Traum?

Ich hatte einen bösen Traum. Mir träumte, die Kriminalliteratur sei von mitleidigen AutorInnen zu dem einzigen Zweck erfunden worden, auch die geistig weniger flexible Bevölkerung unseres Kulturlandes beim Lesen von Büchern mit intellektuellen Erfolgserlebnissen zu beglücken. Die Grundüberlegung: Ist der Leser zu doof, die Geheimnisse eines Textes selbstständig ans Tageslicht seines Verstandes zu bringen, spendiert man ihm via Krimi ermittelndes Personal, das diesen Job für ihn erledigt.

Ließ sich Edgar Poe den Krimi nur deshalb patentieren, weil er es satt hatte, von Scharen tumber Sinndetektive auf die dilettantischste Art gedeutet zu werden? Schuf er seinen Dupin als Idealleser, als Cicerone fürs hirnweiche Volk? Butzibutzi, liebes Leserkindchen, schau nur! Das ist GUT – und das ist BÖSE! Weiter brauchen wir uns nicht mehr zu bemühen, denn weiter kannst du ja nicht denken.

Oder verdankt der Krimi seine Entstehung Gottes unergründlichem Ratschluss? Seufzte nicht schon Jesus unter dem Kreuz: „Sie werden Proust für laaaaaankweilig! ästimieren. Und für dieses Pack muss ich sterben!“ – Fügte dann aber zur eigenen Beruhigung hinzu: „Aber wenn wir die Dummbeutel nicht ins Paradies aufnehmen, dürfte dieses Paradies der am dünnsten besiedelte Ort des gesamten Universums sein.“ – Seitdem tritt, wer einigermaßen bei Groschen ist, schleunigst zum Atheismus über.

Doch zurück zur Kriminalliteratur. Wenn das Lesen einer Enquete gleichkommt, einer ständigen Suche nach nichtvorhandener Wahrheit, dann simuliert der Kriminalroman tatsächlich das, was eigentlich im Kopf der lesenden Instanz passieren sollte. Wer liest und denkt, befindet sich qua definitionem in einem literarischen Werk. Wer nur liest, liest garantiert gerade einen Krimi.

In Ordnung; auch der Nichtkrimi ist in den meisten Fällen ausgelagerte Leserintelligenz. Wie du ein Buch zu entdecken, zu erforschen hast, sagt dir das Buch selbst an allen Ecken und Kanten, hier wird Lesen zur Pauschalreise, zum All-inclusive-Abenteuer hinter den Zäunen der Denkfaulheit. Krimis aber sind die unverfrorensten Vollstrecker des ausgelagerten, bequem per Ratenzahlung abzustotternden Denkens. Einer grübelt für dich, einer lässt stellvertretend für alle seine kleinen Grauen glühen, einer serviert wie ein galanter Wiener Caféhausober die Wahrheit und Wirklichkeit auf dem Tablett. Man braucht sie nur abzunicken. Mord ist ein Verbrechen (Nicken), darunter machen wirs nicht, darunter verstehen wirs auch gar nicht. Verbrechen haben aufgeklärt zu werden (Nicken, Nicken), wäre ja noch schöner, wäre ja Anarchie sonst. Kein Fitzelchen Leben darf außerhalb der Logik funktionieren, und diese Logik sei „nachvollziehbar“ auch dann, wenn man im Fremdwörterduden nachschauen muss, was das denn bedeutet, Logik.

In diesem Moment bin ich aufgewacht. Ein Traum, ein böser Traum, ein Albtraum. Oder doch nicht? Und was habe ich damit zu schaffen, der ich gleichzeitig Hersteller und Konsument der leichtverdaulichen Denknahrung bin? Bin ich nicht anders, besser, klüger? – Ich erinnere mich (ungern): Damals im Schuhgeschäft, als ich aus Verstehen statt der Schuhnummer meinen Intelligenzquotienten nannte, die Verkäuferin sogleich ins Lager ging, Anprobierware zu holen – und ich fünf Minuten später in neuen Schuhen aus dem Geschäft. Passten. Seitdem bin ich vorsichtig. Aber man soll das alles nicht so ernst nehmen. Nein, soll man nicht. Träumen ist ja das Spiel wildgewordener Synapsen und lose baumelnder Nervenenden, die sich zufällig berühren und wilde Szenarien herstellen, mit denen man beim Krimi keinen Blumentopf gewinnen könnte. Genau. So ist das. Aufstehen und den Kopf schütteln. Mensch, Mensch, Mensch!

6 Gedanken zu „Traum?“

  1. Wenns dir hier nicht passt, DANN GEH DOCH NACH DRÜBEN! (siehe Linkleiste rechts)

    bye
    dpr
    *mistet aus
    **hat eh zu viele LeserInnen
    *** fordert Anobella auf, sich von Georg zu distanzieren
    ****und den Papst auch

  2. * distanziert sich
    ** wenigstens das geht ohne Widerspruch meiner Bischöfe
    *** überlegt sich, ALLE zu exkommunizieren
    **** hat IMMER Recht
    ***** Amen

  3. „Stammtisch. – Der Exerzierplatz der denkbar dümmsten Meinungen.“ (Herschel F. Minzeifer)

    Ich bin wieder einmal auf diesen Internetseiten gelandet und frage mich nach vorangehendem respective vorangeganenem Beitrag:
    Möchte man mit diesem Kritiker (oder Träumer) wirklich an einem Stammtisch sitzen?

  4. Welch Gleichklang der Gefühle, mein lieber Minzeifer! Wir sind seelenverwandt! Möchte ich mit Herrn Minzeifer an einem Stammtisch sitzen? – Nee; schlimm genug, dass wir uns einen Planeten teilen müssen.
    – Nix Winterdepression, Thomas. Im Gegenteil. Aber warum soll man im Traum nicht einmal die Gedanken ein wenig von den Zügeln lassen?

    bye
    dpr

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