Die →bislang in dieser kleinen Betrachtung analysierten Kurzkrimis des Diogenes-Bandes „Ladies of Crime“ haben bei aller sonstigen Verschiedenheit doch ein Gemeinsames. Die Pointen und suspense-Konstruktionen stehen im Dienst einer sich steigernden Spannung. So weit, so genregerecht. Drei der Erzählungen fügen sich allerdings nicht in dieses Schema.
Donna Leons „Iss nur, das tut dir gut!“ hebt an mit der klassischen Konstellation des lieblosen, nur noch auf den unzivilisierten Verzehr opulenter Mahlzeiten fixierten Ehemannes und der darob immer erbosteren Ehefrau und Haussklavin. Wir ahnen, was kommen muss: Ehefrau greift zum Gift, Mann findet seine gerechte Strafe. Hm. Genau das kommt bei Leon nicht, das Ende bleibt offen. Vielleicht vergiftet sie ihn, vielleicht – wahrscheinlicher – wartet sie darauf, bis er sich totgefressen hat.
Einen Schritt weiter geht Fred Vargas in „Fünf Francs das Stück“. Ein Obdachloser, der vom Verkauf verdorbener Schwämme lebt, wird Zeuge eines Mordes. Der bekannte Kommissar Adamsberg nimmt ihn ins Verhör, doch der Mann schweigt sich aus. Bis Adamsberg eine Idee hat und seinem widerspenstigen Zeugen ein Angebot macht… Das wiederum hat mit dem Mordfall gar nichts zu tun, der überhaupt völlig an den Rand gedrängt wird und nicht mehr interessiert. Die Geschichte springt also über den Rahmen des Genres hinaus und landet dort, wo partout keine Spannung mehr zu finden ist. Wichtig ist, wie der Zeuge von Adamsbergs Angebot profitiert und im Gegenzug sein Wissen preisgibt.
Ganz so weit geht Patricia Highsmith zwar nicht. Dennoch ist ihre Erzählung „Damit muss man leben“ die tiefgründigste und gelungenste des Bandes. Eine Frau, allein im frischbezogenen Heim, überrascht einen Einbrecher. Sie tötet ihn. Der Komplize ergreift die Flucht. Und weiter? Nichts weiter. Wie bei Vargas interessiert die Aufklärung des Falles (d.i. die Ermittlung des Komplizen) kein bisschen. Highsmith hat etwas anderes im Visier, das Leben der Frau nach ihrer Tat nämlich. Und wie sie das in wenigen Szenen schildert, ist einfach großartig, weil hier Kriminalliteratur in ihrer weitesten Definition als Literatur über Opfer und Verdrängungsstrategien erfasst wird.
Diese drei Beispiele führen uns abschließend zu der Frage, inwieweit Kurzkrimis als Experimentierfeld taugen können. Es geht um die Überwindung von Genregrenzen (die ja im Grunde nur kommerziell definiert sind: Kriminalliteratur ist alles, was aus den gutverkäuflichen Schablonen zusammengesetzt wird), um die Erweiterung des Begriffs „Kriminal-„, um seine Stellung innerhalb der allgemeinen Literatur. Tatsächlich kann sich, wer einen Kurzkrimi verfasst, mehr erlauben als der oder die VerfasserIn von Romanen, allein deshalb schon, weil das Ungewöhnliche in der kurzen Form auf mehr Toleranz bei der Leserschaft stößt. Selbst eine so absolut krimiferne Pointe wie die bei Vargas wird noch als Pointe geschätzt, während sie als Abschluss eines 400-Seiten-Romans nur Missvergnügen hervorrufen würde. Man erwartet vom Roman halt etwas anderes, eine „vernünftige Auflösung“ beispielsweise. Dagegen ist der Kurzkrimi eher auf die Pointe fixiert, die auch Höhepunkt eines negativen suspense sein darf, eines Auslaufens von Krimi in die Normalität des Alltags.
Erwähnen wir noch zwei Texte, die leider nicht in diesem Band enthalten sind, aber auch von Frauen stammen und zeigen, wie mit Hilfe der Pointe experimentiert werden kann. Einmal Kerstin Rechs „Der längste Tag des Bertram Hussong“ aus der Anthologie →„Letzte Grüße von der Saar“, eine Geschichte, die ähnlich wie bei Highsmith und Vargas im Alltag ankommt. Und dann noch Cristiane Geldmachers „Ach du bist das!“ im von der Autorin herausgegebenen Band „Hell’s Bells“. Zwar ein „beinahe klassisch zu nennende(r) Kurzkrimi mit gut gesetzter Pointe“ (→Joachim Feldmann), diese Pointe jedoch ist eigentlich nichts anderes als ein Wortspiel, das die Geschichte sicher umklammert. Auch das wäre in der Langform unmöglich und gelingt nur im Kurzkrimi. Aber auch dort nur den Besten – und die sind, wer weiß?, bevorzugt Frauen…
vielen Dank. Mir bedeuten die Pointen in solchen Geschichten a la Highsmith noch etwas anderes. Es benutzt bis zuletzt den Menschenverstand wie eine Rollbahn, um dann staunenswert abzuheben und alles in einem Licht zu zeigen, das erhaben und – das ist der Witz – UNBESCHREIBLICH erscheint. Das Bild im Spiegel nicht wie das Licht das auf ihn fällt – man freut sich, ein Vampir zu sein.
Ein Meister in diesen Dingen gilt nicht als Krimi-Autor, obwohl viele seiner Geschichten wie Krimis erzählt werden. Und er hatte weniger Erfolg mit seinen Romanen, in denen er das Prinzip gewissermaßen auszuformulieren versuchte: Julio Cortazar.
ich bin auf den genialen einfall gekommen, meine geschichte mal ins blog zu stellen … das könntest du mit der domrapp auch mal machen, hase … ich liebe diese geschichte … stell sie doch mal als schmankerl für die wtd-leser ein …
highsmith ist immer tiefgründig. ich habe gerade „der schrei der eule“ von ihr gelesen, ein stalker beobachtet eine frau … alles klar … aber dann stalkt die frau zurück („ich liebe dich, robert!“) … öh, und er sie nicht … und dann schläft sie plötzlich bei ihm im wohnzimmer … BLÖD … ihr freund flippt aus … stalkt robert auch hinterher … die exfreundin stalkt hinterher … jetzt sind sie schon zu viert … der neue freund der exfreundin warnt auch noch rum … herrlich.
und aiken gefällt dir auch. prima.
na bitte, geht doch.
just finished fettsack und adair – dessen titel man sich nicht merken kann. beides grandios … ich hab über die ganze flensburger förde hinweg bis nach dänemark gelacht …
🙂
Püppi, wenn du als Herausgeberin mir das quasi befiehlst… Okay, dann guck ich mal, wo ich die Geschichte habe… und alle LeserInnen versprechen mir, nach der Lektüre SCHLEUNIGST das Buch zu kaufen. Sind nämlich noch andere tolle Sachen drin. Von Herrn H. und Frau H., beide weder verwandt noch verschwägert. Und anderen. Und der Herausgeberin natürlich.
bye
dpr