Krimikritikcrash

Nach dem Zusammenbruch des Investmentbankengeschäfts und seinen katastrophalen Auswirkungen auf das Bankenwesen insgesamt, erschüttert ein weiterer Crash das globale Deutschland. Die „crime fiction critics invest“ (cfci) steht vor der Zahlungsunfähigkeit! Die Folge: Ab 1. Oktober findet Krimikritik nicht mehr statt!

Wie konnte das alles passieren? Nun, erschreckend einfach. Die cfci war zu dem Zweck gegründet worden, auch dem kleinen Mann, der kleinen Frau den Bau und Besitz eines Eigenkriminalromans zu ermöglichen. Wer ist schon gern auf ewig Mieter in fremden Krimis, wo man doch selbst Hand anlegen kann! „Wir haben“, so der Vorsitzende des cfci, Lucas Zeitvogel am 8. August 2002, „hierzulande quasi eine Krimibrache, ein nicht genutztes Potential schöpferischer krimineller Energie. Zum Beispiel 4.000 Zahnärzte, die noch niemals einen Kriminalroman geschrieben haben! 1237 Metzger ohne Metzgerkrimi! Dazu 239.458 Hausfrauen, die nicht wissen, was sie tun sollen, seit die Kinder aus dem Haus und der Mann bei seinem Kebsweib ist!“

Um diesen in der Tat unhaltbaren Zustand zu beheben, wurde die cfci gegründet, welche durch großzügige Kreditvergabe („Vorschusslorbeeren“) jeden Willigen in den Stand versetzen sollte, die deutsche Sprache bezwecks Anfertigung von Kriminalliteratur zu missbrauchen. Und so geschah es. Denn alle kamen, alle wollten. Die stilistischen Pleitiers, die Bankrotteure der Sprache, die Beförderer der Plotinsolvenzen, die Zocker des Spannungsbogens, die Hasardeure der Figurenzeichnung. Trotz fehlender Bonität zahlte ihnen die cfci getreu- und reichlich Vorschusslorbeeren aus, lobte 4.000 Zahnarztkrimis, 1237 Metzgerkrimis, 239.458 Hausfrauenkrimis und, besonders verwerflich, 166 Krimikritikerkrimis. Das konnte nicht gutgehen.

Und es ging nicht gut. „Wir haben mit diesen faulen Krediten an der deutschen Literaturbörse gehandelt“, gesteht Zeitvogel heute zerknirscht ein, „sie wurden uns von den Verlagen aus den Händen gerissen, wir verkauften sie zehn- und zwanzigfach – bis nach China. Und jetzt: sind wir pleite. Was wir investierten an euphorischer Begrüßung, kehrt nicht mehr zu uns zurück. Die Krimis liegen wie Blei in den Buchhandlungen, die Autorinnen haben sich längst in ihre Zahnarztpraxen, Metzgereien und kleinbürgerlichen Einfamilienhäuser zurückgezogen. Vollständig zahlungsunfähig. Wer hätte das ahnen können! Wir fordern die Bundesregierung auf, uns unter die Arme zu greifen!“

Die Bundesregierung indes bläst der deutschen Krimikritik und ihren hanebüchenen Praktiken was. Ab 1. Oktober ist es verboten, Vorschusslorbeeren zu verleihen, ja, überhaupt zu loben. Allenfalls Verrisse sind noch statthaft und auch nur dann, wenn sie nicht dazu dienen, die allerdümmsten Konsumenten anzulocken, welche erst nach der Zusage von „Blut bis zum Abwinken, Dummdeutsch bis zum Erbrechen“ über den Erwerb des besprochenen Werkes ernsthaft nachdenken.

„Das ist das Ende der Krimikultur“, schwant es Zeitvogel. „Wenn Krimikritik nicht mehr stattfindet – wovon sollen wir fortan leben?“ Nun, rufen wir ihm zu: Da Krimikritik ja noch nie stattgefunden hat, einige Kritiker aber trotzdem ordentlich davon lebten, kann es doch nicht so schlimm werden, oder?

dpr

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