste gut genug.

Nun, als unvoreingenommener Beobachter hat man sich im Laufe der Jahre natürlich schon zusammengereimt, dass Gegengewalt keine Möglichkeit ist, Gewalt zu stoppen. Hier liegt dann auch gar nicht so sehr der Charme des Buches. Der entfaltet sich schon eher bei den beiden „Verrückten“, die wie die Störenfriede im Kindergarten alles daran setzen, die Bauwerke der anderen mit ihren Steinen zu zerstören. Dabei haben die Beiden eben Charme und ihre Argumente jeweils etwas für sich.

Littell macht daraus eine spannende Story mit einem dramatischen Finale und wechselt (dem Thema wie dem Genre angemessen) die Erzählerperspektive häufig und zwischen verschiedenen Personen. So bekommen wir z.B. auch etwas über das Wesen der amerikanischen Politik erzählt; durch einen Berater der Präsidentin, der solange eine immer leicht ironische Distanz zu dem Thema wahrt, bis er mittelbar das Potential der Gewalt zu spüren bekommt.

Gehobenes Handwerk, Anspielungen und Bezüge meistert Littell sowieso und betont dabei Parallelen zwischen Juden und Moslems, dass man schon fast meint, sich Sorgen um die Sicherheit des Autors machen zu müssen.

Ganz klar: Es steht zu vermuten, dass dem Autor ein weiterer DKP kaum noch zu nehmen ist, aber gelegentlich ist seine Schreibe doch überraschend impertinent. Nicht nur diese demonstrativen Parallelen, auch solche eigenartigen Übergenauigkeiten wie z.B. ein Messerstich, der die Pulmonalklappe zerfetzt, ein weiterer, der oberhalb des M. latissimus dorsi ansetzt und ein Knopfdruck, der Strom zu einer Spule führt (so dass ein Klingelgeräusch entsteht), irritieren.

Dr. Bernd Kochanowski
(der Rezensent hat die englischsprachige Originalausgabe gelesen)

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Es ist schon reichlich platt: Im mörderischen Israel, das vor vielen Jahren einfach mitten in ein fremdes Land gesetzt wurde, nur weil es den Westmächten so gefiel, im mörderischen Palästina, das keine andere Idee hat, als immer nur mit Gewalt und nochmals Gewalt zu reagieren, in diesem mörderischen Land treffen zwei Menschen aufeinander: Ein radikaler jüdischer Rabbi, Isaak Apfulbaum, Sprecher von radikalen Israelis, die behaupten, Gott selbst habe ihnen dieses Land versprochen und sie dürften es sich also mit Waffengewalt nehmen, die meinen, sie könnten ihre Siedlungen auch in fremdes Gebiet bauen und hätten trotzdem Recht, sie dürften sich auch mit Terror wehren – und der radikale palästinensische Terrorist Dr. Ishmael al-Shaath, der sich an den Israelis rächen will, sie vertreiben will, umbringen, ausmerzen. Das ist platt, aber nicht undenkbar.

Undenkbar sind auch nicht die anderen Handlungselemente: die Versuche der Israelis, den Rabbi wieder zu befreien, bevor er hingerichtet wird, weil das nur noch mehr Gewalt heraufbeschwören würde (und man außerdem einen Rabbi, sei er noch so durchgeknallt und schädlich für den anlaufenden Friedensprozess, nicht einfach von einem Palästinenser umbringen lässt). Oder die Interventionen eines amerikanischen Beraters der amerikanischen Präsidentin (das Buch spielt in einer nahen Zukunft), die auch nicht will, dass der Friedensprozess gestört wird – schließlich könnte man dafür ja noch einmal einen Nobelpreis bekommen oder wenigstens wiedergewählt werden. Der Friedensvertrag steht kurz vor der Unterzeichnung. Genau das will der palästinensische Arzt verhindern.

Und so suchen die israelischen und palästinensischen Behörden nach Spuren, versuchen aus den Botschaften der Entführer, den Aufenthaltsort des Entführten herauszubekommen, versuchen, seine Intelligenz abzuschätzen, um herauszubekommen, wie trickreich die Spuren vielleicht bewusst gelegte falsche Spuren sind. Natürlich geht das alles nicht ohne etwas Folter, Schläge, unschöne Verhörmethoden, schließlich ist Israel ja im Krieg, da sind alle Mittel erlaubt. Und endlich ist auch nicht ganz undenkbar, dass es einem ausländischen Journalisten gelingt, nach vielen Vertrauensbeweisen (inklusive Verhaftung durch den Mossad) zum Entführer durchzudringen, damit der ihm ein Exklusiv-Interview gewährt. Und sich am Schluss doch noch als Vertreter des Guten erweist, der durch einen Minisender das Versteck verraten kann.

Das sind alles ganz normale Politthriller-Elemente, und es wäre gut gewesen, wenn es Robert Littell in seinem neuen Buch „Die Söhne Abrahams“ dabei belassen, sie mit Fleisch und Blut und Leben gefüllt hätte. Es wäre vielleicht ein spannendes Buch herausgekommen, das von zerrissenen und fanatischen Menschen in einem zerrütteten Land erzählt, in dem es keinen Ausweg mehr gibt.

Aber leider rutscht Robert Littell selber in ein Desaster ab, in ein literarisches und ein psychologisches, die zusammenhängen. Denn was macht er aus der eigentlich noch erträglichen, wenn auch nicht neuen Idee, dass sich der radikale jüdische Rabbi und der radikale palästinensische Arzt so ähnlich sind? Einen Ideenroman und eine Schmonzette. Der Ideenroman ginge noch, wäre vielleicht ganz pfiffig, wenn man ihn ökonomisch anginge: Je länger die beiden miteinander reden, desto mehr merken sie, dass sie sich so sehr ähneln wie zwei Brüder, dass sie beide „Söhne Abrahams“ sind. Denn auch im Koran wird Abraham als der erste Moslem angesehen, der den wahren Glauben an den Einen Gott praktizierte und bereit war, auch schon einen Sohn zu opfern (aber das nur nebenbei) und mit seinem anderen Sohn Ishmael die von Adam erbaute Kaaba „wiederentdeckte“. Leider hat Littell aber keine sprachlichen Mittel zur Verfügung, die diesen psychologischen Prozess auch literarisch plausibel machen würde. Sondern nur symbolhaft aufgeladene Plattitüden.

Denn bei ihm sind die beiden Männer alte, hochgebildete und intellektuelle, studierte Leute, beide sind (Symbol! Symbol!) fast blind, beide versuchen dem anderen schlüssig zu beweisen, wie recht sie doch haben und wenig Möglichkeiten, überhaupt etwas anderes zu denken. Beiden gemeinsam ist, dass sie keinen Frieden wollen. Die Begegnung zwischen ihnen wird emotional immer aufgeladener, und auch Littells Sprache wird dabei immer aufgeladener und kitschiger: „Der Doktor sagte bewegt: ‚Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich je einem Menschen begegnen würde, noch dazu einem Juden, der diese Stadt so liebt wie ich.’“ Und als der Moslem den Koran zitiert: „Die wahrhafteste Mitteilung ist das Buch Allahs, die beste Leitung ist die Leitung Muhammads, das schlechteste der Dinge sind die Neuerungen, jede Neuerung ist Ketzerei und jede Ketzerei ist Irrtum, und jeder Irrtum führt in die Hölle“, da antwortet der entführte und mit dem Tod bedrohte Rabbi mit „Wieder Amen. (…) Ich lade Sie ein, meinen Thora-Schülern in Beit Avram einen Vortrag über das Thema Neuerungen zu halten.“

Psychologisch ist diese „Entwicklung“, die ja keine ist, sondern ein Zusammenbruch der beiden Menschen, unglaubwürdig und an den Barthaaren des Propheten herbeigezerrt. Denn nur wenige Minuten, wenige Seiten vorher heißt es: „Apfulbaum spürte, dass sein Entführer ihm allmählich einen gewissen widerwilligen Respekt abrang.“ Und dann rutscht es ganz schnell, bar jeder Glaubwürdigkeit, einfach ab. Bis der Doktor dem Rabbi die Kapuze, die der Gefangene tragen muss, „ungewohnt sachte über Kopf“ zieht und ihm eine Gebetsschnur schenkt, die er während seiner zwölfjährigen Haft in israelischen Gefängnissen bei sich trug: „Ein Gefühl von Dankbarkeit, ja Seelenverwandtschaft stieg in seiner Brust auf“, kitschiert Littell.

Und dann kommt der Tiefpunkt der Geschichte, als sich der Doktor mit seinem Gefangenen noch einmal, flüsternd, unterhält. Eine Terroristin namens Petra sieht, „dass die beiden miteinander redeten wie alte Freunde. Ihre Knie berührten einander, weil sie so nah beieinandersaßen, und sie waren so weit vorgebeugt, dass ihre Köpfe nur Zentimeter voneinander entfernt waren.“ Der Doktor trank eine Tasse Tee. „Dann tat er etwas, was Petra äußerst seltsam fand – er nannte den Gefangenen beim Vornamen.“ Und auch der Rabbi sagt den Vornamen seines Entführers. Dann massiert der Doktor den Hals des Rabbi. Und Petra denkt über das Gesehene, dumm wie sie ist und vorgeführt wird, als sei sie das Zielpublikum dieses Romans: „Es musste sich um einen neuartige Verhörmethode handeln, sagte sie sich. Der Doktor wollte das Vertrauen des Gefangenen gewinnen und ihn in dem Glauben wiegen, er sei sein Freund, um ihm die Informationen zu entlocken, die er haben wollte. Anders war die merkwürdige Nähe, die sich zwischen den beiden Männern zu entwickeln schien. Wieso sollte der Doktor dem Juden sonst erlauben, ihn mit Vornamen anzureden?“ Das ist schön, dass wir diesen Punkt so richtig dick unter die Nase gerieben bekommen, und noch gleich doppelt und dreifach erklärt. Damit es auch dem letzten Deppen klar wird.

Noch dicker wird es, als die beiden dem Journalisten in einem schelmischen Dialog erklären, warum sie sich so ähnlich sind: Weil sie beiden den Einen Gott anbeten, kein Schweinefleisch essen, beschnitten sind, von rechts nach links schreiben („ohne Vokale“): „Du meine Güte, muss ich es in Großbuchstaben an die Wand schreiben? Man muss blind sein, um es zu übersehen (Symbol! Symbol! G.P.). Wir sind beide Kinder Abrahams.“ Das sind die stilistischen Tiefpunkte des an Höhepunkten nicht reichen Buches. Hier zeigt sich endgültig, dass es kein Thriller ist, sondern eine Parabel, und zwar eine ziemlich flachbrüstige.

Littells Buch ist derart an den entscheidenden Stellen misslungen, nämlich dort, wo er die Beziehung zwischen einem Entführer und einem Entführten, einem radikalen Juden und einem radikalen Palästinenser erzählen müsste. Misslungen sind die Passagen aus der Sicht des amerikanischen Beraters, die völlig unnötig ist, denn auch das haben wir längst und gleich beim ersten Mal verstanden, ohne dass eine eigenständige Perspektive eingeführt werden müsste. Gelungen ist das Buch nur dort, wo die Thrillerelemente überwiegen, wo die israelischen und palästinensischen Behörden, die sich eigentlich bekriegen, zusammenarbeiten müssen, wo es um Indizien und die fieberhafte Suche nach dem Versteck geht. Aber leider spielt das nur eine Nebenrolle in diesem Roman. Insgesamt scheint Littell père wie Littell fils die Botschaft wichtiger zu sein als ein gut erzählter Roman. Dass sich beides nicht ausschließt, haben viele andere gezeigt. Littell lässt einen dagegen völlig unbefriedigt zurück, weil er den Leser für dumm hält.

Georg Patzer

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Wieso heißt der Mann eigentlich Apfulbaum? Nein, nicht Apfelbaum, so heißt er nur für den Klappentexter der deutschen Ausgabe. Aber vielleicht ist ja das Buch von Robert Littell ein Apfel. Ein Apfel mit einem Kern, Fleisch und Schale, dreiteilig also.

Beginnen wir mit dem Kern und arbeiten uns dann nach außen vor. Im Zentrum von „Die Söhne Abrahams“ steht die Entführung des ultraorthodoxen Rabbis Apfulbaum durch den nicht weniger ultraorthodoxen Palästinenser Dr. al-Shaath. Beide sind Terroristen, fast blind und natürlich sehr religiöse weise Männer, Antipoden. Antipoden? Natürlich nicht. Sie sind Brüder; nicht nur biblische, sondern auch geistige, denn wir wissen, dass sich die Extreme immer irgendwie ähneln und eigentlich eins sind, das war so mit Kommunismus und Nationalsozialismus, Stalin und Hitler ergo, und auch wenn sich die buntbeschalte Hirnrissigkeit hooligähn verprügelt, haut doch nur Zwilling eins auf Zwilling zwei und umgekehrt – aber das ist jetzt gar nicht das Thema. Man könnte sich darüber die Köpfe heiß reden, und am Ende käme doch nur dabei heraus, dass jeglicher Extremismus und Terrorismus auf den gleichen psychischen Defekten bei intelligenten dummen Menschen beruht. Und gänzlich dummen sowieso.

Um diesen Kern wuchert das Fleisch. Bei Littell ist, das wundert nun keinen, das Fleisch die Handlung, das Trillerelement sozusagen. Der Entführer hat ein Ultimatum gestellt, die Israelis arbeiten mit Hochdruck daran, Apfulbaum zu befreien und die Bösewichte zu liquidieren. Dabei gibt es nur Opfer. Junge Israelis sterben, junge Palästinenser sterben. Und die Autoritäten der beiden Todfeinde arbeiten wacker zusammen – widerwillig zwar, aber effektiv. Sie sind sich also gar nicht so unähnlich, nichts weiter als eine Emanation der Kern-Problematik.

Die Schale ist etwas ganz Besonderes, das repräsentative Kleid des Ganzen, gewissermaßen, das Global-Politische. Bei Littell wird es durch den Bericht des US-amerikanischen „Sonderberaters für Nahostangelegenheiten“ verkörpert. Denn der Fall spielt ins Bedeutende, nur noch wenige Tage trennen die Welt von einem Friedensabkommen, das durch die Entführung Apfulbaums gefährdet ist. Um Apfulbaum selbst geht es natürlich nicht. Wenn er bei der Befreiung stirbt: auch in Ordnung. Aber eigentlich geht es auch nicht um irgend einen Frieden, sondern um Wahlkampf. Die US-amerikanische Präsidentin(!) braucht neues Renommee, und wenn dabei der Friedensnobelpreis herausspringt, umso besser.

Das ist der Apfel, den uns Robert Littell geschrieben hat. Und wie erkennen beim ersten Biss: Der Apfel ist faul! Der Apfel schmeckt nicht! Er hing am Baum der Sinnlosigkeit und enthält folgerichtig nicht das Vitamin S, das wir doch so gerne zu uns nehmen, wenn wir Bücher lesen. Er schmeckt nach Sinnlosigkeit, nach Beliebigkeit, es ist egal, ob einer für Jehova oder Allah predigt, für Jehova oder Allah Blut vergießt – und den großen Diplomaten geht das alles eh am Allerwertesten vorbei, wenn sie nicht im Nahen Osten Frieden schaffen, dann zetteln sie eben im Fernen einen Krieg an oder irgendwo irgendwas – aha, auch hier steckt viel vom Kern drin in dieser glänzend polierten Schale aus launigen Absichtserklärungen und Visionen.

Robert Littell hat ein bitterböses, weil in diesem Kern zutiefst lustiges Buch geschrieben, ein beständiges Hin-und-her-Leuchten vom Gedankenpalast zum Misthaufen und wieder zurück. Unsere beide Terroristen, die da so brüderlich umarmen, dass es nur haarscharf an handfestem Sex vorbeischrammt, suhlen sich im Gelehrsamen ihrer Dummheit, während sich im Fleisch drumherum im Namen dieser hehren Dummheit Menschen opfern und doch auch sie einander viel näher sind als sie glauben würden. Alles, wirklich alles, was da so hochgelahrt daherkommt, ist Platitüde, die israelischen und palästinensischen Geheimdienstler, die jungen orthodoxen Juden, die märtyrerhaft tragisch endenden jungen Palästinenser, ein Wechselspiel aus Kollaboration und Verrat, Idealismus und menschlicher Schwäche. Das ist alles so lächerlich, so versatzstückhaft, dass es furchtbar langweilig wäre – wäre es denn nicht der Apfel, dessen Genuss die ewige Schlange Dummheit empfohlen hätte, nichts als DIE WAHRHEIT.

In Ordnung, vieles wissen wir, einiges haben wir schon immer geahnt, aber so kompakt und jenseits allen Bemühens um „Sinn“ wie Littell hat uns noch selten einer diesen Wahnwitz aufgeschrieben. Und wäre daraus ein schöner, runder, saftiger Roman geworden, ein Roman mit plastischen Figuren statt tumben Platzhaltern, mit „ergreifenden Schicksalen“, gar mit der Andeutung eines „Auswegs“ – hätte genau das sein Scheitern bedeutet.

Doch es gibt einen Einwand. Robert Littell, der eigentlich ein Meister der Sprachdukti ist, des, mit einem anderen Wort, Sprachgefälles innerhalb einer Geschichte (man lese „Legends“), scheint bei der Niederschrift von „Die Söhne Abrahams“ etwas von seiner diesbezüglichen Souveränität verloren zu haben. Manches kommt zu flüchtig daher, zu wenig elaboriert (was bei Littell immer auch bedeuten kann, dass es gar nicht elaboriert WIRKT). So schlüssig das Große=Ganze sein mag, in den Einzelheiten erwarte ich mir von einem Autor wie Robert Littell ein wenig mehr.

Robert Littell: Die Söhne Abrahams. 
Scherz 2008. 349 Seiten. 17,90 €
(Original: "Vicious Circle", The Overlook Press 2006, deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann)

2 Gedanken zu „Robert Littell: Die Söhne Abrahams [Kritikerstammtisch, Teil 2]“

  1. Hallo, das ist ja witzig:

    Dass es sprachlich impertinent ist und gleichzeitig zu flüchtig und wenig elaboriert.

    Dass einer, der Wörter wie „M. latissimus dorsi“ verwendet, den Leser für dumm hält.

    Das hat Charme.

    Wenn ich zusammenfassen möchte, was ich verstanden habe:

    Es gibt da einen Thriller: Der ist ganz gut, weil Littel ein guter Thrillerschreiber ist, der sein Handwerk versteht.

    In diesem Thriller wird die Entwicklung (die gar keine ist) zweier Männer erzählt: Diese Geschichte ist platt, klischeehaft, kitschig und aufgrund der schlechten Darstellung der Psychologie der Figuren wenig plausibel.

    Aber vielleicht sollte man lieber gar nicht zusammenfassen.

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