Vielleicht sollten wir reinen Tisch machen, was die qualitative Vermessung von Kriminalliteratur angeht. Und, einfach mal so zu Erkenntniszwecken, davon ausgehen, es spiele letztlich keine Rolle, ob ein Hoch- oder ein Asphaltliterat das Genre mit seinen Kreationen beehre.
Betrachtet man sich den gegenwärtigen Zustand, existiert eine Klasse spezialisierter „Kriminalschriftsteller“ (die weibliche Form denken wir immer mit), die mehr oder weniger den Kern der Berufsgruppe repräsentiert. Frank Göhre ist so einer, Norbert Horst und Horst Eckert gehören dazu, Christine Lehmann gewiss auch, desgleichen Uta-Maria Heim, Heinrich Steinfest, Anne Chaplet, Sebastian Fitzek und und und. Ihnen gemein ist: Sie schreiben ausschließlich oder doch überwiegend Kriminalliteratur. Das tat auch, um einen nur zu nennen, C.H. Guenter, Schöpfer des hundertfach verhefteten „Kommissar X“, doch in die oben genannte Reihe will er, da Vielschreiber und allgemein als Heftchenautor bekannt, nicht so recht passen.
Auch zwei Wiederentdeckungen des letzten Jahres würde man nicht in diese Gruppe der „Kriminalautoren“ einreihen, Hans Lebert und Rudolf Lorenzen. Zu recht, will uns scheinen, denn es sind ja auch keine Genreschreiber. Sie gehören, wenngleich ein wenig schnöde an den Rand gedrängt, zur Gilde der Hochliteraten. Dennoch haben sie mit „Die Wolfshaut“ und „Bad Walden“ Kriminalromane geschrieben.
Bei dieser generellen Unterscheidung geht es im Prinzip vor allem um das, was man Genrekonventionen nennt. Was nicht heißen soll, Göhre und Co. erschöpften sich im Repetieren tradierter und anerkannter Muster. Dazu sind selbst diese Konventionen zu fragil, zu vielfältig, zu flexibel. Tatsache ist aber: Die Gruppe der Spezialisten bildet den Rahmen dessen, was wir als „Genrediskurs“ bezeichnen wollen. Sie liefern die Belegstücke für alle Thesen – die steilen und die flachen -, wenn über „das Genre“, seine Natur, seine Vergangenheit und seine Zukunft diskutiert wird. Alles andere, was über diesen Rahmen hinausreicht, also die scheinbar zu triviale Kunst eines C.H. Guenter oder das ebenso scheinbar Elitär-Abgehobene bei Lebert und Lorenzen, dient hingegen als Anschauungsmaterial dafür, wo Krimi aufhört, beziehungsweise noch nicht angefangen hat.
Nun ist es aber nicht so, dass die Autoren des inneren Zirkels nicht auch „hochliterarisch“ wären, keinen Sinn für Sprache und dramaturgische Ästhetik, Vielschichtigkeit und jenes Diffuse hätten, ohne die Literatur schlechterdings nicht auskommt. Und es kann ebenso wenig bestritten werden, dass die von uns als solche nicht in Zweifel gezogenen „Spezialisten“ nicht auch knietief im Trivialen steckten. Tun sie; müssen sie. Täten sie es nämlich nicht und wären zugleich auch keine „Literaten“, man würde sie sofort aus der Gruppe der anerkannten Spezialisten entfernen.
Auch lässt sich nicht bestreiten, dass etwa in der „Kommissar X“-Reihe veritable Krimis erschienen sind. Und Lebert / Lorenzen genüßlich die sogenannten Genrekonventionen ausreizen. Dennoch gehören sie nicht „dazu“. Man könnte nun einwenden, dass das Genre Kriminalliteratur instinktmäßig zwischen dem Trivialen und dem Hohen angesiedelt sei, mit Schnittpunkten an beiden Extremen. Und dass in einem Diskurs, der ja zunächst einmal seinen Gegenstand fixieren muss, nach bestem Wissen und Gewissen Grenzen gezogen werden müssen. Es gibt daher den Krimi als harmlos-folgenloses Massenvergnügen und als Spielart von Hochliteratur, während das eigentliche Genre, zwischen diesen beiden stehend, das Vergnügen mit dem Anspruch vereint.
Das ist alles richtig. Wenn ich dennoch dafür plädiere, diese Grenzen aufzuheben, dann vor allem deshalb, weil wir über das Wesen und die Zukunft der Kriminalliteratur nur gewinnbringend diskutieren können, wenn wir wissen, was jenseits der Genregrenzen passiert. Wie zum Beispiel ein ausgewiesenes Schnellschreibprodukt für sich „guter Krimi“ sein kann und warum. Oder wie die Techniken der Hochliteratur (besonders besagtes Diffuse, das vielerorts als natürlicher Feind der von Genre häufig geforderten Eindeutigkeit gilt) einen Kriminalroman bereichern und nicht etwa von vornherein diskreditieren können.
Die Beschäftigung mit „Krimi“ außerhalb des inneren Genrezirkels wäre kein Einebnen von Charakteristika. Es wäre, bestenfalls, ein Lernprozeß für alle Beteiligten, Autoren wie Leser. Man könnte zum Beispiel lernen, dass es sich bei Konventionen nicht um Gesetze – schon gar nicht um Naturgesetze – handelt. Sie entstehen in stiller Übereinkunft von Autoren, Kritikern und Lesern, sind stark zeit- und modeabhängig und schreien schon bei ihrer Etablierung danach, gebrochen zu werden. Die vom herrschenden Mittelbau der Kriminalliteratur über Bord geworfenen oder modifizierten Konventionen tauchen in der Trivialliteratur wieder auf, wo man sie zu Versatzstücken verfestigt. Zugleich entnimmt das „offizielle Genre“ Anregungen aus der sogenannten Hochliteratur. Das Fließende dieser Bewegungen lässt sich aber am besten dann beobachten, wenn man diese beiden Grenzbezirke des Genres als eigenständige Brutstätten von „Krimi“ akzeptiert und ihnen zubilligt, nicht nur Abnehmer / Lieferant von einstigen / zukünftigen Konventionen zu sein. Sie sind, steht zu vermuten, auch Orte, an denen eigenständige Kriminalliteratur entsteht, die als solche aber allenfalls am Rande wahrgenommen wird.
wie seltsam die Unterscheidung U und E ist, fiel mir zuletzt besonders auf, als ich Francois Mauriacs „Fleisch und Blut“ las (ein paar spezielle Anmerkungen dazu hier http://www.talk-about-wine.de/topic.asp?TOPIC_ID=4992 Ein tolles Buch, aber voll der Stilmittel des Melodramas oder der Spannungsliteratur. Letztlich hebt sich das Buch vom Krimi nur durch eines ab: Nicht die Lösung oder Beschreibung eines „Falles“ ist das Ziel des Autors, sondern eine Art metaphysische Erkenntnis, Wahrheiten über das Leben… Schrifstellerisch tut sich das nichts, Stilmittel, Beschreibung der Personen und Landschaften könnten auch so in jedem Krimi zu finden sein. Gut, das Schachspiel ist ein anderes: Die Personen werden nicht bewegt, um zu morden, davonzukommen etc., sondern um in diesen&jenen Spiegel zu schauen.
übrigens: Mein Kommentar wird seit vorgestern von einem englischsprachigen Zensor zurückgehalten: „You you don´t need to send it once more, we only check it“ – in dem Sinne.
Was habe ich denn getan???
Sorry, aber unser neuer Zensor – ein gerade arbeitslos gewordener ehemaliger US-Präsident – ist noch nicht eingearbeitet. Er hat sich wohl an der Verlinkung gestört. George? Be careful, okay?
bye
dpr