Traumberuf Krimirezensent! All die dicken Bücherpakete, die einem der treulich seinen tariflichen Mindestlohn ablatschende Postbote schwitzend ins Haus bringt! Kostenlos! Und die Kugelschreiber zu Weihnachten! Die Taschenkalender! Anlässlich der Buchmesse gibt’s gratis lauwarmen Kaffee, der Verleger kotaut, als wärs eine Übung in der Muckibude, und die blutjunge Praktikantin – natürlich eine blonde Germanistikstudentin! – hängt einem bewundernd an den Lippen und spielt versonnen mit dem Schlüssel zu ihrem Hotelzimmer. Ja! Traumberuf!
Doch wo viel Licht, da auch ein wenig Schatten. Der Beruf des Krimirezensenten offenbart dem Insider seine düstere Seite, die wie die abgewandte des Mondes durch bloßes Betrachten aus dem Irdischen nicht sichtbar wird. Denn wie jeder Beruf will auch der des Krimirezensenten erlernt sein. Nur: wie? Wo?
Einen staatlich genehmigten Ausbildungsgang gibt es nicht. Wozu auch?, wird der naive Leser fragen. Kann nicht jeder Krimis besprechen? Ging es dabei jemals um etwas anderes als „Spannung“ und die Frage, ob man erst auf den letzten zwei Seiten den Übeltäter kennenlernt? Genügt also zum karrieremäßigen Einstieg ins Besprechergewerbe nicht die Kenntnis von, sagen wir, einhundert Kriminalromanen? – Liest man einschlägige Rezensionen (die an gewissen Örtlichkeiten auch „Rezessionen“ genannt werden – aber okay, die Krimi-Couch-Bashing-Weeks sind vorüber), so trifft dies wohl zu. Eine Ouvertüre wie „Ich lese seit 50 Jahren Krimis“ heißt etwa so viel wie „Ich bin approbierter Arzt, habilitiere mich soeben über die Geschichte der Windpocken im 16. Jahrhundert und kann ergo beurteilen, ob ein Auge ausgelaufen ist oder nicht.“
Aber nein, das genügt natürlich nicht, wie die akademisch gebildeten unter unseren Lesern sofort einwenden mögen. Ein Studium muss her! Literatur! Abgeschlossen! – Nun, sagen wir mal so: es kann nicht unbedingt schaden. Wer etwa als Zweiundzwanzigjähriger mit der Frage nach der „Shakespeare-Rezeption bei Wieland und Herder“ konfrontiert wurde, hat vor allem eines gelernt: Lesen muss nicht unbedingt Spaß machen. Es kann – man glaubt es kaum – sogar Arbeit sein und, wenn diese Arbeit Ergebnisse zeitigt, dann doch wieder Spaß machen. Muss nicht. Legionen von ebenso erfolgreichen wie letztlich ahnungslosen Hochschulabsolventen legen davon ein beredtes Zeugnis ab.
Das Zauberwort wurde genannt: Arbeit. Lesen = Arbeit, eine unerhörte Gleichung. Denn noch nie war es bei der Beurteilung eines Menschen von Interesse, WAS er liest, sondern immer, WIE er das tut. Okay, das sind natürlich „shocking news“, wie mein Verleger zu schreiben pflegt, wenn er mir die aktuellen Verkaufszahlen meiner Bücher mitteilt. Ändern indes kann ich es nicht. Ist einfach so.
Denn machen wir uns doch nichts vor. Ein Rezensent liest kein Buch, um sich dabei gut zu unterhalten. Wenn er sich gut unterhält – schön für ihn. Aber eigentlich liest er ein Buch, um seiner Kundschaft zu begründen, warum es ihm gefallen hat – oder nicht. Diese Kundschaft hat das Buch entweder noch nicht gelesen und möchte wissen, ob sie es nun lesen soll oder zu anderer Lektüre greifen. Oder aber sie hat es gelesen und wartet nun auf die Begründung für ihr eigenes Urteil oder das gerade Gegenteil.
Rezensieren heißt also: Ich bilde mir ein Urteil, das durchaus ein Geschmacksurteil sein darf, aber ich muss es nachvollziehbar machen. Sehr schlecht dazu eignen sich Worthülsen wie „Dieses Buch ist mehr als ein Krimi“. Ich werde mir in einer meiner nächsten Rezensionen z.B. den Spaß erlauben zu schreiben: „Dieses Buch ist mehr als ein Roman. Es ist ein Kriminalroman.“ – und das muss ich dem düpierten Publikum dann auch erläutern. Dazu wiederum brauche ich so etwas wie eine Theorie des Kriminalromans. Wenn ich eine des Romans generell auftreiben könnte, wäre das noch besser. Nun wissen wir alle, dass es keine Theorie des Kriminalromans gibt, weil es so viele gibt. Also brauche ich eine Teiltheorie oder eine temporäre Theorie, die auf das von mir zu besprechende Buch zugeschnitten ist. Die muss ich den Lesern ebenso erläutern wie meine Schlussfolgerungen, die Kongruenz von Theorie und Lektürepraxis betreffend.
Puh, das ist kompliziert! Man beurteilt also nicht einfach „ein Buch“, sondern sieht es in einem theoretischen und historischen Kontext. Man verfolgt nicht mehr einfach nur die Handlung, sondern analysiert u.a. den Aufbau, die Dramaturgie, die Dialoge, die Verwendung von Versatzstücken (was in Krimis immer passiert und was ja nichts Schlechtes ist), die Intention des Autors… kurzum: Ich bin gezwungen, ANDERS zu lesen, auf ein imaginäres Publikum hin ausgerichtet, dem es herzlich egal ist, ob mir ein Buch nun gefallen hat oder nicht. Sie wollen bloß wissen, warum.
Man könnte jetzt noch endlos ins Detail gehen, doch diese Einführungen sind quantitativ ebenso limitiert wie eine Rezension. Was, nebenbei, eine weitere Schattenseite des Berufes ist. Schreibe ich für Zeitungen, habe ich selten mehr als 50 – 100 Zeilen zur Verfügung. Aber selbst im Lande der unbeschränkten Schreibmöglichkeiten, dem Internet, kann ich keine dreißig Seiten Buchbesprechung anbieten, obwohl es vielleicht manchmal nötig und hilfreich wäre. Ich muss mich, wie früher beim Telefonieren, kurz fassen. Auf den Punkt kommen. Möglichst wenig schwadronieren, und wenn es sich irgendwie vermeiden lässt auch darauf verzichten, meine eigene tolle Bildung, meine unübertroffene Krimikompetenz zur Schau zu stellen. Das ist nicht einfach. Das muss man lernen.
Aber wo? Ich weiß es nicht. Schreibkurse bietet inzwischen jede Volkshochschul-Dependance an. Aber Lesekurse? Dabei wären sie dringend vonnöten. Nicht nur für Anwärter auf den Traumberuf des Krimirezensenten. Denn es gibt nur eine Sache, die noch schwieriger ist als gut schreiben: gut lesen.
Iss wah? Man muss darauf verzichten, seine Bildung zur Schau zu stellen? Wieso sollte ich dann noch Rezensionen schreiben?
.. und nachher wieder jammern, wenn jeder glaubt, er kann das. Wenn man nichts merkt von der Bildung.
Wenn ich ein Glas Milch trinken will, meine Lieben, dann ist es mir relativ schnurz, ob der Bauer eine tolle Melktechnik hatte. Ich will das nicht auf der Verpackung lesen, ich will nur sichergestellt wissen, dass es prima Milch ist. Wenn es prima Milch ist, kann ich mir ausrechnen, dass auch beim Melken alles ordnungsgemäß abging. Und so ist es auch bei Rezensionen. Ich erkenne schon, ob einer was kann oder nicht. Prost!
bye
dpr
He holla. Das ist mein Ansatz, der pragmatische Georgsansatz. Den kannst du nicht einfach übernehmen, der hat Copyright.
Mensch, dieser Wörtche lässt einen am Wochenanfang schon nicht zur Ruhe kommen. Jetzt hat auch →Bernd wieder was zum Kasus geschrieben. Und dpr geantwortet (ebd.) Und →Ludger „Ich bin auch Krimirezensent“ Menke flippt völlig aus und bietet völlig versiffte Doku-Seife feil. Fehlt bloß noch Dschordsch „Wo bleibt meine Leseexemplar?!“ Patzadopoulos, der keine Bücher schreiben darf, weil er kein Arzt ist. Heiligs Blechle!
bye
dpr
*geht jetzt auf Nahrungssuche
Sei froh, dass Anobella nicht da ist.
* hat längst geantwortet
** darf gar nichts schreiben, weil er alles ist und kann
*** korrigiert sich: isst und kann
**** hat immer noch keinen Zweitling
Ha! Aber ich hab endlich einen! EINEN! Unter Bewachung aus München(!) geschickt. Nicht durch Karlsruhe (dort wird zu viel geklaut) und nicht durch die Pfalz (dort wird NUR geklaut)transportiert, sondern via Frankreich! Zwei Bodyguards mit Maschinengewehren! — Ah, ein wunderbares Werk! Und wie das in der Hand liegt! Und IHR ALLE könnt dieses schöne Gefühl auch haben! Zwölfneunzig für edle englische Broschur. Und Bildchen vom Verfasser! Einfach bestellen! HÖCHSTE KREISE haben es schon gelobt!
bye
dpr
Was hat Benedikt gesagt? Zitate bitte.
Über die Reaktionen zum Erstling unserer ehrwürdigen Dreifaltigkeit aus Krimiautor, Krimikritiker und Krimiblogger würde ich mich auch freuen.
Amen.
Lieber Ludger, dein Name sei Benedikt.
Für mich als Bloggerin, die gelegentlich Rezensionen schreibt, gab es nur einen einzigen Grund, meinen Buchbesprechungen das Wort “Rezension“ voranzustellen. Um bei Google schneller gefunden zu werden. Ich hätte auch schreiben können: Ich stelle mich dar.
Ja, ich will nicht nur meine Bildung herausstellen, ich will viel mehr. Wenn ich über einen Krimi spreche, will ich mein ganzes Wesen einbringen. Ich will Freude zeigen, traurig sein, arrogant, aggressiv, unlogisch, abgehoben, ratlos oder bedrückt. Und feminin sein. Sicher kann man sich da lächerlich machen und es kann peinlich wirken. Ja, und? Dafür bilde ich mir ein, eine andere, wenn auch dilletantische Sichtweise zu haben. Wer sie nicht mag, wird meinen Blog nur einmal besuchen. Aber wenn ein Leser schreibt, dass ich ihn angeregt habe, mal in eine andere Richtung zu denken, freut es mich.
Bei den meisten Zeitungsrezensenten, die mit ihren „objektiven“ Maßstäben die Krimis re-zensieren, ergibt sich für mich kein Bild im Kopf, wenn ich ihre Namen lese, noch schlimmer, die Rezensionen unterscheiden sich nicht wesentlich, zu kurz, zu weichgespült, zu wenig in-formativ.
Deshalb lese ich mehr und mehr Blogs. Weil ich den Blogbetreiber über ein Thema als Subjekt erlebe. Ich kann dann verstehen (oder auch nicht), warum zweimal einmal zu viel ist oder warum sich Ludgar Menke manchmal so ereifern kann.
Ich denke, in der Zukunft werden diese „eigenwilligen“ Handschriften dank des Internets noch zunehmen, an immer kleinere Zielgruppen gerichtet. Blogs werden nicht die Etablierten verdrängen, sondern sie werden sich neben ihnen profilieren. Und waren es nicht schon immer die verrückten Sachen, die etwas vorwärts getrieben haben? Dafür geht es bei den Krimiblogs doch noch ziemlich gemäßigt zu.
Beste Grüße
Henny
Ja, liebe Henny, dass ist einer der Unterschiede zwischen Bloggern und professionellen Kritikern: Blogger gehen meistens mit Leidenschaft an die Sache. Dabei kann man sich zwar auch mal verrennen, aber lieber einmal zu viel, als schweigend in der Ecke zu sitzen.
Das muss nicht bedeuten, dass Profis leidenschaftslos sind, ganz im Gegenteil. dpr hat das in seinem Beitrag „Vorläufiges aus der Zwischenzeit“ schön beschrieben.
Aber jetzt mal weg von dem Thema: Warum steht auf der Startseite vom Hinternet [Noch 78 Tage]? 78 Tage bis Weltuntergang? 78 Tage bis Buchmesse? 78 Tage bis anobella wieder da ist? Erklären Sie sich bitte, Herr dpr.
Ludger
*wähnt Verschwörungen
** besorgt
78 Tage? Hm. Seh ich heute zum ersten Mal. Erklären Sie sich bitte, Herr Chefredakteur!
bye
dpr