Backlist oder der Normalfall

Was ist nur los im Krimiland? Mangelt es an Nachwuchs? Wollen die alten Kämpen, die uns seit Jahren mit spannender Kost versorgen, nicht mehr? Stattdessen: olle Kamellen. Rowohlt legt, neu übersetzt wenigstens, die Sjöwall / Wahlöö – Altertümer noch einmal auf; Diogenes wirft pro Monat einen simenonschen Maigret auf den Markt und droht fürs Frühjahr mit einer Chandler-Kassette. Auch Fischer macht in Krimiklassikern, die Edition Köln sowieso. Ganz zu schweigen von Hard Case Crime. Aua. Das ist doch nicht mehr normal! Oder doch?

Aber immer. Es ist sogar das Allernormalste auf den weiten Feld der Literatur und ihrer ökonomischen Handlanger. Verlage nennen es backlist und wuchern damit. Was wären sie ohne Brecht, Thomas Mann, Heinrich Böll, von den Klassikern ganz zu schweigen. Nur auf dem Krimisektor scheint es so etwas nicht zu geben oder doch nur ausnahmsweise. Mit „retro“ hat das nichts zu tun. Retro wäre es, plötzlich im Stile der Soziokrimischaffenden zu schreiben oder so zu tun, als bräuchten wir weiterhin frisches Hartgekochtes.

Gut gefüllte Backlists jedoch sind in der Kriminalliteratur eher die Ausnahme, von den „großen Klassikern“ einmal abgesehen. Die Verlage mögen dies mit dem generellen Desinteresse des Publikums an der Geschichte des Genres begründen, und darin steckt ja auch viel Wahres. Dabei täte Traditionspflege not. Was wissen wir von den fünfziger, den sechziger, den siebziger, den achtziger Jahren? Gibt es – wie in der „normalen“ Literatur durchaus üblich – so etwas wie Autorenpflege außerhalb ökonomischer Kalkulationen? Kriminalliteratur ist Krimi: auf schnellen Konsum und schnelles Vergessen angelegt, eine literarische Lagerhaltung für nachfolgende Generationen findet nicht statt. Es herrscht generell die Annahme, Kriminalliteratur sei ein sich von Werk zu Werk vervollkommnendes Genre, das Vergangene quasi als Vorstufe zwar notwendig, aber eigentlich minderwertig.

Für die sogenannten Klassiker trifft dies nicht zu, weil sie als Orientierungsmarken fungieren und vorgeben, in welche Richtungen sich Krimi bitteschön zu entwickeln habe. Das Resultat ist „retro“: Traditionspflege als beständiges Wiederkäuen der alten Muster, Nachahmungen von zumeist nur geringem Wert. Eine lebendige Szene sähe anders aus. Sie bräuchte jedoch die Verfügbarkeit des Alten, wenigstens das Wissen um diese vergangenen Schritte des Genres, um den Kontext zu verstehen, in dem sich Literatur im Allgemeinen und Kriminalliteratur im Speziellen bewegt.

Keineswegs ein deutsches Problem, aber beileibe auch nicht nur ein Nachfrageproblem. Dass sich interessierte Kreise das OEuvre Derek Raymonds mühsam (und teilweise überteuert) aus den Altpapier zusammensuchen müssen, ist bekannt. Hier weiß man aber immerhin, wonach man suchen soll. Bei deutschsprachigen Autorinnen und Autoren nicht unbedingt. Sie verschwinden spätestens dann, wenn die letzte Auflage verkauft ist, aus den backlists. Passen nicht mehr in den Trend, sind nicht mehr hip, haben den aktuellen Zug verschlafen.

Für Krimiliteraturhistoriker ist das nicht unbedingt schlecht. Sie können alle paar Jahre mit einer „Wiederentdeckung“ an die Öffentlichkeit gehen. Vielleicht haben sie ja Glück und können, nach vier, fünf solcher „Wiederentdeckungen“ jemanden als Klassiker etablieren. So ist es zum Beispiel Friedrich Glauser ergangen, der jetzt „gemeinfrei“ geworden ist, sprich von Hinz & Kunz honorarfrei nachzudrucken. Bitteschön. Wenn es nur eine Geldfrage sein sollte, dann warten wir halt, bis die Krimischaffenden seit 70 Jahren unter der Erde liegen. Schöner wäre es, wenigstens einige der wichtigeren VertreterInnen schon zu Lebzeiten mit der Verfügbarkeit ihres Schaffens zu ehren.

dpr

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