Daten

In der Freitagsausgabe der TAZ hat Rudolf Walther einen inzwischen heftig diskutierten →Artikel über die Digitalisierung und „Demokratisierung“ von Wissen veröffentlicht. Ist die Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Arbeiten im Internet tatsächlich ein zu lobender Schritt? Wie sieht es mit dem Urheberrecht aus? – Fragen, die uns alle in Zukunft noch beschäftigen werden, hier aber nicht thematisiert werden sollen. Am Ende seiner kritischen Ausführungen erwähnt Walther indes einen Aspekt, der auch jenseits von „Open Access“ relevant ist: die Haltbarkeit respektive Nichthaltbarkeit von Daten.

„Wie lange erhalten und lesbar bleibt, was im Netz steht, ist völlig offen – 5 Jahre, 50 Jahre, 500 Jahre, „ewig“? Das heißt, die Gesellschaft, die ihre wissenschaftlichen und kulturellen Hervorbringungen allein im Netz speichert, läuft Gefahr, ihre Geschichte, ihr Wissen, ihre Kultur eines Tages über Nacht ganz zu verlieren oder stückweise zu vergessen.“

Nun ist das, wenngleich in differenzierter Form, auch ein Thema in meinem neuen Roman: Datenverlust, Datenrekonstruktion, Datenkontrolle, Datenmissbrauch. Und es ist weiß Gott keine akademische Fragestellung, die Walther hier anspricht. Man stelle sich vor, seine gesamte Bibliothek auf einem E-Book-Reader, einem Laptop oder einem USB-Stick gespeichert zu haben, und plötzlich gibt es den großen Crash – und alles ist perdu. Als wäre eine Bibliothek abgebrannt, ein Archiv eingestürzt, nur sehr viel unspektakulärer, nicht weniger endgültig (wenn man keine Sicherungskopien hat…).

Ein weiteres Problem: Datenkompatibilität. Wenigstens zweimal jährlich erhalte ich Panikmails von Freunden und Lesern, die unbedingt an Daten herankommen müssen, die vor zwanzig Jahren auf irgendwelchen ATARIS oder COMMODORES erstellt und entsprechende Datenträger gespeichert wurden. Zwar existieren Dienstprogramme, solche Daten auf modernen Rechnern sichtbar zu machen und dort erneut speichern zu können, unkompliziert ist das aber nicht immer – und manchmal völlig für die Katz. Wenn dann kein Papierausdruck zum Einscannen oder Abtippen zur Verfügung steht – dumm gelaufen.

Man muss Walthers apokalyptisches Szenario („über Nacht“) nicht teilen, um die latente Gefahr für digitale Daten zu erkennen. Sie sind labil, sie sind manipulierbar, ohne dass sich eine solche Manipulation nachweisen ließe – jedenfalls nicht von Laien -, sie sind überall verfügbar, man kann sie miteinander oder mit gänzlich anderen Daten zum Zwecke der Verfälschung verknüpfen.

Das ist längst auch ein Thema von Kriminalliteratur geworden. Der nächste Krimistammtisch etwa wird sich mit Charles den Tex‘ Roman „Die Zelle“ beschäftigen, in dessen Mittelpunkt Datenmissbrauch steht. Wenn wir für einen Moment in die Zukunft schauen, sehen wir, dass neben den klassischen Arten, einen Menschen auszulöschen, eine weitere auftaucht: die Löschung aller Daten, sei es absichtlich oder durch technisches Versagen. Dann ist ein Mensch tot, mag er auch physisch weiterleben. Spannende Geschichte, realistische Geschichte.

8 Gedanken zu „Daten“

  1. Lieber dpr,

    jetzt stopf‘ ich mir schon den vierten Beta-Blocker rein. Selten so einen Unfug gelesen.

    Was wissenschaftliches Publizieren in der Biowissenschaft betrifft (und nur von diesem verstehe ich ein wenig) und die freie Zugänglichkeit der so veröffentlichten Informationen ist der Artikel der TAZ von einer derart erschreckenden Ahnungslosigkeit, dass die bloße Nennung dieses Artikel in der Nähe Deines Buches oder der des Buches von den Tex, diese beiden Bücher gewissermaßen per se diskreditiert :-).

  2. Von „heiß diskutiert“ kann da wirklich nicht die Rede sein. Eher von einem einheitlichen Totalverriss, wie ich ihn bisher nur selten erlebt habe.

  3. Halte ein, Bernd! Es geht lediglich um die in der zitierten Passage angesprochene „Haltbarkeit“ von Daten. Nicht um Digitalisierung / „Demokratisierung“ allgemein! Ich halte Walthers Szenario zwar auch – wie geschrieben – für zu apokalyptisch, IM PRINZIP spricht er allerdings ein Problem an, das wirklich existiert.
    Okay, liebe/r Joff, Totalverriss wäre vielleicht wirklich das bessere Wort. Heftig und heiß diskutieren sollte man ihn aber wirklich. Weil, abgesehen von Walthers Meinung, DIE THEMEN nicht so einfach gestrickt sind, wie mancher Totalverreißer glaubt. Ich habe vorige Woche ein Schreiben von der VG Wort bekommen, in der über den Stand der Dinge in Sachen Google digitalisiert wissenschaftliche Bücher informiert wurde. Google darf wohl jetzt „vergriffene Werke“ digitalisieren und ins Netz stellen resp. Handel mit ihnen treiben, wenn sich der Urheber nicht explizit dagegen verwahrt. Er wird zwar an möglichen Umsätzen beteiligt (63%), aber dass es nicht umgekehrt ist, also Google selbst die Verfasser ansprechen muss, halte ich für, hm, nicht ganz lauter. Aber okay. Nur ein kleines Beispiel für das, was gerade in dieser Beziehung noch auf uns zu kommen wird.

    bye
    dpr

  4. Das, lieber dpr, ist ja einer der Vorwürfe an den Artikel, dass er alles zusammenpackt.

    Was Google mit fiktionaler Literatur veranstaltet, ist (meiner laienhaften Vorstellung nach) ungeheuerlich. Mit wissenschaftlicher Recherche hat das aber auch gar nichts zu tun. Ich bin ja versucht mal zu schildern, wie das Leben so ist, 100 km von der nächsten Unibibliothek entfernt, wenn man Daten sucht oder eine PCR für einen Pathogenitätsmarker eines Keimes aufbauen will. Wenn ich für jeden halbwegs vernünftigen Artikel Geld zahlen müsste, würde ich mich entweder dumm und dämlich zahlen, oder der Transfer wissenschaftlichen Know-hows läuft über Großkonzerne, die für mich entscheiden, was ich wie machen kann und wissen darf.

  5. Ich verstehe dich gut, Bernd. Tatsache ist, dass das bisher geltende Urheberrecht am technisch Machbaren nicht vorbeikommt und geändert werden muss. Wenn ich die Google-Geschichte richtig interpretiere, muss ich damit rechnen, dass ein „vergriffener Titel“ meinem geistigen Eigentum entzogen wird, wenn ich nicht schnell genug reagiere und Widerspruch einlege. Und es geht hier nicht um FIKTION, sondern um WISSENSCHAFT! Wobei wir das Problem mit der digitalisierten Fiktion ja auch bald haben werden (E-Books). Kommen wir bald dorthin, wo sie in der Musikbranche schon sind? Geld verdient man nicht mehr mit dem eigentlichen Werk, sondern seiner Präsentation auf Tourneen, mit Merchandising etc.? – Ich habe keine Patentlösung. Denke aber, dass die notwendige „Demokratisierung von Wissen“ mit einer gerechten Form des Umgangs mit geistigem Eigentum einhergehen sollte. Niemand soll sich dumm und dämlich zahlen müssen, aber der Gelackmeierte sollte auch nicht der geistige Eigentümer sein (wobei man wirklich überlegen könnte, ob Aufsätze etc., die mit öffentlichen Fördergeldern ermöglicht wurden, auch dieser Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung stehen sollten).

    bye
    dpr

  6. Ich stimme Bernd zu, wobei ein Aspekt unerwähnt bleibt: Als Wissenschaftler schreibe ich ein Manuskript, reiche es zur Veröffentlichung bei einer Zeitschrift ein, dieses wird von anderen Wissenschaftlern begutachtet und – falls es für wert befunden wird – schließlich von der Zeitschrift veröffentlicht. Als Dank bekomme ich nach dem Peer-Review-Prozess eine Rechnung von dem betreffenden Verlag, weil ich als Autor an den Publikationskosten (aber nicht an den Erlösen beim Verkauf der Zeitschriftenabonnements an Bibliotheken und ähnliches) beteiligt werde!

    Open Access ist keine Möglichkeit, Publikationskosten zu sparen, denn die fallen weiter an. Aber jeder kann diesen Artikel kostenfrei aus dem Internet herunterladen und das ist im Interesse des Autors. Denn es kann (sollte) nur der einen Artikel zitieren, der diesen Artikel auch über die Bibliothek oder über andere Online-Datenbanken recherchieren und lesen konnte. Und Zitierungen sind der eigentliche Lohn unserer Arbeit!
    Zudem ist die langfristige Archivierung im Open Access-Prozess vertraglich gewährleistet.

    Open Access im wissenschaftlichen Umfeld ist deshalb ein Sonderfall und die Argumente von dpr darauf nicht übertragbar.

  7. In den USA haben wir natürlich viele private Unis und Stiftungen, aber auch diese (siehe das Beispiel Yales im Artikel) haben eine Interesse am freien Verkehr von Wissen.

    Wissenschaft in meinem Bereich ist vielleicht ein wenig anders gelagert. Primäre Artikel bringen dem Verfasser keinen müden Euro ein, im Gegenteil die renommierten Zeitschriften lassen sich den Abdruck vom Verfasser bezahlen. Warum also soll der Leser dafür bezahlen ? Doch nur, weil die Plattform Geld kostet. Schön, wenn diese jedoch billiger zu haben ist, sollten wir es machen. Wenn Google Artikel einscannte, würde das nicht einen Autoren jucken.

    Separate Fachbücher kosten Geld, wegen der geringen Auflage, in aller Regel, viel Geld, die Autoren bekommen einen gewissen Obolus, wie groß der bei Spitzenbüchern ist, weiß ich nicht. Ich habe mal ein Buch herausgegeben, über einen der großen Wissenschaftsverlage der USA. Es hat sich an Bibliotheken recht gut verkauft. 2000 € habe ich dafür bekommen, die Autoren nur einen Bruchteil. Wenn sie das Buch jetzt einscannten, würde es niemanden kümmern, das Wissen ist veraltet.

    Für die großen Lehrbücher zu schreiben ist Ehre und Prestige, die zum Teil hochangesehenen Autoren bekommen sicherlich einen hundsmiserablen Stundenlohn. Dennoch, wenn der entfällt, wird es schwerer Autoren zu finden, hier regelt der Markt die Sache, denn gute Lehrbücher sind viel wert. Alte Lehrbücher (10 Jahre) können sie einscannen, interessiert zumeist keinen ernsthaften Wissenschaftler mehr.

  8. Ihr habt beide recht, meine Bedenken passen nicht zu dieser Spezialität wissenschaftlichen Publizierens. Dass der Umgang mit geistigem Eigentum in Zeiten der Digitalisierung neu geregelt werden muss, halte ich aber weiterhin für erforderlich. Das Drohen mit dem Staatsanwalt bringt ebenso wenig wie ein „Kopierschutz“, den ich in fünf Minuten geknackt habe. Vielleicht gibt es auch hier ein übergeordnetes Problem: Die materielle Wertschätzung geistiger Arbeit generell. Viele (die meisten) arbeiten für einen Stundenlohn, der in allen anderen Berufen sittenwidrig wäre.

    bye
    dpr

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