Es gibt ja Autoren (und Autorinnen), die können selbst dann, wenn sie schlecht drauf sind, keine wirklich schlechten Bücher schreiben. Reginald Hill ist so einer. Als er sich mit „Ins Leben zurückgerufen“ beschäftigte, war er offensichtlich nicht gut drauf. Das ist schon eine Weile her, denn das Buch ist bereits 1992 im Original erschienen. Und es ist nicht schlecht. Es ist nur um einiges schwächer als der Hill-Standard.
Was geschah an einem Wochenende des Jahres 1963 in Mickledor Hall? Feststeht: Eine Frau wird erschossen in der Waffenkammer des noblen Landsitzes aufgefunden, der Hausherr sowie ein Kindermädchen des gemeinschaftlichen Mordes angeklagt, ersterer endet am Galgen, letztere für die nächsten Jahrzehnte im Gefängnis. Jetzt aber gibt es neue Beweise, die belegen, dass das Kindermädchen Cissy Kohler, Amerikanerin, unschuldig sein dürfte. Die Dame kommt auf freien Fuß. Schlecht für Andy Dalziel, der als junger Polizeibeamter den Fall bearbeitet hat.
Natürlich setzt der dicke Andy alles daran zu beweisen, dass er und sein inzwischen verstorbener Chef sich nicht geirrt hatten. Die Spur führt nach Amerika, und wie Dalziel die Amis aufmischt, gehört zu den vielen Stärken des Buches, das aber spätestens 50 Seiten vor Ende seine große Schwäche nicht verbergen kann: die Lösung des Rätsels. Es tut beinahe weh, Hill dabei zuzuschauen, wie er seine Protagonisten eine möglichst plausible Lösung konstruieren lässt. Es gelingt nicht. Man folgt den Varianten, die da ins Spiel gebracht werden, nur mit Mühe, die „höheren Mächte im Hintergrund“, das ganze CIA- und Secret Service-Geraune ermüdet, und es passiert, was ansonsten bei einer Hill-Lektüre nie passiert: Man ist froh, als es vorbei ist.
Alles andere stimmt natürlich wieder. Hills souverän hinterhältige Sprache, das Durchsetztsein mit literarischen Querverweisen (diesmal: Charles Dickens, „Eine Geschichte zweier Städte“, und wie gehabt a lot of Shakespeare), der wunderbar grobe Andy und der sensible Pescoe, der Wort- und Szenewitz…
Wer Hill-Abhängiger werden möchte, der beginne bitte nicht mit diesem Buch, sonst wird das nämlich nichts mit der Sucht. Wer schon süchtig ist, nehme „Ins Leben zurückgerufen“ als literarisches Drogenersatzprogramm. Hilft irgendwie über den Tag, macht aber nicht high.
Reginald Hill: Ins Leben zurückgerufen.
Knaur 2008 (Deutsche EA: Europa 2004). 524 Seiten. 8,95 €
(Recalled to Life, 1992. Deutsch von Xenia Osthelder)
Mit welchem Buch soll man denn beginnen für sein Junkiedasein?
Die rätselhaften Worte ?
Man sollte die Romane in chronologischer Reihenfolge lesen, also mit dem relativ simpel gestrickten Whodunnit „A Clubbable Woman“ von 1970 (dt. Übersetzung 1971 bei Goldmann: Eine Gasse für den Tod) anfangen und sich dann langsam nach vorne arbeiten. Schließlich gibt es in der Serie immer wieder Rückbezüge auf frühere Fälle. Und „Recalled to Life“ muss man (wie auch andere der späteren Werke) wahrscheinlich zweimal lesen, und am besten im Original.
Joachim
Da ich Hill immer wild durcheinander lese, kann ich gar nicht sagen, wann ich ihm verfallen bin. Recht schnell, denke ich. Ansonsten gilt als Königsweg die von Joachim empfohlene Methode: Mit dem ersten anfangen, dem zweiten weitermachen…
bye
dpr